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ÖH-Wahlsiegerin Sara Velić im Interview

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ÖH-Wahlsiegerin Sara Velić im Interview

Das ist ein Unterüberschrift

Die SPÖ-Studierendenfraktion VSStÖ wurde bei der ÖH-Wahl vergangene Woche stärkste Kraft. Die ÖVP-nahe AG rutschte vom ersten auf den dritten Platz, auch die GRAS verloren stark. Was will VSStÖ-Spitzenkandidatin Sara Velić mit ihrem Wahlsieg anfangen?

Wien, 24. Mai 2021

ZackZack: Der VSSTÖ ist stimmenstärkste Fraktion auf Bundesebene. Wie finden Sie das?

Sara Velić: Großartig natürlich. Angesichts der gesamtpolitischen Lage ist es noch einmal bedeutsamer. Alle Fraktionen außer jenen, die einer Regierungspartei nahestehen, haben dazugewonnen, AG und GRAS sind die Wahlverlierer.

Dass wir die Wahl gewinnen konnten, zeigt mir, dass wir die richtigen Themen angesprochen haben, vor allem die soziale Situation der Studierenden, die gerade massiv vernachlässigt wird. Auch die ÖH hat es bisher nicht geschafft, das ausreichend zu thematisieren. Ich hoffe, da können wir gut ansetzen.

ZZ: Was meinen Sie – reflektiert das Wahlergebnis vor allem die bundespolitische Lage, oder war es eine Wahl über Unipolitik im engeren Sinn?

SV: Beides trifft zu. Das Wahlergebnis hat mit der Hochschulpolitik der Bundesregierung zu tun. Da ist ja eine türkisgrüne UG-Novelle mit Mindeststudienleistungen gekommen – ein totaler Wahnsinn während der Pandemie; gleichzeitig gab es kein wirkliches Pandemiemanagement für die Universitäten. Man fühlt sich als Studentin seit über einem Jahr allein gelassen.

Da gibt es viel Frust gegenüber der Regierung und gleichzeitig eine Sehnsucht nach dem Weg aus der Krise. Das hat unsere Kampagne „Zeit für Zukunft“ gut angesprochen, mit Themen wie der Abschaffung der Studiengebühren, einem besseren Beihilfensystem usw.

ZZ: Im Coronawahljahr ist die üblicherweise schon sehr geringe Wahlbeteiligung nochmals stark gesunken, auf knapp 16 Prozent. War das nur der Pandemie geschuldet?

SV: Corona war sicher der allergrößte Faktor. Auf 16 Prozent Wahlbeteiligung kann man natürlich nicht stolz sein. Aber dafür, dass wir seit über einem Jahr kaum Studierende an den Hochschulen hatten… es sind dann schlussendlich über 50.000 Menschen gekommen, um ihre Stimme abzugeben.

Aber ja, ich hatte es schon am Wahlabend gesagt: Wie auch immer das Ergebnis aussehen wird – jetzt schaut es für uns sehr gut aus – muss man die Wahlbeteiligung als Auftrag betrachten, die ÖH näher an die Studierenden zu bringen.

Natürlich war es schwierig, für die Wahl zu mobilisieren. Viele Studierende hatten überhaupt noch nie Präsenzlehrveranstaltungen. Da ist es schwierig, sie auf die ÖH aufmerksam zu machen. Es hat aber schon auch die ÖH versagt, die Studierenden zu informieren. Diesem Auftrag kam die Aktionsgemeinschaft nicht nach. Dazu kamen Probleme mit Wahlkarten, auf die uns viele Studierende aufmerksam gemacht haben.

ZZ: Warum macht man die Stimmabgabe nicht digital möglich? Wenn man von zu Hause aus studieren muss, kann man dann nicht auch seine Vertretung von zu Hause aus wählen?

SV: Wir sind nicht grundsätzlich gegen diese Idee. Es gab vor einigen Jahren schon einmal den Versuch, das umzusetzen. Das hat aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht funktioniert. Ich glaube aber, wir sollten da am Ball bleiben. Ich wäre dafür, es bei der kommenden Wahl auszuprobieren. Leider ist es ein großer bürokratischer Aufwand und für diese Wahl ging es sich nicht aus.

ZZ: Fühlen Sie sich angesichts der niedrigen Wahlbeteiligung ausreichend demokratisch legitimiert, für alle Studierenden in Österreich sprechen zu können?

SV: Ja. Alle hatten die Möglichkeit, sich eine Interessensvertretung zu wählen. Diejenigen, denen es wichtig war, haben es auch getan und sich mehrheitlich für uns entschieden.

ZZ: Nochmals Corona: Konnten Sie ein Gefühl dafür entwickeln, wie es den Studierenden in der Pandemie ging?

SV: Das Distance Learning wurde sehr unterschiedlich aufgenommen. Auf der einen Seite gab es mehr Freiheit und Flexibilität – das sind Vorteile, die wir gern auch nach der Pandemie behalten würden. Andererseits stieg der Workload stark an. Und das digitale Arbeiten ist sozial nicht zufriedenstellend. Von früh bis spät vor dem Laptop zu sitzen und in die Kamera zu reden – das ist frustrierend, das kennen wir ja alle.

Ich wäre dafür, für die Zukunft ein Hybrid-Format zu entwickeln, das die Freiheiten des Distance Learning mit den Vorteilen der Präsenzlehre vereint.

ZZ: Sie kommen aus Vorarlberg und studieren in Wien, kennen folgende Situation selbst: Viele Studienanfänger leben zum ersten Mal allein, oft in einer fremden Stadt. Das ist immer eine große Herausforderung. Aber während der Pandemie gab kaum Möglichkeiten, Freunde zu finden, oder die Uni kennenzulernen. Wie haben die Studierenden das bewältigt?

SV: Das war sehr schwierig. Die psychische Belastung spüren wir deutlich. Psychische Erkrankungen bei jungen Menschen haben sich seit Beginn der Pandemie vervierfacht. Das sind dramatische Zahlen, die uns zeigen: Wir Studierende brauchen endlich eine Zukunftsperspektive.

ZZ: Mitten in dieser Situation hat die Bundesregierung eine UG-Novelle beschlossen, die neben existenzbedrohenden Regelungen für den akademischen Mittelbau auch Mindeststudienleistungen vorsieht. Wie wird sich diese Reform auswirken?

SV: In Wahrheit sind die Mindeststudienleistungen Zugangsbeschränkungen. Dadurch sollen gerade jene Studierenden, die es ohnehin schwerer haben, die arbeiten müssen oder Betreuungspflichten haben, schneller ausselektiert werden. Im kommenden Studienjahr wird das eingeführt. Ich hoffe nun, dass die ÖH mit uns an der Spitze noch möglichst viele Verbesserungen für die Studierenden erkämpfen kann.

ZZ: Sehen Sie reelle Chancen, der Novelle die Giftzähne zu ziehen?

SV: Das neue Hochschulgesetz ist nicht für immer unveränderbar.

ZZ: Willi Mernyi, der Vorsitzende des Mauthausen-Komitees, sagte kürzlich im ZackZack-Clubtalk, dass ihm in der politischen Linken die Entwürfe für eine bessere Welt fehlten. Könnten Sie die Uni von Grund auf neu entwerfen, wie würde sie aussehen?

SV: Die perfekte Universität?

ZZ: Genau.

SV: Befindet sich nicht im Kapitalismus. Aber einmal abgesehen davon wäre es ein Ort, an dem kritisches Denken und Selbstentfaltung im Mittelpunkt stehen, wo es nicht darum geht, möglichst schnell fertig zu werden, um sich am Arbeitsmarkt besser verkaufen zu können.

ZZ: Beginnend mit Ende der 1960er Jahre gab es in Europa eine große Reformunibewegung. Eine vergleichbar radikales Neudenken gibt es derzeit nicht. Haben sich die Studierenden daran gewöhnt, dass Ziel der Hochschulbildung Ausbildung und Beruf sind?

SV: Einen großen neuen Entwurf bräuchten wir jedenfalls. Verschulung und steigender Leistungsdruck haben in den vergangenen Jahrzehnten den Studierenden die Luft genommen, über das Studium hinaus zu denken, vielleicht auch politisch aktiv zu werden. Die aktuelle UG-Novelle verschlimmert die Lage noch weiter. Das ist eine ganz üble Art, politischen Geist still zu kriegen.

Einen Gegenentwurf zu schaffen, der auch von der Gesellschaft getragen wird, das wäre ein großes Projekt für eine linke ÖH.

ZZ: Wie wollen Sie so etwas konkret erreichen? Bisher konnte sich die ÖH in Verhandlungen mit den jeweiligen Regierungen kaum durchsetzen.

SV: Dass es oft nichts bringt, in Verhandlungszimmern zu sitzen, haben wir bemerkt. Wir müssen es schaffen, die Studierenden selbst zu politisieren. Der erste Schritt muss sein, die ÖH überhaupt erst einmal als Interessensvertretung unter den Studierenden besser zu verankern. Dann erst kann man darüber aufklären, dass die jetzige Situation nicht das Ende sein muss, dass sie veränderbar ist.

Was wir gleich machen wollen, ist eine Studierendenbefragung; darüber, wie es nach Corona weitergehen soll, und wie die ÖH eigentlich sein soll. Dann hätten wir auch die Wünsche der Studierenden Schwarz auf Weiß als Instrument für Veränderung.

ZZ: Wie wird sich die neue ÖH-Bundesvertretung zusammensetzen? Welche Koalition wollen Sie eingehen?

SV: Es ist kein Geheimnis, dass wir Interesse an einer linken Koalition haben. Wir sprechen aber mit allen Fraktionen außer dem FPÖ-nahen RFS. Die Koalitionsverhandlungen starten in den nächsten Wochen und dann wird es wohl recht schnell gehen.

Das Gespräch führte Thomas Walach

Titelbild: VSStÖ

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