»Erinnern heißt verändern«
In der Nacht des 9. Novembers überklebten jüdische Aktivisten 23 historisch belastete Straßenschilder mit den Namen von Widerstandskämpfern.
Wien, 10. November 2021 | Am Dienstag jährte sich zum 83. Mal das Pogrom gegen die jüdische Bevölkerung in Österreich und Deutschland in der Nacht auf den 10. November 1938. Damals wurden jüdische Mitbürger ermordet, ihre Geschäfte geplündert, Wohnungen verwüstet und Synagogen angezündet.
In Wien sind immer noch eine Reihe von Straßen nach Menschen benannt, die sich mit Antisemitismus, Unterstützung des Nationalsozialismus oder anderen menschenfeindlichen Aktionen einen Namen gemacht haben.
170 problematische Straßennamen
2013 präsentierte die von der Stadt Wien beauftragte Historiker-Kommission unter der Leitung des Zeithistorikers Oliver Rathkolb ihre kritische Untersuchung von 4.300 personenbezogenen Wiener Straßennamen. Das Ergebnis: Die Kommission stufte etwa 170 Straßennamen als problematisch ein, 28 davon seien sogar besonders bedenklich. Die Namensträger seien Personen, “die offensiv und nachhaltig antisemitische Einstellungen bzw. andere gruppenbezogene menschenfeindliche Vorurteile vertreten haben. Weiteres wurden hier eindeutig aktive Mitglieder der NSDAP und aktive Mitglieder der SS oder SA zugeordnet.”
Mittlerweile werden zwar viele dieser Straßenschilder mit Erklärtafeln ergänzt, das ist für die jüdischen Aktivisten jedoch zu wenig: Mit einer nächtlichen Aktion machten sie in der Nacht des 9. Novembers darauf aufmerksam, dass in Wien noch immer Straßen nach aktiven NSDAP-, SS- oder SA-Mitglieder, beziehungsweise offensiv antisemitischen Personen benannt sind. Sie überklebten 23 Straßentafeln mit Namen von Widerstandskämpfern.
Fotos: (c) Jüdischen österreichischen Hochschüler
JöH fordert offizielle Umbenennung
“Erinnern heißt verändern”, drängt die Jüdischen österreichischen Hochschüler (JöH) – und forderten die offizielle Umbenennung. “Wir befürworten die Aktion der jüdischen Aktivisten sehr stark. 83 Jahre nach den Novemberpogromen, 76 Jahre nach dem Ende der Shoah dürfen wir keine Nazis und Antisemitismus mehr würdigen, sondern müssen stattdessen Widerstandskämpfer den Platz einzuräumen, den sie verdienen. Wir fordern die Stadt Wien auf, die 23 Straßen auch offiziell umzubenennen!”, so Sashi Turkof, Co-Präsidentin der JöH.
Gegenüber ZackZack erklärt Turkof, dass sich diese Form von Akzeptanz der Stadt Wien gegenüber Ehrungen von Antisemiten dringend ändern müsse: “Wir sind der Meinung, dass Antisemiten ent-ehrt gehören, das Stadtbild muss sich dringend ändern. Dazu gehört auch die Umbenennung der Straßenschilder. Nicht-handeln ist eben auch eine starke Handlung”, betont Turkof gegenüber ZackZack und deutet auf die Karl-Lueger-Statur im ersten Wiener Gemeindebezirk. “Diese Statur sollte nicht einfach weiter dort stehen bleiben dürfen, sondern müsste längst entfernt werden. Diese Akzeptanz sehe ich als sehr problematisch an.”
Karl-Lueger-Platz wurde zum Platz-des-antifaschistischen-Widerstandes
Hier eine vollständige Liste der umbenannten Straßennamen:
- -Boehringer-Gasse wurde zur Abba-Kovner-Gasse
- Sebastian-Brunner-Gasse wurde zur Anna-Bertha-von-Königsegg-Gasse
- Häußlergasse wurde zur Aron-Menczer-Gasse
- Wiesingerstraße wurde zur August-Dickmann-Straße
- Kloepferstraße wurde zur Chana-Szenes-Straße
- Stelzhamergasse wurde zur Egon-Erwin Kisch-Gasse
- Spundagasse wurde zur Elfriede-Hartmann-Gasse
- Seefeldergasse wurde zur Elisabeth-Schilder-Gasse
- Saßmanngasse wurde zur Erna-Musik-Gasse
- Leopold-Kunschak-Platz wurde zum Platz-der-Gerechten-unter-den-Völkern
- Robert-Lach-Gasse wurde zur Franz-Danneberg-Löw-Gasse
- Müller-Guttenbrunn-Straße wurde zur Franz-Jägerstätter-Straße
- Kasparekgasse wurde zur Gisi-Fleischmann-Gasse
- Dusikagasse wurde zur Haviva-Reik-Gasse
- Chvostekgasse wurde zur Herbert-Baum-Gasse
- Josef-Schlesinger-Straße wurde zur Hilde-Krones-Straße
- Karl-Lueger-Brücke wurde zur Julius-Deutsch-Brücke
- Pschorngasse wurde zur Leopoldine-Kovarik-Gasse
- Pfitznergasse wurde zur Lisa-Fittko-Gasse
- Eberle-Gasse wurde zur Marianne-Baum-Gasse
- Josef-Pommer-Gasse wurde zur Melanie-Berger-Volle-Gasse
- Weldengasse wurde zur Mordechai-Anielewicz-Gasse
- Karl-Lueger-Platz wurde zum Platz-des-antifaschistischen-Widerstandes
- Manowardagasse wurde zur Resi-Pesendorfer-Gasse
- Maria-Grengg-Gasse wurde zur Rosa-Hofmann-Gasse
- Porschestraße wurde zur Franz-Danimann-Straße
- Haberlandtgasse wurde zur Zivia-Lubetkin-Gasse
(jz)
Titelbild: Jüdische österreichische HochschülerInnen