Kommentar
Wir feiern heute den Frauentag. Selten hatte dieser Tag einen so bitteren Beigeschmack wie heute. In Russland bekommen Russinnen an diesem Tag Blumen von den Russen, in der Ukraine bekommen sie Bomben und Kugelhagel.
Julya Rabinowich
Wien, 08. März 2022 | Frauen und Kinder sind wieder auf der Flucht. Krieg ist die endgültige, verheerende Eskalation der Gewalt, er ist die ultimative Grenzüberschreitung. Das Mindeste, das wir jetzt tun können, ist, diesen Frauen nun Schutz und Unterstützung anzubieten. Aber das Ausgeliefertsein ist leider nicht auf Krieg allein beschränkt.
Auch in Österreich, mitten im Frieden, droht den Frauen täglich Gefahr für ihr Leben. In ihren eigenen vier Wänden, die zur Falle werden. Bei Trennungen. Bei Familienkrisen. Bei Femiziden sind wir leider führend. Die Gegenmaßnahmen reichen nach wie vor bei weitem nicht aus. Ja, wir haben in Vergangenheit einiges erreicht- die Gesetze geändert, die Rechte der Frauen gestärkt und ihre Unabhängigkeit ermöglicht. Und wir wissen, was für ein langer Weg es war, was für ein Kampf.
Man kann nur jeder einzelnen Frau empfehlen, nicht auf ihre Rechte und Möglichkeiten zu verzichten, wenn sie Hilfestellung braucht. Frauen haben ein Recht auf Unversehrtheit, auf Unabhängigkeit, auf Sicherheit. Die Beratungsstellen, die Frauenhäuser, die Telefonhotlines. Sie sind für Frauen geschaffen worden.
Was in der Stille blüht
Niemand kann den Selbstwert einer Frau rauben, die sich selbst neu definiert hat, ob mit oder ohne Unterstützung, und mit Unterstützung gelingt es doch oft schneller. Was gebrochen wurde, kann heilen, was erschüttert wurde, die Balance wiederfinden. Das darf man nie vergessen, auch wenn in machen Augenblicken alles dunkel und auswegslos scheint. Man darf aber auch nicht vergessen, wie sich Gleichgültigkeit und Ignoranz auswirken. Sie zementieren Festgefahrenes, sie entsichern das Aufgeben, sie lassen verstummen.
Wir wissen um die Wichtigkeit des aufmerksamen Blicks von außen- auch über Sprachbarriere und sozialisierte Unterschiede hinweg. Nicht jede Frau findet die Kraft, in einer neuen Sprache, in einer neuen Welt um Hilfe zu bitten: Achtet auf sie. Bestärkt sie. Schaut nicht weg. Dieser weiter oben angesprochene aufmerksame Blick, das Hinhören der anderen können Leben retten und Leben verändern. In der Stille hinter verschlossenen Türen blühen manchmal Blumen des Bösen, umso rankwilliger blühen sie, je weniger auf sie geachtet wird, je weniger sie geächtet werden.
Ja: Die Gesellschaft trägt Verantwortung, die Gesellschaft darf vor dieser Verantwortung nicht zurücktreten. Es ist viel passiert in Österreich, wir haben viel erreicht, aber wir haben dennoch einen weiten Weg vor uns. Die Politik darf sich nicht in schönen Floskeln zum Frauentag erschöpfen. Frauentag ist nicht nur am 8 März, er ist täglich. Er ist so alltäglich, wie die Gewalt gegen Frauen alltäglich ist. Was von der Politik benötigt wird, dringend: mehr Ressourcen, Kraft und Willen, sich dem entschlossen entgegenzustellen. Das haben die Frauen verdient. Nein. Es steht ihnen zu.
Titelbild: ZackZack