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»Nicht ausgeschlossen, dass Moskau Konfrontation mit NATO sucht« – Pressestimmen

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»Nicht ausgeschlossen, dass Moskau Konfrontation mit NATO sucht« – Pressestimmen

Pressestimmen zum Ukrainekrieg

Internationale Pressekommentare befassen sich auch am Freitag mit dem Kriegsgeschehen in der Ukraine und den Folgen.

Wien, 25. März 2022 |

Der Zürcher “Tages-Anzeiger” schreibt:

“Die Ukrainerinnen und Ukrainer kämpfen nicht nur für die Freiheit ihres Landes. Setzen sich die russischen Streitkräfte durch oder kann Putin etwa nach einem Waffenstillstand und einem schmutzigen Deal einen Teil des Landes behalten, wären Balten und Polen als Nächste im russischen Visier. Während die Westeuropäer die Abhängigkeit vom russischen Gas zementiert haben und selbst nach der Annexion der Krim rasch wieder zur Tagesordnung übergingen, haben die Osteuropäer schon länger vor dem aggressiven Charakter des Regimes in Moskau gewarnt und leider recht bekommen.

Der Ernst der Lage sollte inzwischen allen bewusst sein: Der dreifache Gipfel von NATO, G-7-Staaten und EU mit US-Präsident Joe Biden war eine Demonstration der Geschlossenheit. (…) Gut möglich ist allerdings, dass Putin den Westen zum nächsten Schritt zwingt, wenn er tatsächlich Gas und Öl nur noch gegen Rubel liefert oder den Vernichtungskrieg in der Ukraine weiter eskalieren lässt. Balten, Polen und Finnen hätten dann mit ihren Mahnungen einmal mehr recht behalten. Leider ist auch nicht ausgeschlossen, dass Moskau die Konfrontation mit der NATO sucht. Der Westen ist jedenfalls gewarnt.”

“NZZ” (Zürich):

“77 Jahre nach der Bezwingung Hitlers ist Amerika weiterhin die beste Garantie dafür, Freiheit und Demokratie in Europa vor größenwahnsinnigen Diktatoren zu beschützen. Ohne den zwar nicht selbstlosen, aber beherzten und durchdachten Einsatz Washingtons wäre die Ukraine als Staat vielleicht bereits kollabiert und das Baltikum in Untergangsstimmung. Biden mag durch einen historischen Zufall in seine Rolle gefunden haben. Aber es ist schwer vorstellbar, dass einer seiner Rivalen im Präsidentschaftswahlkampf 2020 die USA in der heutigen Krise zu einer überzeugenderen Leistung geführt hätte. Sowohl Trump, der bei unbelehrbaren Rechtsaußenpolitikern hierzulande noch immer Bewunderung genießt, als auch Bernie Sanders, das Idol der radikalen europäischen Linken, wären denkbar ungeeignet für diese Aufgabe gewesen.

Auch über Biden ist das historische Urteil noch längst nicht gesprochen. Das Potenzial für katastrophale Fehlentwicklungen im Zuge dieses Krieges bleibt hoch. Aber für den Moment bleibt anzuerkennen, dass Biden seiner Präsidentschaft neues Leben eingehaucht hat. (…) Kamala Harris gewinnt in dieser Krise nicht an Statur und überzeugte jüngst auch bei ihrem Besuch in Osteuropa nicht. So sinkt ihr Stern, während jener Bidens steigt.”

“de Volkskrant” (Amsterdam):

“Es war der Tag, an dem die Spitzenrepräsentanten der westlichen Welt sich in feinen dunkelblauen Anzügen und schicken Kostümen in Brüssel zusammenstellten, um ihre Einheit und ihre Entschlossenheit angesichts der Aggression Präsident Wladimir Putins zu demonstrieren. Und das taten sie auch. Doch es war dann der in militärisches Grün gekleidete Präsident Wolodymyr Selenskyj, der sie per Videoverbindung am Kragen packte und mit der Nase in das Gemisch von Blut und Schlamm auf dem Schlachtfeld drückte. Auf Orte, wo Ukrainer einen Monat nach dem Ausbruch des Krieges gezwungen sind, ihre Toten in Straßengräben oder Vorgärten zu beerdigen. Auf Schauplätze unmenschlicher Szenen, wie sie Europa, so Selenskyj, seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr kannte.”

“The Irish Times” (Dublin):

“Nur drei Tage nach dem Beginn von Putins Krieg in der Ukraine gab es für Bundeskanzler Olaf Scholz von den Bundestagsabgeordneten stehende Ovationen für sein Versprechen, die jährlichen Militärausgaben zu erhöhen, um die deutschen NATO-Verpflichtungen zu erfüllen. (…) Seitdem hat seine Koalition – kaum 100 Tage im Amt – damit begonnen, den Status quo der deutschen Nachkriegsordnung in Windeseile umzugestalten. Eine neue russische Gaspipeline nach Deutschland liegt ungenutzt und leer unter der Ostsee, während Berlin nach neuen, nicht-russischen Energiequellen Ausschau hält. Tabubrechende deutsche Waffenexporte in die Ukraine, vor sechs Wochen noch undenkbar, sind der neue Normalzustand.

Aber das war der einfache Teil. Den Schwung aufrechtzuerhalten und die Erwartungen der Partner zu erfüllen, wird unendlich schwieriger sein. (…) Die Versuchung Deutschlands, sich in sein Schneckenhaus zurückzuziehen, ist immer da. Ob die Regierung Scholz die politische und öffentliche Unterstützung für das, was kommen wird, aufrechterhalten kann, hängt davon ab, ob sie ein überzeugendes Narrativ für die Unumgänglichkeit findet. Sonst könnte Olaf Scholz sein Land – und Europa seinen unverzichtbaren Partner – als Folge einer ängstlichen Nabelschau doch noch verlieren.”

“The Times” (London):

“Um Putins Kriegsmaschinerie ernsthaft zu schaden, muss der Westen seine Abhängigkeit von russischer Energie reduzieren, idealerweise auf Null. (…) In der Tat muss eine schnelle Niederlage Putins jetzt das klare Ziel der westlichen Politik sein, und nicht ein chaotischer Kompromiss und ein Friedensabkommen, wie es einige westliche Regierungschefs zu bevorzugen scheinen. Selbst wenn Russland nur einen Teilsieg erringt, birgt dies ernste Sicherheitsrisiken, sofern Putin dadurch Zeit gewinnt, seine Kräfte neu zu formieren und seine aggressiven Ambitionen weiter zu verfolgen.

Der größte Test für die Entschlossenheit könnte kommen, wenn Putin Kiew einen Waffenstillstand anbietet, nachdem er weitere Gebietsgewinne im Süden und Osten erzielt hat. Der Westen könnte dann unter Druck geraten, die Sanktionen als Bedingung für eine Einigung zu lockern. Es ist jedoch wichtig, dass die Verbündeten standhaft bleiben. Sie müssen deutlich machen, dass die Waffenlieferungen so lange fortgesetzt werden, wie die Ukrainer bereit sind zu kämpfen, und dass keine einzige Sanktion aufgehoben wird, ehe der letzte russische Soldat ukrainischen Boden verlassen hat.”

“Nepszava” (Budapest):

“Die Situation des Westens gegen das russische Reich entspricht jener eines Terrorismusbekämpfers gegen einen instinktgesteuerten, also irrational denkenden Geiselnehmer. Da reicht ein einziger falscher Schritt, ein falsch gewähltes Wort, um dem Geiselnehmer das Gefühl zu geben, dass er keine Chance mehr habe. Dieses Problem muss der Westen bewältigen.

Das Paradoxon besteht darin, dass in dieser Situation ständige Nachgiebigkeit, Appeasement-Politik (…) keine Lösung ist (…). Nachgiebigkeit ist ein Zeichen der Schwäche und führt deshalb zu immer neuen Erpressungen. In diese Sackgasse mündete auch die westliche, hauptsächlich britische Politik von 1935 bis 1939. Diese erfolglose Politik hat der heutige Westen bis zum Angriff (Russlands) auf die Ukraine wiederholt.”

“Verdens Gang” (Oslo):

“Jens Stoltenberg macht als Generalsekretär der NATO weiter. In einer angespannten und unsicheren Zeit für Europa ist das eine kluge Entscheidung. Russlands Kriegsführung in der Ukraine hat zu der ernstesten sicherheitspolitischen Lage in Europa seit mehreren Jahrzehnten geführt. Die NATO braucht einen stabilen Kurs und einen Generalsekretär mit langjähriger internationaler Erfahrung und tiefgründigem politischen Verständnis. Das hat Stoltenberg. Kontinuität ist wichtig, wenn so viel auf dem Spiel steht. Stoltenberg weiß, was es an diplomatischen Fähigkeiten braucht, um eine Allianz mit 30 Mitgliedsländern zusammenzuhalten. Das hat er in der Praxis acht Jahre lang bewiesen.”

“La Vanguardia” (Madrid):

“Der Zusammenhalt des Westens ist heute viel stärker als in den vergangenen Jahrzehnten. Der (russische) Einmarsch (in die Ukraine) hat sowohl in der EU als auch in den USA zu einer raschen Reaktion in Form von strengen Wirtschaftssanktionen gegen Russland geführt. Es gab aber auch konkrete Entscheidungen einzelner Länder, wie zum Beispiel von Deutschland, das in einer historischen Wende seine Verteidigungsausgaben vervielfacht hat (…).

Die Beziehungen zwischen den USA und der EU machen zur Zeit also eine gute Phase durch. Viel mehr als in den Tagen der Amtszeit von Donald Trump, der sogar einen Austritt aus der NATO erwogen hat. Das alles bedeutet allerdings nicht, dass die amerikanischen und europäischen Interessen identisch sind. Sie sind es nicht. Und auch ihre Abhängigkeit vom russischen Gas ist nicht dieselbe. Genauso wenig wie die Meinungen zu einer Verschärfung der Sanktionen.”

“Le Figaro” (Paris):

“Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat am Mittwoch vor dem französischen Parlament groß ausgeholt gegen die Unternehmen, die noch immer in Russland präsent sind. Seit Beginn des Konflikts fühlten sie sich unwohl und nun beschuldigt sie das Hauptopfer, dass sie ‘Putins Kriegsmaschinerie’ unterstützen und forderte sie auf, sich auf unbestimmte Zeit zurückzuziehen. (…)

Für ein komplexes Problem gibt es selten eine einfache Lösung. Fabriken und Geschäfte über Nacht zu schließen, so Tausenden von Menschen die Arbeit wegzunehmen und ins Elend zu stürzen und ihnen die Lebensgrundlage zu entziehen, führt mit Sicherheit zu einem großen Chaos. Aber bestraft man damit Wladimir Putin oder nur das russische Volk? Unterstützt man so den Widerstand gegen den Diktator im Kreml oder gegen die Ungerechtigkeit des Westens? (…)

Es gibt noch viele andere wirtschaftliche Hebel, die in Bewegung gesetzt werden können, um den Druck auf Wladimir Putin zu erhöhen. Dazu gehört auch die ultimative Waffe: die Einstellung der Gaskäufe. (…)”

“WSJ” (New York):

“Eine Reihe schlechter Nachrichten außerhalb Europas in dieser Woche erinnert daran, dass die USA und ihre Verbündeten an mehreren Fronten mit Herausforderungen durch autoritäre Regime konfrontiert sind. Nordkorea feuerte am Donnerstag eine interkontinentale ballistische Rakete ab (…). Der Test zeigt erneut, dass Pjöngjang das Festland der USA bedrohen könnte. (…) Unterdessen baut China seine militärische Reichweite im Pazifik weiter aus. (…)

China könnte möglicherweise mit den Salomonen über ein Sicherheitsabkommen verhandeln (…). Der Deal könnte irgendwann dazu führen, dass chinesische Streitkräfte nur wenige Flugstunden von Australien entfernt in dem Land im Südpazifik stationiert werden. (…) Unser Rat an die Salomonen und andere kleinere Nationen ist, es sich zweimal zu überlegen, bevor sie sich mit Peking oder Moskau zusammentun.

Russlands Invasion in die Ukraine und Chinas Unterstützung für Russland helfen dabei, klarzustellen, wer Freunde der freien Welt sind und wer nicht. (…) Amerikas engste Verbündete sind Erfolgsgeschichten wie Japan, Deutschland, Polen und Südkorea. Der Westen ist nicht perfekt, aber wen hätten Sie lieber auf Ihrer Seite?”

(apa)

Titelbild: APA Picturedesk

Autor

  • Markus Steurer

    Hat eine Leidenschaft für Reportagen. Mit der Kamera ist er meistens dort, wo die spannendsten Geschichten geschrieben werden – draußen bei den Menschen.

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