Arbeiterkammer:
Bis Dezember hätte Österreich eine EU-Richtlinie zum Schutz von Whistleblowern in nationales Recht gießen müssen. Bisher hat es das nicht getan, ein Vertragsverletzungsverfahren seitens der EU läuft. Die Arbeiterkammer warnt, dass Aufdecker derzeit unzureichend geschützt sind.
Wien, 11. April 2022 | Österreich ist bei der Umsetzung der Whistleblower-Richtlinie, die auf EU-Ebene längst beschlossen wurde, stark in Verzug. Diese hätte bis 17. Dezember 2021 in nationales Recht umgesetzt werden müssen, in Österreich ist bis jetzt nichts passiert. Deshalb hat die Europäische Kommission im Februar ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet. Die NGO Amnesty International hat in ihrem aktuellen Bericht eine Reihe von Menschenrechtsverstößen seitens Österreich festgestellt und die Untätigkeit der Politik kritisiert – unter anderem in Sachen Whistleblower-Schutz.
Beim Whistleblowing geht es um das Aufdecken und Weitergeben von Missständen oder kriminellen Machenschaften durch Insider, die meist als Mitarbeiter einen privilegierten Zugang zu Informationen haben. Angesichts mehrerer Skandale wie dem Facebook-Datenleck oder den sogenannten Panama Papers, die erst durch Whistleblower öffentlich wurden, legte die EU-Kommission im April 2018 einen Vorschlag zum einheitlichen Schutz der Hinweisgeber vor.
Aufdecken ist “Glücksspiel für Arbeitnehmer”
Die Arbeiterkammer (AK) befürchtet, dass Hinweisgeber hierzulande unzureichend geschützt würden, wenn nur das EU-Recht zur Anwendung kommt und die Umsetzung nicht auf österreichisches Recht ausgedehnt wird. Eine Umsetzung in der Sparvariante, die nur EU-, aber nicht österreichisches Recht umfasst, ist laut einem Gutachten im Auftrag der AK verfassungswidrig, so AK-Jurist Walter Gagawczuk am Montag laut einer Aussendung.
Die Mithilfe bei der Aufdeckung von Wirtschaftskriminalität, Korruption und Co. dürfe nicht länger ein “Glücksspiel für Arbeitnehmer” bleiben. “Die Richtlinie muss rasch umgesetzt werden und den vollen Schutz für Whistleblower bieten”, fordert Gagawczuk. Dass Whistleblower einmal geschützt sind und einmal nicht, je nachdem, ob EU-Recht betroffen ist oder “nur” österreichisches Recht, würde dem Gleichheitsgrundsatz widersprechen, verweist die AK auf ein Rechtsgutachten des WU-Professors Harald Eberhard.
„Verfassungswidrige Rechtsunsicherheit“
Die zweite Verfassungswidrigkeit einer Sparvariante sieht der Experte darin, dass das Rechtsgebiet über 130 EU-Richtlinien und mehrere Hundert daraus abgeleitete Gesetze umfasst. “Das eröffnet einen zu großen Auslegungsspielraum und führt zu einer verfassungswidrigen Rechtsunsicherheit: Denn eine Regel, die für vergleichbare Sachverhalte für die gleiche Personengruppe mal gilt und mal nicht, ist für die Rechtsanwender nicht nachvollziehbar”, heißt es.
Als Beispiel nennt AK-Jurist Gagawczuk die Wirecard-Affäre: “Hier geht es um Betrug und Bilanzfälschung. Um zu wissen, ob ein Whistleblower unter den Schutz der Richtlinie fällt oder nicht, müssten derzeit 21 EU-Richtlinien, aus denen zig Gesetze abgeleitet wurden, geprüft werden.”
(apa/pma)
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