Dienstag, Juli 22, 2025

Financial Times über Österreichs Politik: »Alles wird zur Operette«

Financial Times über Österreichs Politik:

Manchmal braucht es einen Blick von außen, um die Absurditäten in ihrer Gesamtheit zu sehen. Die britische „Financial Times“ fasste in einem Kommentar Österreichs Skandale und die bisherige Kanzlerschaft Nehammer zusammen: Wenig schmeichelhaft.

Wien, 18. Mai 2022 | Dass Österreich seit Jahren von Mikroskandalen und Staatsaffären erschüttert wird, dürfte für wenige eine Neuigkeit sein. Doch wie der „Financial Times“-Journalist Sam Jones in einem Kommentar in der renommierten britischen Zeitung festhielt, haben die Skandale „ihre ganz eigene Qualität, die oft noch um einiges verworrener ist als anderswo.“

“Gemma hoit a bisserl unter”

Im Rückblick über die Skandale in Österreich und die bisherige Kanzlerschaft Nehammers lässt er dabei so gut wie kein gutes Haar. Dazu zitiert er gleich zum Einstieg den österreichischen Kabarettisten Jura Soyfer: “Gemma hoit a bisserl unter”.

Besonders Kanzler Karl Nehammer kommt in dem Kommentar nicht gut weg. Nehammers Krone-Interview vom Beifahrersitz im Februar „ließ nichts Gutes ahnen“. Damals stand der Kanzler bereits unter Druck, die erste Charge der BMI-Chats – die ZackZack veröffentlichte – sorgte für Erklärungsnot. Dass sich die Kanzlergattin spontan vom Fahrersitz aus ins Interview reklamierte, dass sie ja nicht gewusst habe, dass man in einem Kanu nicht aufstehen darf, sorgte zumindest für Stirnrunzeln bei Beobachtern. Jones meint zum Interview: „Ungeschrieben und unvorbereitet hatte er sich offenbar aus einer Laune heraus dazu entschlossen. Vielleicht wollte er damit einen anderen Ton anschlagen als Kurz, der sich mit Spin-Doktoren umgibt. In der Wiener Klatschpresse wurde das als lächerlich, wenn nicht gar als rücksichtslos empfunden.“ Auch der Politikbeobachter Thomas Hofer, wird erwähnt: “Alles in Österreich wird zur Operette.”

Auch die nachfolgende Cobra Libre-Affäre der Familie Nehammer schließt sich nahtlos für Jones an. Auch die „gut gemeinte, aber schlecht bewertete Reise zu Wladimir Putin“ reiht sich in das Bild Nehammer ein: „Auch hier schien er schlecht beraten worden zu sein. Einige Politiker fragten sich, ob Katharina bei der Beratung der Reise eine Rolle gespielt hatte. Andere sagen, die Reise sei die Schuld von Kai Diekmann, dem ehemaligen Herausgeber der deutschen Boulevardzeitung Bild, der das Ohr des Kanzlers hat.“

Die Summe an Mikroskandalen machts aus

Neben ungalanten Auftritten sorgen jedoch auch die großen Skandale für kein gutes Bild von Österreich. Die „Financial Times“ listet etwa die Inseratenaffäre und die Vorarlberger Wirtschaftsbund-Causa als Negativbeispiele. Abschließend dazu: „Einzeln betrachtet scheint natürlich keine dieser Mikroskandale oder Rokoko-Hofintrigen besonders bedeutsam zu sein. Aber in ihrer Gesamtheit scheint ihre schiere Menge etwas Verwerfliches über das österreichische Regierungssystem zu sagen: Kratzt man an der Oberfläche, gibt es fast überall im Land, auf jeder Ebene der Regierung, etwas zu bemängeln.“

Der ganze Kommentar der “Financial Times”.

(bf)

Titelbild: APA Picturedesk

Autor

  • Benedikt Faast

    Redakteur für Innenpolitik. Verfolgt so gut wie jedes Interview in der österreichischen Politlandschaft.

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