Österreichs Medien sind besessen vom Geraunze über Andreas Babler. Der SPÖ-Chef ist das Lieblingsthema in den Kommentarspalten und Analysen. Dabei hat Österreich ganz andere Themen zu bewältigen.
Da Österreich seit der Kanzlerschaft von Sebastian Kurz in allen Rankings im Sinkflug ist, sollte eine Fähigkeit hervorgehoben werden, in der es immer noch Weltmeister ist: im Raunzen. Am Samstag habe ich mir alle österreichischen Zeitungen (in Print wie man heute sagt) besorgt und die seitenweisen Betrachtungen zur »Regierungssuche« gelesen. Aber statt Analytischem, finde ich dort nur Geraunze. Hauptsächlich natürlich über die SPÖ und vor allem Andreas Babler.
Man kann der sogenannten bürgerlichen Presse immer wieder erzählen, dass es Christian Stocker war, der zuerst gesagt hat, keine Koalition mit der Kickl-FPÖ einzugehen, dann eine solche bilden wollte und jetzt ohne Regierung dasteht. Man kann darauf hinweisen, dass die stärkste Fraktion im Nationalrat, die FPÖ, bisher nicht zu einer Regierungsbildung bereit war. Daran schuld ist die SPÖ. Und warum? Weil sie die eine Partei ist, die Österreich regieren kann. Und es wäre auch an der Zeit, dass der Bundespräsident ihren Vorsitzenden mit der Regierungsbildung beauftragt.
Das Raunzen beginnt in der Zeitung Die Presse schon auf der Titelseite im Leitartikel von Florian Asamer:
Ich weiß nicht, in welchem Land Herr Asamer lebt. Er redet von Budgetproblemen? Die Finanzministerinnen und -minister stellt seit 25 Jahren die ÖVP (da rechne ich Grasser dazu, den Schüssel unbedingt wollte und in den Himmel gelobt hat). Ein »Weiter wie bisher«? Die SPÖ ist seit sieben Jahren in der Opposition; »Weiter wie bisher« hieße für sie also: Zuschauen, wie die ÖVP durch die Förderung von Großkapitalisten und Betrieben (die jetzt alle in Pleite gehen wie Benko, Pierer, Ho und Palmers) den Staatshaushalt runiniert. Und den sozialpartnerschaftlichen Kompromiss gibt es nicht mehr, seit ein gewisser Sebastian Kurz diesen traditionellen Verhandlungsweg aufgegeben hat.
Das Babler-Bashing vor der Wahl, das jetzt ein Babler-Geraunze und Babler-Gemaule geworden ist, ist kaum mehr auszuhalten. Da war Faymann zu technokratisch, Kern (wiewohl er einen großen Betrieb erfolgreich geführt hatte) »kein guter Politiker«, Rendi-Wagner nicht wirklich sozialdemokratisch und jetzt ist die SPÖ »tiefrot« wie lange nicht. Wie sollte sie denn sein: dunkelbraun, regenbogenfarben, durchsichtig? Man geht also auf die Suche nach zweifelhaften Führungsfiguren. Die Kleine Zeitung findet eine solche in Doris Bures:
Auch der Herr Hämmerle kann sich nicht daran erinnern, dass die große Koalition von Sebastian Kurz aufgekündigt wurde. Die Gräben damals bestanden innerhalb der ÖVP zwischen der Mitterlehner- und der Kurz-Fraktion. Alles schon wieder vergessen. Auch Die Presse sucht den wahren SPÖ-Anführer im Parlament und findet Philip Kucher:
In den Salzburger Nachrichten vermerkt Marian Smetana zynisch, dass eine Rückzugsaufforderung von Tirols ÖVP-Chef Mattle an Babler, diesem innerparteilich geholfen habe:
Nach diesem Wochenende lese ich bestimmt zwei Wochen keine Politiknachrichten in Österreichs Zeitungen mehr. Kann es nicht einfach sein, dass man, wenn man eine Koalition mit Sozialdemokraten macht, akzeptieren muss, dass diese sozialdemokratische Forderungen erheben, mit denen Kompromisse zu schließen sind?
Muss die oder der nächste Vorsitzende der ÖVP zu allen bürgerlichen Chefredakteurinnen und -redakteuren gehen und fragen, ob sie oder er eh als Parteichef oder Parteichefin genehm ist? Bestimmt hat es Viktor Adler auch so gemacht: Bevor er die Arbeiterbewegung gegründet hat, hat er bei der Reichspost nachgefragt, ob das okay ist – oder ob er einfach zu tiefrot ist.
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