Darf ein Angeklagter den Parlamentsklub der Kanzlerpartei anführen? Und darf ZackZack nach Ansicht der Strafjustiz den Fall „Pilnacek“ aufklären? Nur die erste Antwort lautet „Ja.“
Mitten im härtesten Sparen hat die Regierung ihr Budgetherz für eine Gruppe entdeckt: für die Pendler. Für August Wöginger ist das ein kleiner Trost.
Mit seiner Anklage wegen Amtsmissbrauchs pendelt der ÖVP-Klubobmann schon bald zwischen Abgeordnetenbank und Anklagebank. Dazwischen koordiniert er an einem Tag seine Anwälte, am anderen die Bundesregierung. Als Spezialist für viele Details wird Wöginger sicherlich wissen, wie man die Pendlerpauschale für den Dienstwagen berechnet.
August Wöginger steht für die neue ÖVP, deren „V“ in der Mitte des Parteinamens vielleicht mehr mit Wögingers Problem als mit dem Volk zu tun hat. Aber man soll sich nichts vormachen: Der Angeklagte Wöginger ist immer noch die Ausnahme und noch lange nicht die Regel.
Regelfall „Pilnacek“
Im Regelfall läuft es wie bei den Pilnacek-Polizisten. Die WKStA verfolgte zwei von ihnen wie Wöginger wegen Amtsmissbrauchs. Immer mehr Belastendes kam zusammen, und im Dezember 2024 schien vieles bereits klar: Der Chefinspektor und sein Mitbeschuldigter wussten, dass es sich bei Pilnaceks Handy um ein Beweismittel handelte.
Die WKStA hielt fest, dass „die am 20. Oktober 2023 erfolgte Ausfolgung der persönlichen Gegenstände, insbesondere des möglicherweise beweisrelevanten Mobiltelefons (…) ohne Rechtsgrundlage in aller Eile ohne dokumentierte staatsanwaltschaftliche Einbindung erfolgt ist“.
„Ohne Rechtsgrundlage“ – das heißt illegal. „Ohne dokumentierte staatsanwaltschaftliche Einbindung“ – das heißt hinter dem Rücken des Rechtsstaats. Nichts anderes haben wir in ZackZack im März 2024 als erste beschrieben. Im Mai 2025 sind wir dafür verurteilt worden, von einem Richter, bei dem nicht nur ich den Eindruck hatte, dass Rechtsstaat bei ihm aus „rechts“ und „Staat“ besteht.
Die Amtsmissbrauchs-Ermittlungen gegen die Beamten sind dafür bereits eingestellt, rechtzeitig vor der Einsetzung des Untersuchungsausschusses. Das bringt mit sich, dass sich Chefinspektor Fellner und andere damit im Untersuchungsausschuss nicht mehr der Aussage entschlagen können.
Aufdecker verfolgt
Täter werden geschützt, Aufdecker verfolgt und verurteilt. ZackZack und ich stehen jetzt fast wöchentlich vor Gericht, weil wir unsere Arbeit erfolgreich machen. Unter den österreichischen Medien sind wir Teil einer schrumpfenden Minderheit, die noch überall nachforscht und über alles berichtet.
Früher waren noch Medien wie profil und Falter dabei. Heute beschränkt sich investigativer Journalismus auf drei Inseln: Der Standard, die Dunkelkammer und ZackZack. Manche unserer Geschichten greift die Kronen Zeitung auf. Viel mehr ist es nicht mehr.
Verbrecher regieren
Dürfen Verbrecher regieren? In Washington, Moskau, Budapest, Ankara und Jerusalem ist diese Frage mit einem ebenso deutlichen wie verheerenden „Ja“ beantwortet worden. Bei uns ist es noch nicht ganz so weit. Wir sind noch am Weg.
Vor vielen Jahre war die österreichische Antwort klar: Nein. Wenn sie einmal Beschuldigte sind, dann haben sich die betroffenen Politiker für die Zeit ihres Verfahrens aus ihrem Amt zurückzuziehen. Dann wurde alles weicher: Man könnte ja völlig zu Unrecht beschuldigt sein, aber wenn man einmal Angeklagter ist… Karl Mahrer hat als erster Angeklagter die ÖVP in die Wien-Wahl geführt. August Wöginger führt sie jetzt weiter durch eine fragile Koalition.
Mich wundert nicht, dass das in der ÖVP möglich ist, weil dort seit Sebastian Kurz alles möglich scheint. Mich wundert nur, dass das niemanden mehr aufregt. Angeklagte in politischen Schlüsselpositionen sind zur Normalität geworden. Die Kommentatoren, die sich früher um den ersten Stein gestritten hätten, werfen jetzt nichts mehr. Sie sind abgestumpft, so wie viele, die einfach aufgegeben haben, weil der Glaube an ein Recht, das für alle gilt, verloren gegangen ist.
Zwei Welten
Wenn diese Frage nach der Regierungsfähigkeit von Angeklagten einmal im Sinn des politischen Verbrechens geklärt ist, beantwortet sich die Folgefrage von selbst: Dürfen mögliche Verbrecher Verbrechen „aufklären“?
Seit mehr als einem Jahrzehnt ist die Oberstaatsanwaltschaft Wien der Ort, in dem das „Daschlogn“ von Verfahren von Benko bis Eurofighter zelebriert worden ist. Dort laufen die wichtigsten Fäden der Organisierten Justiz zusammen.
Im Fall „Pilnacek“ hat sie noch einmal gezeigt, was sie kann. Aber auch für sie wird es jetzt ernst. Am kommenden Mittwoch wird der Pilnacek-Untersuchungsausschuss im Nationalrat eingesetzt. Parlament und Justizpalast trennt zwar räumlich nur der kleine Park am Wiener Schmerlingplatz. Aber politisch liegen Oberstaatsanwaltschaft und Untersuchungsausschuss in verschiedenen Welten.
Im Herbst werden sie aufeinandertreffen.
Für August Wöginger und eine Reihe von Vertretern von Strafjustiz und Kriminalpolizei gelten Unschuldsvermutungen.
p.s.: Auch hier im obersteirischen Lamingtal wird der österreichische Sieg beim Song Contest kenntnisreich bejubelt: „Kaunst di no aun den Schoko erinnern, den Schachner Walter? Der woa a Konterstürmer. Und jetzt a Kontertenor. Wir san eben Wödmasta im Kontern.“ Das gibt auch für den parlamentarischen Konter gegen die Organisierte Justiz Hoffnung.