Sonntag, Juli 20, 2025

Die zerfallenden Staaten von Amerika

Donald Trump errichtet seine Autokratie wie aus dem Lehrbuch für Diktatoren. Am Ende könnten die USA sich sogar auflösen.

Schon seit einigen Jahren gibt es regelmäßig gelehrte Analysen, die sich der Frage stellten: „Können die USA zerfallen?“ Für die meisten normalen Zeitungsleser und entfernten Beobachter des Zeitgeschehens ist diese Frage bisher reichlich absurd erschienen: Die USA zerfallen? Wieso das denn? Ist doch völlig unmöglich!

Wir sehen aber heute immer häufiger, dass das Undenkbare denkbar wird. Vor der US-Wahl im vergangenen Herbst hatten aufmerksame Zeitgenossen schon mit sehr viel Besorgnis darauf hingewiesen, dass eine zweite Präsidentschaft von Donald Trump radikal ausfallen würde. Die ultrarechte Pressure-Group um Trump wollte sich nicht wieder unvorbereitet ins Amt begeben wie beim letzten Mal und dann auf routinierte Regierungsfunktionäre in der zweiten Reihe angewiesen sein, die sie einbremsen.

Trumps Radikale hatten sich darauf vorbereitet, extrem vorzugehen. Das Land sollte entschlossen umgebaut werden. Und genau so hatten sie es getan. Die Regierungsämter wurden an Radikale vergeben, auch wichtige andere öffentliche Institutionen wie das FBI, das der ultraloyale Trump-Bewunderer Kash Patel übernahm. Elon Musk fuhr wie ein Berserker durch die Ministerien, was die Funktionsfähigkeit der Institutionen zerstörte und etwaige aufmüpfige Bürokraten einschüchterte.

Lehrbuch für Diktatoren

Man ging gleich gegen die Universitäten vor, allen voran Harvard. Das Prinzip: Es reicht, wenn man eine prominente Institution öffentlich fertig macht, damit alle anderen eingeschüchtert sind. In die Straßen der Städte schickte man schwer bewaffnete Paramilitärs, die Leute einfach im Handumdrehen verschwinden ließen, internierten und im Extremfall sogar in Gefangenenlager nach El Salvador deportierten. So breitete sich ein Klima der Angst aus.

Die Regierung brach am laufenden Band Recht, mit dem Kalkül, dass dann selbst Gerichte nicht mehr damit nachkommen würden, das Recht wiederherzustellen. Und für den Notfall hatte man den Supreme Court – also das Höchstgericht – sowieso mit Parteileuten besetzt. Die letzten unbotmäßigen Richter schüchterte man ein. Es ist eine Schock- und Überwältigungskampagne wie aus dem Lehrbuch zur Errichtung eines totalitären Regimes.

Wer das ABC „So werde ich Diktator in zehn einfachen Schritten“ kennt, wusste auch, wie es üblicherweise weitergeht: Es wird durch besonders rigoroses Vorgehen entweder ein echter Aufruhr herbeigeführt – oder es wird einer inszeniert – auf den man dann wiederum mit noch mehr autoritärer Repression reagieren kann. Wenn man das geschickt anstellt und durch Desinformation begleitet, hat man sogar einen großen Teil der Bevölkerung hinter sich, denen man das Vorgehen als notwendige Maßnahme gegen Übeltäter verkaufen kann.

Genau das geschah, als es jetzt in Los Angeles zu Protesten gegen Trumps Paramilitärs von der ICE (United States Immigration and Costoms Enforcement) kam. Sofort schickte Trump erst die Nationalgarde. Und dann wurden sogar 700 Mann Spezialeinheiten der Armee – die „Marines“ – auf den Weg gegen die eigene Bevölkerung geschickt. Los Angeles ist in Kalifornien, also einem demokratischen Staat, was sicherlich Teil des Plans war.

Der Zerfallsprozess der USA

Trump sucht den Konflikt, er sucht die Polarisierung und er will auch den Aufruhr, um brutale Repression zu rechtfertigen. So weit, so üblich. Aber in den USA kommt noch etwas hinzu.

Die „vereinigten Staaten“ sind immer schon nur „ein bisschen vereinigte Staaten“. Die Bundesstaaten haben eine starke Stellung, die Bundesregierung eine begrenzte. Die politischen Kulturen der einzelnen Bundesstaaten sind sehr unterschiedlich, ebenso die Mentalitäten. Die Weite des Territoriums tut das seine dazu. Die Polarisierung der vergangenen Jahrzehnte führte dazu, dass die Antagonismen noch stärker wurden.

Der innere Zusammenhalt, das minimale „Wir“-Gefühl, das ein Gemeinwesen auch braucht, schwindet immer mehr. Schon jetzt ist das Land in immer mehr separate Rechtsräume zerfallen, in denen in wesentlichen Fragen unterschiedliche Gesetze herrschen. Der Oberste Gerichtshof unterstützte diesen Prozess sogar. Kurzum: Ein innerer Zerfallsprozess des Landes ist längst im Gange.

Ein solcher Zerfallsprozess kann chaotisch verlaufen, Ergebnis eines Prozesses sein, den niemand wollte, wenn das Unheil gleichsam seinen Lauf nimmt. In den USA kommt aber noch eines hinzu: Im Lager von Trump gibt es genügend Leute, die einem solchen Zerfall der USA sogar etwas abgewinnen können. Die radikalen Libertären – Leute wie Peter Thiel, wahrscheinlich auch Figuren wie JD Vance, also der hochideologische, steinzeitliberale Flügel – halten einen solchen Zerfall für keine schlechte Sache. Ja, sogar für eine gute Sache. Denn sie wollen schwache Staaten, in denen der Reiche und Mächtige den Ton angibt und von möglichst wenig Gesetzen in seiner „Freiheit“ begrenzt wird. Wenn große Staaten in unzählige kleine Mikronationen, Stadtstaaten und Quasi-Unternehmen zerfallen, die auch noch untereinander im Wettbewerb stehen um Kapital, Arbeitskräfte, Unternehmen, zwischen denen eine Dumpingkonkurrenz um niedrige Steuern herrscht – dann halten sie das für erstrebenswert. Sie glauben, das ist zu weit hergeholt, eine komische Phantasie, die mit der Wirklichkeit nie etwas zu tun haben wird? Seien Sie vorsichtig. Denn: Was von dem bisher Geschehenen hätten sie vor einem halben Jahr noch für völlig unmöglich gehalten?


Titelbild: Miriam Moné, https://pixabay.com/illustrations/united-states-cracks-cracked-broken-2517523/

Autor

  • Robert Misik

    Robert Misik ist einer der schärfsten Beobachter einer Politik, die nach links schimpft und nach rechts abrutscht.

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