Sonntag, Juli 20, 2025

Intellektuell und moralisch nicht gerüstet

Mit der sogenannten Messengerüberwachung einigt sich die Regierung auf etwas, von dem sie selbst nicht weiß, was es sein soll. Entweder wird viel Geld sinnlos ausgegeben. Oder man arbeitet an genereller Überwachung und Generalverdacht gegen die Bevölkerung.

Im nächsten Leben möchte ich es bequemer haben. Daher habe ich mich entschlossen, nach meiner Wiedergeburt Minister zu werden. Ich möchte aber ein Ressort, wo ich es leicht habe; daher suche ich mir den einfachsten Posten aus: Innenminister. Als Innenminister muss man nur gegen Zuwanderer hetzen und ständig sagen, dass einem Gesetzesverstöße und Gerichtsurteile egal sind, wenn es darum geht Menschen abzuschieben, zu drangsalieren oder unter Pauschalverdacht zu stellen. Eine leichte Aufgabe. Die Medien machen gerne mit. Säbelrasseln reicht völlig aus. Es stört auch nicht, wenn der martialische Ton von sachlicher Unfähigkeit begleitet wird.

Alle Innenminister der vergangenen fünfunddreißig Jahre passen in dieses Bild – mit einer Ausnahme: Caspar Einem. Er wurde für seine Intelligenz und Menschlichkeit prompt zum größten Feind der österreichischen Boulevardmedien, die das Säbelrasseln ohne Hirn geradezu herausfordern. Nehmen wir als Beispiel nur Karl Nehammer. In die nicht ganz zwei Jahre seiner Zeit als Innenminister fällt ein Terroranschlag in Wien, der ganz einfach verhindert werden hätten können: Dazu hätte man keinen Bundestrojaner, keine Messengerüberwachung, keine härteren Maßnahmen und kein höheres Budget gebraucht. Man hätte nur die Nachricht des Geheimdienstes eines Nachbarlandes lesen, verstehen, ihr nachgehen und danach handeln müssen. Doch für so eine Aufgabe ist Österreichs Innenministerium intellektuell offensichtlich nicht gerüstet.

Horror statt Terrorbekämpfung

Schon seit Kanzler Gusenbauer wird immer über Bundestrojaner und digitale Überwachung geredet in Österreichs Bundesregierungen. Seit Nine eleven, also seit fast fünfundzwanzig Jahren, gehen westliche Staaten konsequent den falschen Weg: Sie stellen die Menschen unter Generalverdacht. Wegen der miesen und unprofessionellen Sicherheit bei amerikanischen Inlandsflügen, die damals weltbekannt war, müssen sich seither Milliarden von Fluggästen sinnlos demütigen lassen, sich Nagelfeilen und Deodorants wegnehmen und ihre neuen Laptops und Tablets von unfreundlichen Wachdienstmenschen zerkratzen lassen. Kein einziger Terroranschlag wurde so verhindert. Doch der Horroranschlag der Verdächtigung gelang: Fluggast zu sein ist heute ein Horror.

Statt in gezieltem Einschreiten bringt der angebliche Kampf gegen den Terror flächendeckende Überwachung der Bevölkerung. Edward Snowden hat sie der Öffentlichkeit bekannt gemacht. Er hat sein bequemes Leben aufgegeben, um der Menschheit eine unangenehme Wahrheit mitzuteilen. Er ist ein profunder Kenner dessen, was da betrieben wird. Für seinen Mut und seine Qualifikation haben die USA ihn aber nicht zum Innenminister gemacht, was der richtige Schritt gewesen wäre, sondern sie haben auch ihn zum Terroristen ernannt.

Nur mit moralischer Festigung

Nun ist sich auch in Österreich die Regierung wieder einmal einig. Wie ich lese, »kommt die Messengerüberwachung«. Das ist eine Aufgabe, die eine quantitativ und qualitativ sehr große Herausforderung darstellt, die ein ständiges technisches Mitwachsen mit den Entwicklungen bedeutet, die aber vor allem moralische Festigung verlangt. Was wir von Mitarbeitern des Österreichischen Innenministeriums lesen mussten, die ohne Befugnis Daten mitnehmen und Diktatoren in andern Ländern Adressen und anderes verkaufen konnten, gibt uns kein überzeugendes Bild von dieser moralischen Festigung.

Es müssten zunächst einmal bestehende Möglichkeiten voll ausgeschöpft werden. Wie wir am Terroranschlag von Wien sehen, ist das nicht der Fall. Doch das ist egal. Wer so ein stümperhafter Innenminister wie Karl Nehammer ist, wird logischerweise danach Kanzler.

Abermilliarden Chats

Vermutlich wird es nun darauf hinauslaufen, dass das Innenministerium Schadsoftware kauft, die Sicherheitslücken ausnutzt. Diese Lücken bestehen in Chat- und Messengerdiensten oder Betriebssystemen und werden von den Herstellern, die allesamt nicht aus Österreich stammen, ständig geschlossen. Die Software muss also beständig angepasst werden. Wer programmiert sie?

Gelingt es, so an Chatnachrichten zu kommen, wird man schnell Abermilliarden von Chatnachrichten sammeln. Wer wird sie lesen? Niemand kann sie lesen. Man kann sie höchstens nach bestimmten Begriffen durchsuchen. Hier ist die Frage, wer innerhalb des Innenministeriums sicherstellt, dass es zu keinem Missbrauch kommt. Alles, was ich etwa in der Sache Wirecard und Russland-Spionage über das Innenministerium und BVT gelesen haben, stimmt mich sehr nachdenklich.

Reine Farce

Schon bei den sogenannten Abschiebungen erleben wir, wie falsch die Sache läuft. Keinem einzigen Terrorverdacht ist man nachgegangen, hat Straftäter verhaftet oder abgeschoben. Abgeschoben wurden gut integrierte Schülerinnen und das mitten in der Nacht von einem riesigen Polizeiaufgebot. Als diese Abschiebung von einem österreichischen Gericht als rechtswidrig erkannt wurde, sagte der Innenminister (in der ZIB2), dieser Rechtsspruch kümmere ihn nicht.

Eine solche Behörde muss anderswo ansetzen, um sich als Verhinderer von Gewaltverbrechen inszenieren zu können. Die Messengerüberwachung wird wahrscheinlich eine reine Farce werden oder sie wird eine gigantische flächendeckende Sammlung von bedeutungslosen Nachrichten, die rein logistisch zu verwalten eine enorme Herausforderung ist.

Demagogischer Unsinn

Gerade nach dem, was in Graz passiert ist, wird klar, wie wichtig es wäre, mit sozialen Maßnahmen auf jene zuzugehen, die möglicherweise zu Waffen greifen könnten. Symptomatischerweise arbeitet die Landesregierung dort schon an Kürzungen im Sozialbereich und Streichung von Geldern für Gewaltschutz und Extremismusprävention. Was soll man von einer solchen Behörde halten?

Eine moderne Gesellschaft ist nicht dann modern, wenn sie Handys zum Chatten benützt, aber gleichzeitig ihre atavistischen Generalverdächtigungen pflegt, die sich nicht gegen Gewalt richten, sondern gegen das, was ihr unliebsam ist. Das ist die falsche Richtung. Und wir gehen sie konsequent weiter. Schade, dass SPÖ und NEOS hier nichts Intelligenteres beitragen. Wie und was sie jetzt mitmachen, kann man nur als Umfaller bezeichnen. Und dem ständigen Angriff auf die Menschenrechte durch die FPÖ und auch durch Teile der ÖVP müssen sie entschieden entgegentreten und jede Politikerin und jeden Politiker aus ihren Parteien ausschließen, die oder der  bei diesem gefährlichen und verfassungsfeindlichen demagogischen Unsinn mitmacht.


Titelbild: Miriam Moné

Autor

  • Daniel Wisser

    Daniel Wisser ist preisgekrönter Autor von Romanen und Kurzgeschichten. Scharf und genau beschreibt er, wie ein Land das Gleichgewicht verliert.

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