Sonntag, Juli 20, 2025

Wo ist die EU?

Von Orbán bis Vucic trauen sich hunderttausende auf die Straßen, um gegen die Politik in Ungarn und Serbien zu demonstrieren. Doch beim Beitrittskandidaten Serbien ist die Unterstützung für die Demokratie von der EU kaum zu hören.

Ganz Europa hat am Wochenende miterlebt, wie die ungarische Regierung, unterstützt von europäischen Rechtsparteien, die immer dann ihren Kampf für Versammlungsfreiheit und Demokratie betonen, wenn es um ihre Versammlungen geht, eine große Versammlung in Budapest mit allen Mitteln verhindern wollte – und schließlich sogar verbot. Trotz des Verbotes kamen 200.000 Menschen um vor allem ein Zeichen gegen den autoritären Regierungschef Viktor Orbán zu setzen. Die APA berichtet:

Trotz Verbots fand am Samstag in Ungarns Hauptstadt Budapest die alljährliche Pride-Parade statt. Sie stand diesmal im Zeichen einer Kraftprobe zwischen der Regierung des extremen Rechtspopulisten Viktor Orbán und dem links-grün-liberalen Bürgermeister Gergely Karácsony.

Vorwand für das Verbot ist ein neues Gesetz. Man weiß ja, wie das ungarische Parlament durch ein Gesetz, das ganz der Methode der italienischen Faschisten unter Mussolini folgt, von einer Partei mit relativer Mehrheit bei den Wahlen mit Zweidrittelmehrheit beherrscht wird. Daher sind solche Vorwände leicht zu erzeugen:

Zehntausende Menschen schlossen sich bei sonnigem Wetter der Parade an. Die Organisatoren sprachen von bis zu 200.000 Personen. Viele schwenkten Regenbogenfahnen. Die von Orbáns Leuten kontrollierte Polizei hatte die Veranstaltung untersagt, weil sie nach ihrer Auffassung gegen das jüngst novellierte Versammlungsgesetz verstößt. Dieses ermöglicht nun das Verbot von Kundgebungen, wenn sie sich „gegen den Kinderschutz“ richten.

Vom Inland gesteuert

Aber nicht nur in Ungarn, auch in Serbien steht der Widerstand gegen das korrupte Regime nicht still. Seit dem sogenannten „Unglück“ von Novi Sad, bei dem sechzehn Menschen den Tod fanden, wird in Belgrad regelmäßig demonstriert. Und wie vielerorts berichtet wird, bringen die laufenden Proteste die Regierung unter Druck – erkennbar vor allem daran, dass sie alte Propagandamethoden ergreift und sich damit scheinbar selbst verteidigt – zum Beispiel die Behauptung, die Proteste seien vom Ausland gesteuert. Die TAZ schreibt:

Die Regierung steht wegen der Demonstrationen stark unter Druck. Die Studierenden, die die Proteste organisiert haben, stellten Präsident Aleksandar Vučić ein Ultimatum, bis Samstagabend um 21.00 Uhr Neuwahlen auszurufen. Vučić hatte die Forderung bereits am Freitag zurückgewiesen und erklärt, dass vor Ende 2026 nicht gewählt werde. Vučić bezeichnete die Proteste zudem erneut als vom Ausland gesteuert.

In Wahrheit aber, wie Adelheid Wölfl in Der Standard analysiert, scheint das Aufbegehren im Gegenteil vom Inland gesteuert zu sein, wo man sich gegen Repression zur Wehr setzt:

Auf die Kritik der Zivilgesellschaft und vieler Akademikerinnen und Akademiker im Lande reagiert das Regime mit zunehmender Repression. Universitätsprofessorinnen und -professoren, die die Proteste unterstützen, wurden die Gehälter gekürzt, manche erhielten zuletzt gar keinen Lohn mehr. Am 9. Juni blockierte eine Gruppe von Lehrkräften eine belebte Kreuzung vor dem Regierungssitz in Belgrad. Weil viele Fakultäten weiterhin blockiert bleiben, kommt es zu finanziellen Engpässen. Für das Vučić-Regime sind die freien Universitäten – ähnlich wie in den USA für die Regierung unter Donald Trump – ein rotes Tuch.

Die EU versteckt sich

Dass Vučić dabei breite Unterstützung erfährt – peinlicherweise auch von der EU – hat seine Gründe. Wölfl in ihrem Artikel weiter:

Der serbische Staatschef wird indes weiterhin von der Regierung in Russland, in China und allen westlichen Akteuren unterstützt. Insbesondere die USA und die EU stehen fest hinter ihm. Die EU und vor allem die deutsche Autoindustrie profitieren von einem Lithium-Deal, den Vučić mit ihnen abgeschlossen hat.

Wir haben schon im März berichtet, dass in Gesprächen mit Schriftstellerinnen und Schriftsteller und Studentinnen und Studenten in Serbien die EU regelmäßig Thema ist. Die für Demokratie und gegen Korruption Kämpfenden in Serbien sind von ihr bitter enttäuscht. Wenn die Wirtschaft mit Rohstoff-, Technologie- und Waffendeals der Europäischen Union wirklich mehr Wert ist als Demokratie und Freiheit, dann muss man Kritik an der EU äußern, die man nicht als rechts und rechtspopulistisch brandmarken kann. Die Faschisten und Autokraten in den EU-Staaten, die häufig exkulpiert und zum Machterhalt anderer sogar hofiert werden (vor allem Orbán und Meloni), sind ohnehin schon ein massives Problem der Union geworden. Angesichts der Bewegungen für Demokratie in Ungarn, Serbien und der Türkei muss man sich die Frage stellen, wo die Union steht.

Wieso gibt es keine Europa-Abgeordnete und keinen Europa-Abgeordneten aus Österreich, die oder der diese Probleme zur Sprache bringt und einen breiten Dialog anstößt? Wo versteckt sich der österreichische EU-Kommissar? Wieso gibt es niemanden in Österreich, der die kritischen Stimmen aus diesen Ländern einmal hierher einlädt und ihnen die Möglichkeit gibt, ihre Erfahrungen und Positionen der Öffentlichkeit darzustellen? Wo ist die EU?


Titelbild: BARBARA GINDL / APA / picturedesk.com, https://pixabay.com/illustrations/europe-flag-symbol-eu-european-4589473/

Autor

  • Daniel Wisser

    Daniel Wisser ist preisgekrönter Autor von Romanen und Kurzgeschichten. Scharf und genau beschreibt er, wie ein Land das Gleichgewicht verliert.

LESEN SIE AUCH

Liebe Forumsteilnehmer,

Bitte bleiben Sie anderen Teilnehmern gegenüber höflich und posten Sie nur Relevantes zum Thema.

Ihre Kommentare können sonst entfernt werden.

20 Kommentare

20 Kommentare
Meisten Bewertungen
Neueste Älteste
Inline Feedbacks
Zeige alle Kommentare
webseite artikeln seite(4)