Sonntag, Juli 20, 2025

Weil es gar nicht anders geht

Wer Frieden will, muss einen Schritt zurück machen: Er muss nicht nur auf Gewalt verzichten, sondern auf so manch gutes Geschäft und einfachen Vorteil. Frieden umfasst Regulierung, sozialen Ausgleich und ökologisches Gewissen.

Auf dem Prüfstand steht heute: Frieden als leitende Idee des Zusammenlebens. Frieden in dem Sinne, dass der Vertrauensgrundsatz, den wir jeden Tag unseres Lebens tausende Male anwenden, die einzige Chance auf ein würdiges Leben ist. Vertrauensgrundsatz heißt, dass ich davon ausgehe, dass der Verkehrsteilnehmer hinter oder vor mir, mich nicht verletzen und nicht umbringen will. Vertrauensgrundsatz heißt, dass ich davon ausgehe, dass der Nachbar auf dem Gang mich nicht erschießen, erstechen, erdrosseln will. Und so weiter und so fort.

Zwischen einem Messer und einer Atombombe ist kein Unterschied. Der Unterschied liegt in der Abstraktion der Gewaltanwendung. Max Frisch schrieb 1946: Nicht alle von uns eignen sich zum Schlächter, aber fast alle zum Soldaten, der an der Kanone steht, auf die Uhr schaut und die Leine abzieht. Es ist sonderbar, daß die räumliche Entfernung, die man in Metern messen kann, eine solche Bedeutung haben soll; daß unsere Vorstellung nicht stärker ist. Vielleicht ist sie es für Augenblicke, aber nicht auf die Dauer.

Wir müssten es längst besser wissen

Diese Abstraktion hat uns heute, wo Konsum mehrheitlich Ablenkung ist, wo das Einkaufen von Waren ein Zeitvertreib ist, den man mit der Bedienung eines Geräts steuert, auch zu einer konsumistischen Sicht von Krieg und Töten geführt. Einige Generationen leben nun schon in Westeuropa ohne Kriege, ohne Töten erlebt zu haben. Die zeitliche und/oder räumliche Entfernung des Kriegs hat ihn zu einer abstrakten Vorstellung gemacht, die heute Serien, Filme und Bücher, aber auch Medien und damit vielfach Propaganda bestimmen.

In meiner Kindheit und Jugend hieß es, dass zwei mächtige Blöcke in der Welt einander bekämpfen. Im sogenannten Westen, wo ich aufwuchs, war eine Mehrheit davon überzeugt, dass vom kommunistischen Osten eine Bedrohung ausgehe, der man durch Bewaffnung und Aufrüstung zu entgegnen habe. Aber so dachten nicht alle. Es gab auch viele, die der Meinung waren, dass beiderseitiges Aufrüsten nur zur weiteren Eskalation und Bedrohung beitrage und dass in einer Welt mit dem Rüstungsstand der Achtzigerjahre bei Ausschöpfung aller menschlichen geschaffenen Tötungsmöglichkeiten, niemand mehr einen Krieg gewinnen könne. Das Konzept des nationalen Kriegs, der Erweiterung des beherrschten Territoriums, des Gewinns aus der Unterdrückung anderer, stammt aus längst vergangenen Jahrhunderten, ist aber immer noch die leitende Ideen von Gesellschaften, die es längst besser wissen müssten.

Die Illusion des Beschützers

Die heute in Österreich – auch von Neutralitätsgegnern – vielfach lancierte Idee, andere Länder würden uns beschützen, zeigt nicht nur, dass atavistische Ideen eine scheinbare politische Raison bestimmen, sondern auch, dass man innerhalb des Staatengefüges der Welt sehr wohl hierarchische Machtverhältnisse haben will, wo doch man in der EU und der NATO so viel von Gleichheit und Demokratie redet. Ein supranationales oder transnationales Denken gibt es im kapitalistischen Westen eben nicht. Bei allem Lob und Zuspruch und bei aller Verteidigung der Europäischen Union, sind die Ideen sozialer Angleichung der EU-Staaten und transnationalen Denkens im politischen Handeln von je her im Keim erstickt worden.

Es regiert in Westeuropa mehrheitlich die Idee, die USA solle es mit Waffen, mit Interkontinentalraketen und Atombomben beschützen. Dabei wird ausgeblendet, dass die USA unter dem heutigen Präsidenten nicht einmal die eigene Bevölkerung beschützen. Im Gegenteil: Trump schickt ihnen Militäreinheiten, um sie zu beschießen. Er entfacht, wenn er nicht regiert, einen Sturm auf das Kapitol – so viel ist ihm das eigene Land wert. Die neue Rechte der Milliardäre denkt an sich selbst – kein Menschenleben und kein Staatenschicksal kümmert sie.

Ausgeflogene Ponys

Den Vereinigten Staaten geht und ging es auch niemals um Demokratie: Begonnen vom Iran im Jahr 1953, als die USA die demokratische Regierung mit einem Putsch beseitigt und eine Monarchie im Iran installiert haben, über Guatemala, wo der CIA die demokratische Regierung Arbenz vertrieben und den Diktator Carlos Castillo Armas eingesetzt hat, bis zu den heutigen Zuständen im Irak, Afghanistan und Libyen, wo ihre vielen Kriege und Interventionen die Menschen noch ärmer, die Zerstörung und das Morden noch furchtbarer und die Zahl der Flüchtenden noch größer gemacht haben, findet sich kein Krieg, der Frieden oder Demokratie gebracht hätte. Denn Frieden und Demokratie müssen die Menschen in diesen Ländern selbst schaffen. Und sie hatten sie im Iran und in Guatemala bereits geschaffen – diese Demokratien waren den USA aber ein Dorn im Auge. (Das ist nicht Anti-Amerikanismus; das sind alles Beispiele aus der Geschichte, die man nachlesen kann.)

Auf der anderen Seite, bei den Nachfolgerstaaten der kommunistischen Länder oder solchen wie China, die es zumindest der Hülle nach noch sind, findet sich das Interesse für Frieden und Demokratie ebenfalls nicht. Und die, die den autoritären Herrschern dieser Staaten heute die Stiefel lecken und vor ihnen knien, weil sie ihre Ponys mit Flugzeugen transportieren und ihre Kassen auffüllen, bieten keine politischen Lösungen an, sondern suchen ihren eigenen wirtschaftlichen Vorteil – auch ihr Bekenntnis zur Neutralität ist hohl, was wir schon daran erkennen, dass sie eng mit Waffenlobbys zusammenarbeiten und alle bilateralen Annäherungen in Sachen Frieden und Migration torpedieren.

Eine schwache Position

Aber diese Erkenntnisse reichen nicht aus, um eine heutige Friedensbewegung zu definieren und ihr in öffentlichen Debatten Raum zu geben. Sie muss auch nicht unbedingt so heißen. Denn seien wir ehrlich: Friedensbewegung. Das Wort allein wird heute lächerlich gemacht und ähnlich belächelt wie Ökologen in den Achtzigerjahren, die im Parlament Strickpullover trugen, mit einem 2CV durch die Gegend fuhren und bei der Au-Besetzung eine Zigarette nach der anderen rauchten.

Aber es gibt auch keine andere Möglichkeit als Frieden. Frieden im Sinne der Regulierung, die auch das soziale Gleichgewicht und das ökologische Gleichgewicht als große Probleme der Menschheit transnational angehen muss. Alle anderen werden keinen Frieden schaffen. Ich weiß schon, dass man solche Worte als phantastisch, irrational, träumerisch, unrealistisch und was auch immer abtun wird. Und ich gebe zu, dass es eine schwache Position ist. Ich habe nur bisher von keiner stärkeren gehört.

Verzicht

Das jetzt grassierende Aufrüstungs- und Kriegsgeschrei, die Lüge, in den Kriegen würden nur strategische Ziele getroffen und Menschen kämen dabei nicht zu schaden, das Verschweigen der Tatsache, dass man in den bekriegten Ländern eine neue Generation fanatisierter Terroristen heranzieht, die kein anderes Leben als das in Krieg und Elend kennt, die Lüge, dass man genau diese Terroristen braucht, um immer mehr Waffenproduktion und Waffenverkäufe und Kriege zu motivieren – all das dient in Wahrheit nur der Bereicherung weniger Menschen. Es ist eine gewaltige globale Grausamkeit, sanktioniert durch die Scheinphilosophie des Kapitalismus und des in Wahrheit niemals beendeten Kolonialismus.

Wer aber Frieden will, muss einen Schritt zurück machen: Er muss nicht nur auf Gewalt, er muss auf seinen Vorteil, auf das gute Geschäft, das er gemacht hätte, auf die Idee, dass er das Recht hat, anderen etwas zu nehmen, die anderen aber nicht das Recht haben, ihm etwas zu nehmen, verzichten. Dieser Verzicht ist eine Grundbedingung für eine friedliche Zukunft der Menschheit. Weil es nicht anders geht.


Titelbild: Miriam Moné

Autor

  • Daniel Wisser

    Daniel Wisser ist preisgekrönter Autor von Romanen und Kurzgeschichten. Scharf und genau beschreibt er, wie ein Land das Gleichgewicht verliert.

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