Start News Zerbricht heute Türkis-Grün? Drei Szenarien zur Sondersitzung

Zerbricht heute Türkis-Grün? Drei Szenarien zur Sondersitzung

36
Zerbricht heute Türkis-Grün? Drei Szenarien zur Sondersitzung

Drei Szenarien zur Sondersitzung

Entscheidender Tag für die türkis-grüne Regierung: die grüne Haltung zu den Kindesabschiebungen wird heute im Nationalrat auf die Probe gestellt, das „Beste aus beiden Welten“ steht auf Messers Schneide. Die Grünen können heute eigentlich nur verlieren. Drei Szenarien.

Wien, 04. Februar 2021 | Es ist die erste wirklich große Regierungskrise in der einjährigen Amtszeit der ÖVP-Grünen-Koalition. Bei der von der FPÖ einberufenen Sondersitzung (ab 14:00 Uhr) zur Sonntagsdemo, stehen auch Oppositionsanträge von SPÖ und NEOS zu Kindesabschiebungen von letzter Woche auf der Tagesordnung. Die SPÖ plant, wortgleich den Antrag aus dem Wiener Gemeinderat “sich zum humanitären Bleiberecht zu bekennen und diese grausamen Abschiebungen zurückzunehmen” einzubringen. Die Wiener Grünen gingen bei diesem Antrag mit.

Für die Bundesgrünen wird dieser am Donnerstag aber zur Zerreißprobe. Der innerparteiliche Druck ist in den letzten Tagen immens gestiegen. Zahlreiche grüne Abgeordnete sind aufgrund der ÖVP-Haltung und zum türkisen „Nein“ betreffend Rückholung aufgebracht, und wollen dem Antrag zustimmen. Klubchefin Sigrid Maurer und Abgeordneter Michel Reimon fanden in den vergangenen Tagen scharfe Worte in Richtung des Koalitionspartners. Maurer sieht einen „veritable Konflikt“; ob dem aber auch Taten folgen, ist unklar. In der Sondersitzung gibt es für die Grünen drei Szenarien.

Szenario 1: Die Grünen zerreißt´s

Gehen die Grünen nicht mit dem Oppositionsantrag zur Rückholung mit, dürfte es zu einer innerparteilichen Krise kommen. Die Glaubwürdigkeit der Bundesgrünen würde durch die erneute Unterwerfung zugunsten der ÖVP massiv verloren gehen. Ein Mitstimmen der Grünen hätte zwar nur symbolischen Charakter, da sowohl FPÖ als auch ÖVP den Antrag wohl ablehnen werden und es somit zu keiner Mehrheit käme, aber die Stimmen aus den Landesparteien der Grünen für genau diesen Schritt werden lauter.

Die Wiener Grünen richteten sich gestern bereits in einem Brief an ihre Bundespartei. In diesem fragten sie: „Reicht, was wir erreichen?“ Denn Grüne und Menschenrechte gehörten untrennbar zusammen. „Deshalb schmerzt es ganz besonders, dass der Koalitionspartner die Rettung von 100 Familien aus der Hölle von Moria blockiert. Damit und mit der Abschiebung von in Österreich geborenen und aufgewachsenen Kindern hat die ÖVP der gesamten Regierung ein unmenschliches Antlitz verpasst. Damit wurden klar rote Linien überschritten.“

Und noch eine weitere Grundsatzfrage stellt sich den Grünen: „Nun, sag’ wie hast du’s mit Karl Nehammer?“ Denn sowohl die FPÖ, als auch die SPÖ stellen am Donnerstag Misstrauensanträge gegen den Innenminister. Sigrid Maurer wich der Frage am Dienstag bei “ORF Report” aus, ein Zustimmen zu den Anträgen gilt trotz Nehammer-Kritik allerdings als fast ausgeschlossen.

Szenario 2: Grüner Koalitionsbruch

Gehen die Grünen beim Oppositionsantrag mit, würde es zum Koalitionsbruch kommen, das machte die ÖVP am Mittwoch in Person von Wolfgang Sobotka, eigentlich Nationalratspräsident, noch einmal klar. Die Grünen hätten gewusst, worauf sie sich beim Regierungsantritt mit der ÖVP eingelassen haben. Das hochgepriesene türkis-grüne Regierungsprogramm würde dann ad acta gelegt und im schlimmsten Fall würde die Regierung aufgekündigt werden.

Michel Reimon will Sebastian Kurz diesen „Gefallen“ allerdings nicht machen, wie er gestern bei Puls24 betonte: „Nur die Arbeitsweise der Koalition steht an der Kippe”, nicht die Regierungsbeteiligung. Das gemeinsame Tun mit der Opposition würde wohl Graben aufwerfen, die die Koalition nicht so schnell wieder stopfen kann.

Szenario 3: Die „gütige“ ÖVP

Die wohl unwahrscheinlichste Variante ist, dass die ÖVP, ihren Hardliner-Kurs selbst über den Haufen wirft und mit den Grünen gemeinsam mitstimmt. Die ÖVP steht zwar selbst unter enormem innerparteilichen Druck. Hintergrund: immer lauter werdende Stimmen aus der Kirche, langjährige Konservative und Bürgermeister.

Ein Abweichen von der Law-and-Order-Abschiebepolitik würde bei den neuakquirierten FPÖ-Wählern jedoch nicht gut ankommen. Die Unterstützung eines Oppositionsantrages ist zudem schlicht nicht im Playbook der Kurz-Partei vorgesehen.

Eine positive Schlagseite hätte die Rückholung für die ÖVP allerdings: Inszenierung. Fotos der zurückkehrenden Kinder aus Georgien und Armenien, gemeinsam mit Ministern und Bundeskanzler am Flughafen, könnten ideal für türkise Selbstinszenierung unter dem Mantel eines „humanitären Zeichens der Bundesregierung“ sein. Denn auch außerhalb Österreichs bekommt die Medienwelt immer mehr mit vom „herzlosen Kanzler Kurz“. Ein Aufpolieren des Kanzlerbildes lässt sich die ÖVP eigentlich selten entgehen. Zudem könnte man die Grünen weiter unter Druck setzen, denn diese würden bei ÖVP-Unterstützung der Volkspartei nun etwas schulden.

Den Grünen steht somit ein schwieriger 04. Februar bevor.

(bf)

Titelbild: APA Picturedesk

ZackZack unterstützen

Jetzt Mitglied werden!

Autor

  • Benedikt Faast

    Redakteur für Innenpolitik. Verfolgt so gut wie jedes Interview in der österreichischen Politlandschaft.

36 Kommentare
Meisten Bewertungen
Neueste Älteste
Inline Feedbacks
Zeige alle Kommentare