Studieren in der Pandemie
200.000 Studenten sitzen seit Beginn der Coronakrise zu Hause. Sie haben Fernlehre. Wie geht es ihnen damit?
Wien, 18. März 2021 | „Ich halte es langsam nicht mehr aus. Ich bin nur allein im Studentenheim. Es fehlt einfach der menschliche Kontakt.“ So wie Moritz Hennerbichler (22) geht es vielen der rund 200.000 Studenten Österreichs. Seit Beginn der Coronakrise hatten sie fast durchgehend nur Fernlehre. Und anders als bei den Schulen gibt es auch keine Perspektive für die Öffnung. „Ich habe großes Verständnis für die Maßnahmen. Trotzdem treffen sie uns sehr“, sagt Leo Grolmus (22), die an einer FH studiert. Dort war der Bruch zwischen festem Stundenplan und Fernlehre besonders markant. Auch Alina Iwanowa (21) erklärt: „Ich kann das verstehen, wir müssen die Risikopatienten beschützen.“
Geldsorgen
Alleine an der Universität Wien – der größten Hochschule im deutschen Sprachraum – studieren 94.000 Menschen. Die meisten kommen nicht aus der Hauptstadt. Viele wohnen zum ersten Mal alleine, oft in beengten Verhältnissen, weg von zu Hause. Das Geld ist knapp. 80 Prozent von Österreichs Studenten arbeiten laut einer Studie von ÖH und GPA neben dem Studium, nur 40 Prozent sagen, dass das Geld reicht. Die Krise hat eine Bevölkerungsgruppe, die es ohnehin schwer hat, auch ökonomisch hart getroffen. Viele Studentenjobs in Handel und Gastronomie waren auf einen Schlag weg.
„Jetzt einen Job zu finden ist unmöglich“, sagt Moritz Hennerbichler, der zuvor in Museen gearbeitet hatte. Leo Grolmus hat Glück im Unglück. Sie arbeitet in der Obdachlosenhilfe. Da gebe es in der Krise mehr denn je zu tun. Sie macht sich vor allem Sorgen, weil die Pflichtpraktika an der Fachhochschule entfallen. Was das für das Studium bedeutet, wisse niemand so recht, auch wenn die Fachhochschule um Lösungen bemüht sei. Auch Alina Iwanowa konnte ihren 15 Stunden-Job behalten. Wann immer es möglich sei, gehe sie ins Büro „um nicht so alleine zu sein.“
Depression und Angst
Lisa Waldner (25) trifft der Lockdown an den Unis besonders hart. Sie leidet an Depressionen und Angst – und ist damit nicht alleine. Rund ein Drittel von Österreichs Studenten zeigt seit Beginn der Krise ähnliche Symptome, doppelt so viele wie normalerweise. Das ergab eine großangelegte Studie der Psychologischen Studierendenberatung Innsbruck. Wer, wie Lisa Waldner, schon zuvor an einer klinischen Depression litt, hat es nun schwer, Halt zu finden. „Am schlimmsten ist die Einsamkeit“, erzählt sie. „Konzentration, Selbstorganisation, das erfordert viel Kraft.“ Das Eingesperrtsein habe die Krankheit verschlimmert.
Wo sich sonst junge Menschen drängen, herrscht jetzt gähnende Leere. Bild: Universität Wien
Depression und Angststörungen gehen oft Hand in Hand. Die Krisenkommunikation der Regierung habe für sie alles noch schlimmer gemacht, sagt Lisa Waldner. „‘Jeder wird jemanden kennen, der an Corona gestorben ist‘ – warum fördert die Politik Angst?“ Trotz der schwierigen Situation sinken die Anforderungen nicht, erklärt Max Moser (22). Viele seiner Kollegen seien nach dem dritten Coronasemester in Folge mental nicht mehr sehr stabil. Bei ihm selbst gehe es auf und ab: „An manchen Tagen ist es überhaupt kein Problem, an anderen ist es sehr schwierig.“
Wie soll es weitergehen?
Ein nachvollziehbares Konzept für die Öffnung der Unis gibt es nicht. Wissenschaftsminister Heinz Faßmann hatte bloß vage in Aussicht gestellt, dass es nach Ostern wieder Präsenzlehre geben könnte. Manche Lehrende nahmen das zum Anlass, Studenten aus ihren Kursen zu werfen. Falls in einigen Wochen umgestellt würde, könnten aus Sicherheitsgründen nicht so viele teilnehmen, lautete die Erklärung. Andere Lehrende zwingen ihre Studenten in Präsenzprüfungen – oft mit hunderten anderen zusammen in einem Raum.
Moritz Hennerbichler kommt „langsam ans Limit.“ Sein einziger Lichtblick sei, dass er seinen Bruder treffen könne, der ebenfalls nach Wien gezogen sei. Max Moser trifft sich gelegentlich „mit zwei, drei Freunden zum Kartenspielen.“ Hauptsächlich aber sitzen Österreichs Studenten seit einem Jahr zu Hause. Außer den vielen Online-Lehrveranstaltungen haben sie kaum Kontakt zu anderen Menschen. Alina Iwanowa fehlt dabei vor allem „das gemeinsame Nachdenken.“ Moritz Hennerbichler hat einen konkreten Wunsch an die Politik: „Könnte man nicht die Fußballstadien öffnen? Das fehlt mir wirklich sehr. Es ist ja draußen. Warum kann man da nicht wenigstens ein paar hundert Zuschauer ins Stadion lassen?“
Alina Iwanowa bringt den Wunsch vieler Studenten auf den Punkt: „Wenn es irgendwie möglich wäre, würde ich schon sehr gern auf die Uni kommen.“
Anm.: Die Namen unserer Gesprächspartner wurden auf deren Wunsch teilweise geändert.
(tw)
Titelbild: Universität Wien