Sag, wie hast du’s mit dem Rechtsstaat?
Verfassungsministerin Karoline Edtstadler war am Dienstag zu Gast in der ZIB 2 bei Armin Wolf. Die Angriffe der ÖVP auf die Justiz in den vergangenen Tagen waren für die Ministerin nur „Kritik“. Besonders eine Aussage dürfte ernsthafte Zweifel am Demokratieverständnis der Ministerin schüren.
Wien, 17. Februar 2021 | Die ÖVP attackiert seit der Hausdurchsuchung bei Finanzminister Gernot Blümel fast täglich die Justiz, insbesondere die ermittelnde Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA). Die beiden Hauptargumente der ÖVP, die zur Entlastung Gernot Blümels dienen sollten, wurden allerdings widerlegt. Einerseits handelt es sich offensichtlich nicht um eine Verwechslung zwischen Bundeskanzler Sebastian Kurz und der Novomatic-Chef-Schwiegertochter Martina Kurz, andererseits widerlegte das Justizministerium die ÖVP-Falschinformation von Karoline Edstadler, dass „nur ein Prozent der Beschuldigten auch verurteilt werde“.
Edtstadler sieht in ÖVP-Attacken auf Justiz nur “Kritik”
Ebenjene Edtstadler war nach den zahlreichen Attacken auf die Justiz zu Gast bei Armin Wolf in der ZIB 2. Selbst der Koalitionspartner hatte am Dienstag die ÖVP scharf kritisiert, die ÖVP habe ein „gestörtes Verhältnis zum Rechtsstaat“. Wolf fragte Edtstadler, ob sie als ehemalige Richterin die ÖVP-Attacken nicht als unwürdig befinde.
Für Edtstadler handle es sich um keine ÖVP-Attacken auf die Justiz, es sei nur „Kritik“. Sie betonte, dass „das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in den Rechtsstaat etwas Wichtiges“ sei. Ebenjenes würde die ÖVP, laut Verfassungsexperten, aber gerade untergraben erwiderte Wolf. Die Präsidentin der Richtervereinigung Sabine Matejka bezeichnete die ÖVP-Attacken als „völlig unangebracht“. Verfassungsjurist Heinz Mayer sah die Attacken des Bundeskanzlers auf die Justiz sogar als „schamlos“ und „durchsichtig“.
Kritik, mit der Edtstadler nicht viel anfangen kann, die ÖVP würde sich zum Rechtsstaat bekennen. Immer wieder versuchte sie darauf aufmerksam zu machen, dass es „zahlreiche Verfehlungen“ in der Justiz gebe. Auf Nachfrage, welche Verfehlungen es denn sein würden, bekam Wolf von der Verfassungsministerin allerdings nur eine aufgezählt, nämlich dass der derzeitige Justizminister Werner Kogler (Grüne) selbst aus den Medien vom Beschuldigtenstatus Blümels erfahren habe. Allerdings bezeichnete er das am Vortag in der ZIB 2 als gutes Zeichen, da so keine politische Beeinflussung auf die Ermittlungen genommen werde können. Nach der Entkräftigung ihres Arguments blieb Edtstadler nicht viel übrig, als zum wiederholten Male darauf aufmerksam zu machen, dass sie einmal Richterin war. Im Netz sorgte die richterliche Selbstbeweihräucherung für Erheiterung.
https://twitter.com/bassena/status/1361823254051229697
Doch für Edtstadler sollte es noch unangenehmer werden: Wolf machte sie auf die zeitlichen Abläufe aufmerksam und betonte, dass die ÖVP sich nun zufällig für einen Bundesanwalt einsetze, just seitdem die Partei nicht mehr das Justizministerium innehabe und somit die Weisungsbehörde nicht mehr ein ÖVP-Minister sei. Edtstadler verteidigte dies wieder mit nicht näher beschriebenen „Verfehlungen“.
Ebenfalls komplett am falschen Fuß erwischt wurde die Ministerin bei der Frage, wieso die ÖVP – die von 2008 bis 2020 den Justizminister stellte und Edtstadler selbst seit 2015 stellvertretende Leiterin der WKStA (derzeit karenziert) ist – diese Missstände nicht beseitigt habe. Eine wirkliche Antwort von der Verfassungsministerin erhielt Wolf nicht.
“Der Unschuldsvermutung muss zum Durchbruch verholfen werden”
Auch über den schwer in der Kritik stehenden Finanzminister Blümel wurde geredet. Edtstadler: „Es gilt die Unschuldsvermutung!“, Wolf: “Das bestreitet ja keiner.“
Doch eine Aussage Edtstadler zur Unschuldvermutung sorgt noch am Tag danach für Aufregung, besonders bei der SPÖ: “Dass Edtstadler in der gestrigen ‚ZIB2‘ zu den Ermittlungen gegen Noch-Finanzminister Blümel wörtlich gesagt hat, dass ‚der Unschuldsvermutung auch zum Durchbruch verholfen werden muss‘, offenbart ein Verständnis von Rechtsstaat und Gewaltentrennung, das bei allen DemokratInnen die Alarmglocken schrillen lassen muss“, so SPÖ-Bundesgschäftführer Christian Deutsch. „Dass die türkise Verfassungsministerin Edtstadler als ehemalige Richterin die demokratiegefährdenden Angriffe von Kurz auf die Justiz fortsetzt, ist ungeheuerlich.”
Ob Gernot Blümel zurücktreten solle, wenn eine Anklage erhoben wird? „Völlig aus der Luft gegriffene Anschuldigungen.“ Nette Antwort, danach fragte aber niemand. Sie wolle nicht “vorgreifen”, sagte Edtstadler dann auf Nachfrage. Die Koalitionsstimmung ist bekanntlich seit Wochen im Keller, für Edtstadler jedoch sei es noch eine handlungsfähige Regierung, „wir arbeiten sehr gut zusammen“. Das letzte Wort ließ sich Wolf allerdings nicht nehmen: „Dass ein Koaltionspartner dem anderen ein gestörtes Verhältnis zum Rechtsstaat vorwirft, ist nicht alltäglich. Ich habe das in 35 Jahren Berichterstattung noch nicht miterlebt. Vielen Dank für das Gespräch.“
Das ganze Interview finden Sie hier.
(bf)
Titelbild: APA Picturedesk