Trotz gehäufter Cluster im ganzen Land
Keine Tests für Kleinkinder, erst seit kurzem wöchentliche Tests für das Personal: Auf Kindergärten wurde im Corona-Management lang vergessen. Nun kommt es zu etlichen Clustern mit hunderten Infektionen.
Wien, 26. Februar 2021 | Kleinkinder seien keine „Treiber“ der Pandemie, hieß es monatelang von einer starken Lobby aus Kinderärzten, einigen Experten und nicht wenigen Medien. Auch viele Eltern hörten die Kunde gern, allein: Sie stimmt nicht. Die Infektiosität von Kindern stand unter Experten nie außer Zweifel und ist laut den meisten Studien halb bis annähernd gleich hoch wie bei Erwachsenen.
Die offenbar unzureichenden Sicherheitskonzepte rächen sich jetzt, die Cluster in Kindergärten und in den ebenfalls als Krankheitsherde unterschätzten Volksschulen nehmen rasant zu. Gern hätten wir aktuelle Fallzahlen für den Bereich der Elementarpädagogik in Erfahrung gebracht, schließlich zählt Kindergartenpersonal zu den meistgefährdeten Berufsgruppen überhaupt. Das erwies sich aber als so gut wie unmöglich.
Keine Daten
Das Gesundheitsministerium verweist bloß auf die AGES, diese wiederum auf ihre Website, wo allerdings keine Zahlen zum Infektionsgeschehen im Kindergarten zu finden sind. 272 bestätigte Fälle bei den Unter-Fünf-Jährigen habe es in der Vorwoche gegeben. Da nicht systematisch getestet wird – wie mittlerweile in den Schulen – eine wenig aussagekräftige Zahl.
Die nächste ausgeschilderte Altersgruppe umfasst den Bereich der Fünf- bis 14-Jährigen, also Kindergarten vermischt mit Volks- und Mittelschule.
Quelle: AGES
Auch das Bildungsministerium hat keinen Überblick, sondern verweist auf die für die Kindergärten zuständigen Bundesländer. Von allen neun kontaktierten Landesräten hatten einzig die Tiroler und Wiener Landesregierung Fallzahlen für uns.
Derzeit gebe es in den Wiener Kindergärten 194 aktive Fälle von Kindern und Mitarbeitern, heißt es vom Büro des Gesundheitsstadtrats Peter Hacker. Vier Kindergärten seien behördlich geschlossen. Mitarbeiter könnten einmal pro Woche einen Gurgeltest am Arbeitsplatz durchführen, Tests für Kinder seien aber nicht „nicht vorgesehen“ – auch nicht bei den städtischen Teststraßen, wiewohl es auf der Website der Stadt Wien anders lautet.
Viele Kritikpunkte
Fehlende Tests kritisiert auch eine Kindergarten-Assistentin in Wien. „Cluster werden oder wollen nicht erkannt werden. Mitarbeiter verschleppen die Erkrankung tagelang, da nicht immer getestet wird, selbst wenn es zu Infektionen kommt“, sagt uns die Frau, die von der MA10 beschäftigt wird und lieber anonym bleibt.
Bei Verdachtsfällen erhalten die Mitarbeiter im Nachhinein oft keine Information, ob die Tests positiv waren oder nicht. Und viele Infektionen gehen zwar vom selben Herd aus, werden gegenüber den Eltern als voneinander unabhängige Fälle verkauft, berichtet die Mitarbeiterin. Dann schrumpfe ein Cluster von zehn betroffenen Kindern im Elternbrief auf nur noch zwei.
Und sollten Mitarbeiter erkranken oder in Quarantäne gehen, gebe es keinen Ersatz – was bedeutet, dass mehrere Gruppen von je 25 Kindern zusammengelegt werden. Ein Gespräch mit einem besorgten, weil vorerkrankten Vater einer fünfjährigen Tochter in Wien bestätigt viele der Kritikpunkte. Seinem Eindruck nach gebe es im Kindergarten kein Sicherheitskonzept, außer, dass Eltern nicht mehr in den Gruppenraum gehen dürften.
Wir haben das Büro von Gesundheitsstadtrat Peter Hacker mit diesen Kritikpunkten konfrontiert, erhielten aber keine Antwort darauf. „Zur organisatorischen Vorgehensweise und Umsetzung können wir keine Auskunft geben“, heißt es lapidar. Auch das Büro von Bildungsstadtrat Christoph Wiederkehr hatte keine Antworten für uns, auch nicht was etwaig nötige Nachschärfungen betrifft.
„Regierung hat versagt“
Weil er sich von Bundesregierung und Land Niederösterreich im Stich gelassen fühlt, griff der Traiskirchner Bürgermeister Andi Babler zu eigenen Lösungen. Er ließ in den letzten Monaten sämtliche Schulen, Kindergärten und Kinderkrippen in seiner Stadt mit virenbeseitigenden Luftreinigungsgeräten ausstatten.
Testbetrieb fertig. Wir legen in Traiskirchen los und bringen mit Semesterbeginn als 1. Stadt flächendeckend in all unseren Schulen, Kigas und Krabbelstuben Luftreinigungsanlagen, die Viren wirksam bekämpfen. Danke an Schulstadtrat @CZinnbauer für die viele Vorbereitungsarbeit. pic.twitter.com/TO5qNiQNLC
— Andi Babler (@AndiBabler) January 20, 2021
Die Geräte haben Zeitschaltuhren und schalten sich eine Stunde vor dem Kommen der Kinder ein, berichtet er. Zusätzlich gebe es in den Schulen schon länger Raumluftsensoren, die immer wieder an das Lüften erinnern. All diese Maßnahmen ließ sich der Bürgermeister einiges kosten, finanzielle Unterstützung seitens Bund oder Land NÖ erhielt er nicht.
Babler berichtet von zunehmend nervösen Eltern, denn jetzt zeige sich, dass auch Kleinkinder einander anstecken. „Die Regierung hat versagt, egal ob bei der Maskenbeschaffung, der Kindergartenampel, beim Contact Tracing.“ Als Bürgermeister habe er nur wenig Spielraum, den nütze er aber.
Warum österreichweit das Contact Tracing nicht massiv ausgebaut wurde, versteht er nicht, könnte man damit doch gleichzeitig auch die Arbeitslosigkeit bekämpfen. In der Vergangenheit und auch im Gespräch mit ZackZack kritisiert er immer wieder auch seine eigene Partei, die SPÖ: „Wann, wenn nicht jetzt, wäre es Zeit, über die Schule von morgen nachzudenken?“ Dies sei seit Jahrzehnten überfällig, auch jetzt werde die Gelegenheit (noch) nicht genutzt.
Teststrategie dringend nötig
Ein ähnliches Testkonzept wie an den Schulen wünscht sich Michael Wagner, Mikrobiologe an der Universität Wien: „Die Nasenbohrtests sind eine gute Möglichkeit auch für Kleinkinder, da sie leicht durchzuführen sind.“ Dem Argument, dass diese „traumatisch“ für die Kinder seien, wie die Öst. Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde (ÖGKJ) argumentiert, kann Wagner im Gespräch mit ZackZack nicht viel abgewinnen. Zumal sie auch zu Hause von den Eltern durchgeführt werden können: „Das ist wirklich nicht schlimmer als Nasenbohren.“
Im Ergebnis viel verlässlicher als Antigentests (= Schnelltests) seien PCR-Tests (= Labortests) von gepoolten Speichelproben, die gesammelt ausgewertet werden. Zwar sind die Speicheltests nicht ganz so verlässlich wie Gurgeltests, allerdings falle das bei regelmäßigen Testungen kaum ins Gewicht. Und sie können auch bei Kleinkindern problemlos genommen werden.
Generell seien PCR-Tests der Goldstandard und gegenüber Antigentests vorzuziehen, da sie weniger Fälle übersehen, ergo mehr Ansatzpunkte für Contact Tracing bieten. Auch die Testangebote in vielen Einrichtungen und Firmen funktionieren inzwischen über gepoolte PCR-Tests. „Das sollte also auch bei Kindergärten machbar sein – die Laborkapazitäten dafür sind vorhanden bzw. nicht schwer aufzubauen“, so der Mikrobiologe.
Und auch die rund 24 Stunden Dauer, bis das Ergebnis aus dem Labor vorliegt, seien kein Problem. Denn unterm Strich würde man eher sogar Zeit gewinnen, da man Infizierte mit PCR-Tests meist in einem deutlich früheren Stadium der Infektion erkennt, sie also auch früher in Quarantäne schicken könnte.
Experiment mit offenem Ausgang
Bis auf weiteres wird sich bezüglich Covid-Prävention in Kindergärten wohl nichts ändern. Weder Gesundheitsministerium noch Länder gaben uns gegenüber an, bei den Regelungen für Kindergärten nachschärfen zu wollen.
Insgesamt vollziehe Österreich gerade ein Experiment mit ungewissem Ausgang, sagt Wagner: „Zwar wird mehr getestet denn je und auch der Frühling sollte eine gewisse Erleichterung bringen, gleichzeitig sehen wir die Ausbreitung deutlich infektiöserer Virusvarianten und teilweise Öffnungen bei hohen Infektionszahlen.“
Aufgrund der wieder stark steigenden Infektionszahlen sei an weitere Lockerungen, wie von der Gastronomie gefordert, aus mikrobiologischer Sicht nicht zu denken: „Das wäre das völlig falsche Signal.“ Sollten die Zahlen weiterhin stark ansteigen, werde es vielmehr wieder zu Einschränkungen kommen müssen.
Florian Bayer
Titelbild: APA Picturedesk