Privatduell mit ÖVP
Am Donnerstag nahm der ehemalige SPÖ-Bundeskanzler Christian Kern im U-Ausschuss Platz. Zwischen der Befragung von Kern und der von ÖVP-Bundeskanzler Sebastian Kurz lagen Welten dazwischen: Kern konnte sich an fast alles erinnern.
Wien, 12. März 2021 | Donnerstag war ÖVP-Tag im Ibiza-U-Ausschuss. Von den Türkisen wurde der ehemalige SPÖ-Bundeskanzler Christian Kern geladen. Kernthema der Befragung durch die ÖVP war das Ibiza-Video und etwaige Angebote an die SPÖ.
Videoangebot waren “halbseidene Informationsschnippel”
Kern bestätigte zwar die Aussage, wonach die Macher des Ibiza-Videos an den Werber Nikolaus Pelinka herangetreten waren, der wiederum Kern und Thomas Drozda über das Angebot informierte. Zwei Wochen später habe Kern nach einer Prüfung durch den Parteianwalt Drozda gebeten, das Angebot abzulehnen, denn: “Mit der Sache wollten wir nichts zu tun haben.” Laut Kern habe es sich dabei um eine “halbseidene” Sache gehandelt, bei den gezeigten Fotos handelte es sich um „Informationsschnippel“. Bewegtbilder bekam er nicht zu sehen, auch deswegen habe er per Brief sein Desinteresse am Material bekundet. Die Ibiza-Macher bezeichnete er damals als „Wichtigtuer“.
Wie eine Aktenübergabe richtig abläuft – Kein Schreddern unter falschem Namen
Interessant wurde die Befragung, als Kern schilderte, wie die Aktenübergabe normalerweise am Ende einer Kanzlerschaft funktioniert. Normalerweise gebe es eindeutige Vorschriften. Das sei, so Kern, bei seinem Ausscheiden aus dem Amt auf dem Amtsweg unter Aufsicht der Beamten geschehen. Kern verwies auf die Verpflichtung, relevante Akten an das Staatsarchiv zu übertragen, das geschah auch.
Die ÖVP hingegen schredderte nach Veröffentlichung des Ibiza-Videos fünf Festplatten. Ein Mitarbeiter tat dies unter falschem Namen und ohne zu bezahlen. Kern erklärte im U-Ausschuss, es hätte für ihn keinen Anlass gegeben dasselbe zu tun.
Kern würde Kalender öffentlich machen, im Gegensatz zu Kurz
Auch zeigte sich ein Unterschied in der Handhabung von Kanzlerkalendern. Zwar wisse Kern nicht, ob sein Kalender aus dem Jahr 2017 noch existiere, allerdings würde er diesen, falls noch vorhanden, der Öffentlichkeit preisgeben. Bundeskanzler Sebastian Kurz weigerte sich bis jetzt seinen beruflichen Kalender dem U-Ausschuss zu übermitteln.
“Kenne keine Rote Idioten”
Bevor die Befragung nach eineinhalb Stunden zu Ende war, brachte FPÖ-Fraktionsführer Christian Hafenecker noch ein nicht öffentliches Protokoll aus dem deutschen Wirecard-Untersuchungsausschuss aufs Tapet. Dort habe der Ibiza-Detektiv davon gesprochen, dass es noch andere Videos von österreichischen Politikern gebe. Dabei gehe es um Hinterzimmer in Clubs und Drogenkonsum. Ob ihm, Kern, derartige Gerüchte zu Ohren gekommen sind, wollte Hafenecker wissen. Kern will keine Gerüchte dokumentieren, Wahrnehmungen habe er jedenfalls keine dazu. ÖVP-Abgeordneter Stocker wies Kern auf ein Zitat aus dem Protokoll hin, in dem es um “rote Idioten” ging. Kern erwiderte dem Türkisen: “Ich kenne keine roten Idioten”. Stocker und Kern lieferten sich am Donnerstag über weite Strecken ein Privatduell. Die anderen Fraktionen hielten sich mit Fragen zurück. Als Sieger dürfte Kern aus dem Ring gestiegen sein, jedoch gratulierte der Altkanzler dem ÖVP-Abgeordneten, dass er hier sicher zur allergrößten Zufriedenheit des ÖVP-Parteivorsitzenden arbeite.
Hafenecker lotete mit einer Frage zudem aus, wie die Stimmung in der großen Koalition 2016 bis 2017 war: “Wann haben Sie gemerkt, dass die ÖVP aus der Koalition austreten will?” Kern habe am ersten Arbeitstag bereits gespürt, dass die ÖVP kein Interesse an der Fortsetzung der Koalition hatte, “das hat man sofort gesehen.”
(bf)
Titelbild: APA Picturedesk