So läuft die Corona-Impfung
Alle Welt redet über die Coronaimpfung. In der Impfstraße im Wiener Austria Center werden jeden Tag Tausende Menschen geimpft. Wie läuft das ab? Reportage von
Thomas Walach
Wien, 16. März 2021 | “Wie lange sind Sie schon da?” “Seit Viertel Sieben.” Die junge Frau ist fast die erste in einer langen Reihe, die sich einmal um ein Absperrgitter windet. Weil ich mittendrin bin, steht sie direkt neben mir, bloß auf der anderen Seite des Gitters. Hunderte Menschen warten am Vorplatz des Wiener Austria Center darauf, dass die Corona-Impfungen dieses Tages beginnen. Wer nicht mindestens eine halbe Stunde vor dem Termin um sieben Uhr da war, steht weit hinten. Die meisten in der Schlange sind Lehrer. Sie sind perfekt vorbereitet, haben ihre Dokumente fein säublich in unterschiedliche Klarsichthüllen gesteckt, oft farblich markiert.
Wie viele Hochschullehrer mit in der Schlange stehen, weiß ich nicht. Tausende werden dieser Tage geimpft. Am 01. März wurden fast alle Uni- und FH-Mitarbeiter der Stadt aufgefordert, sich für einen Impftermin in der Gruppe “Bildungspersonal” anzumelden. Am nächsten Tag trudeln in aller Früh Nachrichten von Kollegen an der Uni bei mir ein: “Ich habe einen Impftermin. Du auch?” Ja, ich habe auch einen. Ein Versehen, wie die Stadt am nächsten Tag feststellt. Eigentlich seien nur Mitarbeiter von Schulen und Kindergärten gemeint gewesen. Der Betriebsratsvorsitzende der Uni Wien mit ihren 10.000 Mitarbeitern, Karl Reiter, ist stinksauer: “Wenn der Herr Hacker der Ansicht ist, dass Universitäten keine Bildungseinrichtungen sind, dann soll er den Mund aufmachen und das sagen!”
Ich frage bei der Stadt nach: Kann ich meinen Termin an einen Risikopatienten abgeben? Nein, kann ich nicht. Die Impflogistik der Stadt sieht vor, dass gruppenweise geimpft wird. Nimmt jemand seinen Termin nicht wahr, bekommt ihn jemand anderes aus der selben Gruppe. Beim Bildungspersonal gibt es aber mehr freie Termine als Impfwillige. Von einigen Lehrern höre ich, dass der schlechte Ruf von Astrazeneca sie von der Anmeldung abgehalten hat. Die Stadt bittet alle Unimitarbeiter, ihre Termine zu behalten. Wer ihn bereits storniert hat, wird kontaktiert und bekommt einen neuen zugewiesen.
Die rote Linie
Von der Verwirrung im Vorfeld ist beim Impfen selbst nichts zu merken. Um Punkt sieben Uhr gehen die Türen auf. Die Schlange bewegt sich erstaunlich schnell. Wir werden an Schildern vorbeigelotst, die uns auffordern, unseren QR-Code bereitzuhalten. Vor und hinter mir beginnen Leute, hektisch in ihren Unterlagen zu rascheln. “Was für ein QR-Code? Ich habe keinen QR-Code bekommen! Haben Sie einen?”, fragt die Frau vor mir in der Reihe. “Nein, ich habe auch keinen. Das wird schon passen.” Sie wirkt nicht sehr beruhigt.
Drinnen geht es eine Rolltreppe hinunter, rein in einen großen hellen Saal, durch den sich die Schlange der Impfwilligen windet. Am Boden sind Abstände markiert. Kein Babyelefant – der ist längst Geschichte -, sondern ein umgefallener Faßmann, wie es in Lehrerkreisen heißt. Ich mache Fotos und trete dabei einen Schritt über meine Linie. “Bitte achten Sie auf den Sicherheitsabstand!” Die Security-Mitarbeiter in ihren Leuchtwesten sind schon richtig munter. Anamnesebögen liegen stapelweise auf Tischen entlang der Wände. Man hätte sie auch selbst ausdrucken und ausgefüllt mitbringen können. Soweit ich nach vorne und hinten schauen kann, haben das alle außer mir gemacht. Ich trete aus der Reihe, deute der nächsten Person, sie möge meinen Platz nehmen und fülle einen Bogen aus. Dann reihe ich mich wieder ein.
So geht es von Station zu Station. Erst das Astrazeneca-Pickerl in den Impfpass kleben. Wer keinen hat, bekommt einen. Dann E-Card herzeigen. “Vielen Dank. Folgen Sie der roten Linie!” Am Ende der roten Linie sitzen zwei Dutzend Ärzte an Tischen – medizinisches Aufklärungsgespräch. Die Ärztin deutet meinen Blick richtig. “Sie haben keine Fragen, sondern genießen nur?” “Genau.” Meinen Dienstausweis von der Uni will niemand sehen. QR-Code auch nicht.
Dann wird es ernst. Im angrenzenden Saal sind Kabinen aufgebaut, ein Vorhang vorne, einer hinten. Ich tanze kurz aus der Reihe, um zu zählen. Es sind 37. Meine ist die Nummer 13. Drinnen wartet eine Frau in blauen Scrubs. Sie fragt mich, in welchen Arm ich geimpft werden möchte. “Links bitte.” Sie hat die Spritze schon bereit. Zu meinen Füßen steht ein stichfester Container. Leere Spritzen liegen darin. Es müssen tausende sein. “Achtung, jetzt kommt ein Stich!” “Na hoffentlich!”, brumme ich freundlich. Der Stich ist kaum spürbar. “Wie bitte?” “Ich sagte: Hoffentlich! Hab mich schon gefreut.” “Ach so.” Sie lacht. “Bitte draußen, wo alle sitzen, 15 Minuten Platz nehmen. Falls es Ihnen nicht gut geht, sagen Sie gleich den Sanitätern Bescheid!” Hinter den Kabinen hängt eine große Digitaluhr. Es ist 07:33. In dieser Zeit haben die Organisatoren hunderte Menschen durch die Impfstraße geschleust. In Tolstois “Krieg und Frieden” gibt es eine Szene, in der ein russischer Offizier die gute Organisation der Österreicher lobt. Tolstoi konnte die Österreicher nicht gut gekannt haben, dachte ich immer. Aber jetzt denke ich an den erfundenen Offizier und pflichte ihm bei.
Nebenwirkungen
Auf dem Weg zur U-Bahn lausche ich übersensibel in meinen Körper hinein. Klar, eigentlich kann es jetzt noch keine Nebenwirkungen geben. Aber Lehrer und Unikollegen haben mich gewarnt. Die Nebenwirkungen von Astrazeneca: Fieber, Schüttelfrost, Gliederschmerzen. Als Wissenschaftler an der Uni Wien habe ich online Zugang zu allen wichtigen medizinischen Fachzeitschriften der Welt. Soll man vorbeugend Medikamente nehmen? Die Datenlage ist mehr als dünn. Theoretisch wäre es denkbar, dass die Immunabwehr dadurch unterdrückt und die Impfung weniger effektiv wird. Aber führende Pharmakologen und auch deutsche Impfzentren empfehlen die Einnahme von Paracetamol, Ibuprofen oder Metamizol.
“Hilft nix, schadts nix”, habe ich beschlossen und schon in der Früh hochdosiert Ibuprofen genommen. Ist nicht für jeden etwas, aber ich weiß, dass ich es gut vertrage. Ein Antihistaminikum habe ich auch genommen, wegen der Pollen, die schon fliegen. Den ganzen Tag warte ich auf Nebenwirkungen. Nichts. Am Abend nehme ich denselben Medikamentencocktail noch einmal. “Die Nacht wird heftig!”, schreibt mir ein Freund, der es schon hinter sich hat. Wird sie aber nicht. Ich schlafe durch und fühle mich am nächsten Tag nicht anders als sonst.
Nicht einmal die Einstichstelle im Oberarm ist spürbar, wie nach anderen Impfungen oft. Ich sehe sie kaum noch. Das einzige, was an die Coronaimpfung erinnert, ist der kleine Aufkleber im brandneuen Impfpass.
Titelbild: APA Picturedesk