Zerkleinern wäre sehr lieb
Jeden Samstag kommentiert Schriftsteller Daniel Wisser an dieser Stelle das politische Geschehen. Dabei kann es durchaus menscheln – it’s a feature, not a bug!
Am Donnerstag werden bei mir im Haus die Altpapiercontainer entleert. Aufgrund der Bestelleritis haben wir nun einen weiteren Container bekommen. Seit Wochen steht ein riesiger Ikea-Karton davor. Er wird jeden Donnerstag zur Seite gestellt, die Container mit dem roten Deckel werden entleert und zurückgebracht und der Ikea-Karton wieder davor aufgepflanzt.
Es ist eine Frage der Nerven. Eine Mitbewohnerin hat auf diesen Ikea-Karton mit einem dicken Edding ZERKLEINERN WÄRE SEHR LIEB! geschrieben. Ich habe ihre Botschaft mit Genugtuung zur Kenntnis genommen. Bewirkt hat sie nichts. Am Donnerstag war es so weit: Sehr früh morgens, sodass ich unbemerkt bleiben konnte, nahm ich mein Stanleymesser, ging hinunter, zerschnitt den Ikea-Karton und steckte die Teile in den Container. Leider erwischte mich doch ein Mitbewohner. Er blieb kurz stehen, seufzte und sagte nur: »Super, dass Sie das machen; ich habe es mir nämlich auch schon überlegt.«
Demokratischer Konsens
Knapp vor dem Alter von fünfzig Jahren bin ich also dort angekommen, wo ich nie hinwollte: Ich habe die Blockwart-Mentalität angenommen, die ich bei anderen immer furchtbar gefunden habe. Ich kümmere mich um Dinge, die mich nichts angehen. Ich wollte, dass der verdammte Ikea-Karton nach Wochen endlich verschwindet. Übrig bleibt dennoch nichts anderes als ein schlechtes Gewissen und die Scham darüber, dass eigentlich alles schiefgelaufen ist.
Die Demokratie ist eine vertrackte Sache. Sie besteht nicht nur aus einer Verfassung und dem Vor-Sich-Hin-Werken ihrer drei Gewalten. Sie fußt auf einer ungeschriebenen und nicht so einfach zu definierenden Übereinkunft: dem demokratischen Konsens. Schlimmer noch als seine Ungreifbarkeit ist die Tatsache, dass eine Verletzung des demokratischen Konsens keine Konsequenzen nach sich zieht.
Gilt nicht für mich
Wir begreifen diese Konsequenzlosigkeit als Schwäche. Der, der den Ikea-Karton unzerschnitten hinstellt, ist der coole Hund. Die Arbeit der Entsorgung trägt irgendjemand anderer. Das ist die eine Sicht. Die andere ist: Der Ikea-Karton-Absteller ist ein Arschloch. Die Gesellschaft funktioniert aber trotz des Arschlochs. Und das ist die Stärke des Konsens, dass seine Breite uns ein gesellschaftliches Dasein ermöglicht, das weitgehend friedlich ist.
Verletzungen des demokratischen Konsens hat es hie und da immer gegeben. Erst Jörg Haider hat sie zum System gemacht. Konsequent hat er den langjährigen Usus dieser Republik gebrochen. Unaufhörlich hat er Menschen persönlich und pauschal diffamiert, nur um selbst mit einem Heer von Rechtsanwälten gegen jedermann vor Gericht zu ziehen, der dasselbe tat. In dieser Denkweise liegt einer der Wesenszüge autoritärer Herrschaft: Was für dich gilt, gilt nicht für mich! Wo sich dieser Grundsatz etabliert, kann es keine Demokratie geben.
Auf dem Rücken der Bevölkerung
Just der Verfassungsjurist Dr. Jörg Haider weigerte sich vor etwa fünfzehn Jahren, die Ortstafel-Erkenntnis vom 28. Dezember 2006 verfassungsgemäß kundzumachen. Der Verfassungsgerichtshof drohte mit einem Exekutionsantrag beim Bundespräsidenten. Haider gab nach und schickte seinen besten Mann Stefan Petzner, um öffentlich einzuknicken und die Angelegenheit als künstliche Aufregung abzutun.
Sebastian Kurz und Gernot Blümel haben in Haider ihr Vorbild, sie gehen aber noch weiter. Das liegt nicht daran, dass ihre Bildung und ihr intellektuelles Niveau unter dem von Jörg Haider liegen. Sie spielen ein Spiel, indem sie die Spanne des Gilt-Nicht-Für-Mich weiter ausreizen wollen. Wie man ihre Defizite psychologisch erklärt, ist die eine Sache. Dass sie ihre autoritären Kinderträume auf dem Rücken der ganzen Bevölkerung austragen, ist die schwerwiegende Sache.
Ein Feind der Demokratie
Ein Mann wie Gernot Blümel hat im Finanzministerium nichts verloren, nicht einmal als kleinster Beamter; und das nicht, weil seine Machenschaften erst auf ihre Legalität hin überprüft werden müssen, sondern weil er fachlich nicht geeignet ist. Das weiß jede und jeder in diesem Land. Dazu schickt er uns aber eine Botschaft, die der Demokratie schwer schadet. Millionen von Steuerzahler*innen finanzieren diesen Staat und damit auch das Gehalt Blümels durch ihre Abgaben. Sie müssen Fristen einhalten und haben oft wegen kleiner Unstimmigkeiten Schwierigkeiten. Sie alle werden durch das Verhalten des Ministers verarscht.
Gernot Blümel ist ein Ikea-Karton-Absteller. Andere müssen hinter ihm aufräumen. Es wird Zeit, dass aufgeräumt wird. Aufgeräumt mit dem System Sebastian Kurz, das an allen Ecken dieser Republik die Verarschung derer, die den Staat tragen, betreibt. Und es wird Zeit, dass sich die Partei der Grünen überlegt, warum sie einem Feind der Demokratie im Nationalrat das Vertrauen gibt. Das ist für diese Partei, die einst angetreten war, um die Demokratie zu beleben und zu erneuern, eine desaströse Haltung, die ihre Grundsätze zerstört und daher mit Koalitionstreue nicht zu rechtfertigen. Ich habe ein schlechtes Gewissen, wenn ich früh morgens mit dem Stanleymesser im Haus herumschleiche. Ich könnte mich aber auch fragen: Warum ich? Wie lange wäre der Ikea-Karton herumgestanden? Monate? Jahre?
Wann zurücktritt Gernot?
Die Zeit ist gekommen, dass das Volk sein Recht verlangt. Das ist vielleicht altmodisch oder uncool. Es ist aber sein Recht. Und jene, die am meisten vom Recht sprechen (nämlich die Regierung Kurz), werden wohl dafür Verständnis haben. Gernot Blümel hat die Möglichkeit, die Angelegenheit im Rahmen des politischen Konsens zu klären. Er könnte zurücktreten und die Politik hinter sich lassen.
Gernot Blümel verarscht euch! Lasst euch nicht verarschen! Zerkleinert ihn! Danke ❤️
Titelbild: APA Picturedesk