Warum LGBTIQ-Diskriminierung heute auf Widerstand stößt
Der Kampf um Anerkennung ist für Menschen, deren Sexualität vom üblichen Schema abweicht, noch lange nicht gewonnen. Wo das offizielle Österreich steht, hat es vergangene Woche klargemacht. Eine Positionsbestimmung.
Moritz Yvon
Wien, 28. Juni 2021 | Letzte Woche gingen die Wogen hoch: Das neue ungarische Gesetz, das es illegal macht, vor Kindern und Jugendlichen auch nur neutral über Homo- und Bisexualität bzw. medizinische Möglichkeiten für transgender Personen zu sprechen, sorgte in halb Europa für Empörung. 17 Staaten von 27 verurteilten es entschieden (einige, darunter Österreich, erst nach einem Tag heftiger Kritik). EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nannte es ganz undiplomatisch eine „Schande“. Ähnlich ging es der UEFA, als sie München untersagte, als Zeichen der Solidarität sein Fußballstadion in Regenbogenfarben erstrahlen zu lassen, auch sie erntete dafür einen Shitstorm.
Warum jetzt?
Man könnte sich fragen: Was ist da los? Seit wann sind LGBTIQ-Rechte etwas, über das nicht nur diskutiert, sondern das für breite Empörung sorgt, wenn sie missachtet werden? Lange war dem nicht so: Noch bis 2002 konnte in Österreich ein 19-Jähriger wegen einer Beziehung mit einem 17-Jährigen ins Gefängnis gehen. Auch die Eingetragene Partnerschaft kam erst 2010, die Öffnung der Ehe 2019. Woher dieser Wandel?
Nun, zunächst ist dem ein jahrzehntelanger gesellschaftlicher Diskussionsprozess vorausgegangen, der die Mehrheit zum Umdenken über Lesben, Schwulen, Bisexuelle transgender, intergeschlechtliche und queere (kurz: LGBTIQ-)Menschen gebracht hat, zumindest in Westeuropa und Teilen Mitteleuropas. Die allermeisten Menschen, selbst, wenn sie sich mit dem Thema ein bisschen unsicher fühlen, haben längst verstanden: Es ist nicht wichtig, wen man liebt, wichtig ist, dass man liebt.
Dazu haben vor allem drei Faktoren beigetragen: Erstens die abnehmende Bedeutung der Religion, wo nicht zuletzt die katholische Kirche tatkräftig mitgeholfen hat: Erst durch ihren absurden Kampf gegen Verhütung, der Menschen daran gewöhnt hat, ihre Sexualmoral zu ignorieren, und dann durch die Vertuschung der Vergewaltigung tausender Kinder auf der ganzen Welt, die sie jeglicher Glaubwürdigkeit beraubt hat. Zweitens hat die Populärkultur eine große Rolle gespielt, die, erst noch zögerlich, dann aber immer häufiger LGBTIQ-Stars und LGBTIQ-Themen platziert hat. Es ist ja banal: Wenn man mit einer Minderheit nie in Berührung kommt, ist sie einem fremd. Wenn man das dann aber immer wieder am Abend im Fernsehen sieht, dass diese Menschen einem selbst gar nicht so fremd sind, reduziert das diese Distanz und man tut sich leichter, die Menschen hinter dem, was sie vermeintlich anders macht, zu sehen.
Und dann ist da noch der dritte Faktor, der dasselbe unmittelbar und persönlich macht: Das Coming-out von Menschen, die man kennt und liebt. Das Coming-out ist, neben einer enormen persönlichen Befreiung für LGBTIQ-Menschen, auch ein erfolgreiches politisches Werkzeug. Denn die allermeisten nehmen am Ende einen Menschen, den sie lieben, so an, wie dieser eben ist, selbst, wenn sie zu Beginn Probleme damit haben.
Inmitten der Gesellschaft
Das hat gewaltige Folgen: Denn genau diese Menschen akzeptieren es nicht mehr, dass ihre Kinder, ihre Schwester, ihr Freund aus der Fußballmannschaft diskriminiert werden. Wir LGBTIQ-Menschen machen vielleicht nur 5-10% der Gesellschaft aus, aber wir sind buchstäblich überall, in fast jeder Familie, in nahezu jedem Freundeskreis. Das ist längst gesellschaftliche Realität.
Und Realität ist auch, dass wir alle keine Geduld mehr haben. Wir haben es satt. Wir haben es satt, immer noch auf echten Diskriminierungsschutz zu warten. Wir haben es satt, dass intergeschlechtliche Kinder (also solche, die biologisch weder Buben noch Mädchen sind) immer noch durch OPs genitalverstümmelt werden. Wir haben es satt, uns dafür zu rechtfertigen, dass wir sind, wie wir eben sind. Und unsere Familien und Freund*innen haben es genauso satt.
Es steht gar nicht mehr zur Debatte: Wer uns nicht akzeptiert, wird in 10 Jahren so gesehen werden, wie heute die Vertreter der Rassentrennung in den USA der 1970er. In Teilen Mittel- und Osteuropas vielleicht auch erst in 20 Jahren, aber der Tag wird kommen. Es wird besser.
Moritz Yvon ist Vereinssekretär der Homosexuelleninitiative (HOSI) Wien.
Titelbild: APA Picturedesk