Der Vormarsch der Taliban in Afghanistan verstärkt sich mit der Eroberung der zweitgrößten Stadt Kandahar. Afghanistan steht vor einem Bürgerkrieg und das Innenministerium hält weiterhin an unrealisierbaren Abschiebungen fest.
Wien, 13. August 2021 | Mit der Eroberung der afghanischen Provinzhauptstadt Kadahar am Donnerstag ist innerhalb einer Woche die 15. Provinz an die Taliban gefallen. Die Taliban hat nun die Kontrolle über den gesamten Süden des Landes und die Hauptstadt Kabul soll laut Prognosen in 30 Tagen fallen. Britische Politiker üben stark Kritik an der US-Entscheidung Truppen abzuziehen.
Mehrere EU-Staaten haben aufgrund der prekären Sicherheitslage einen vorläufigen Abschiebestopp nach Afghanistan angekündigt. Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) weicht jedoch nicht von seinem Standpunkt ab, obwohl Abschiebungen nicht realisierbar sind.
Kritik von den Briten
Der britische Verteidigungsminister Ben Wallace kritisiert den Abzug der US-Truppen. Er befürchtet einen Bürgerkrieg und eine Machtübernahme der Al-Qaida. Die Konsequenzen würden sich auf die internationale Gemeinschaft auswirken. „Zu viele Kommentatoren geben der afghanischen Regierung/Bevölkerung die Schuld. Die Schuld liegt bei uns. Wir hätten nicht so rücksichtslos und plötzlich abziehen müssen.“, so ein britischer Politiker gegenüber BBC. „Wir hätten die Unterstützung fortsetzen können und sollen. Wir haben Afghanistan verraten.“
Vietnam Flashback
Die USA versuchen noch eine sichere Ausreise für amerikanische Diplomaten zu gewährleisten und entsenden dafür einige tausend Soldaten nach Kabul, Kuwait und Qatar. Die Entsendung von Soldaten für eine abgesicherte Ausreise erinnert an das Bild der Hubschrauber auf dem Dach der amerikanischen Botschaft in Saigon. Diesen Vergleich musste US-Präsident Joe Biden in den vergangenen Tagen oft hören. Biden sprach im Juni selbst die Parallelen zu Saigon an, aber nur um sie von sich zu weisen: „Es wird nicht vorkommen, dass in Afghanistan Menschen vom Dach einer US-Botschaft gehoben werden”, sagte er.
16 von 34 Provinzen in einer Woche erobert
Nach Kandahar ist heute noch eine 16. Provinzhauptstadt, nur 70 Kilometer südlich von Kabul in talibanesische Hände gefallen. Angesichts der eskalierenden Situation prüft nun auch das österreichische Außenministerium ob und wieviele Österreicher sich in Afghanistan befinden. Derzeit sei eine “sehr niedrige Zahl im zweistelligen Bereich” an österreichischen Staatsbürgern in Afghanistan registriert, sagte eine Ministeriumssprecherin am Freitag der APA. Man überprüfe gerade, wer überhaupt noch in dem Land sei. Bisher habe sich aber noch “keine Person an uns gewandt”.
Den rapiden Vormarsch der Taliban betrachten auch Hilfsorganisationen mit Sorge. Sie stellen sich auf eine humanitäre Krise ein, die Tausende Menschen zu einer Flucht zwingen wird. Der Präsident des österreichischen Roten Kreuzes Gerald Schöpfer forderte im Ö1 Morgenjournal ein Ende der Abschiebungen nach Afghanistan. Es herrsche eine „grausame Situation, wo es nicht human wäre, Menschen hinzuschicken“.
(nb/apa)
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