Anzeigen gegen Journalisten:
Die Wiener Polizei zeigte zwei Journalisten an, weil sie von einer Coronademo berichtet haben: Sie hätten sich nicht rechtzeitig von einer aufgelösten Versammlung entfernt. In Deutschland ist Derartiges unbekannt.
Wien, 23. August 2021 | Journalisten bei ihrer Arbeit anzuzeigen ist in entwickelten Demokratien unüblich. Nicht so in Österreich, wo Beamte der Landespolizeidirektion (LPD) Wien durch Anzeigen die Berichterstattung von Reportern behinderten. So geschehen etwa bei einer Coronademo vom 20. März in Wien, bei weitem nicht zum ersten Mal. Die Anzeigen gegen die beiden Journalisten wurden auch nach Prüfung nicht zurückgezogen.
Gerade bin ich von der Polizei angezeigt worden, weil ich an einer verbotenen Demo teilgenommen hätte. Dass ich als ausgewiesener Presseverteter beruflich da war, wurde nicht akzeptiert. Ich soll Einspruch gegen die Anzeige erheben, hieß es. #wien2003 @LPDWien (Foto @AndreaBeer2) pic.twitter.com/uYUKq0y0r3
— Srdjan Govedarica (@SrdjanGovedrica) March 20, 2021
Kessel Matzleinsdorfer Pl wird allmählich aufgelöst. Anzeige ausgefasst beim Verlassen, trotz Presseausweises. Wg angebl. Nichteinhalten des Mindestabstands und Verweilen bei aufgelöster Demo. #w2003 pic.twitter.com/F3T7X15jXW
— Florian Bayer (@FlorianBayer) March 20, 2021
Was ist geschehen? Am 20. März zogen rund 1.000 „Coronamaßnahmen-Gegner“ vom Wiener Hauptbahnhof am Gürtel los. Kurz vor dem Matzleinsdorfer Platz kam der Demozug zum Stehen, die Polizei hatte die Straße gesperrt und kesselte den Zug schließlich auch von hinten ein. Laut Polizeiprotokoll kam es zu „Verstößen gegen die Covid19-Schutzmaßnahmen, insbesondere die FFP2-Maskenpflicht“, die „vom überwiegenden Teil der Teilnehmer“ missachtet worden sei. Die Polizei löste daraufhin die Versammlung per Durchsage auf. Wer sich nicht bis 15 Uhr entfernte, wurde beim Weggehen angezeigt.
So auch zwei Journalisten, die nicht an der Demo teilnahmen, sondern von dort berichteten: Florian Bayer, freier Journalist und für ZackZack im Einsatz, und Srdjan Govedarica, Auslandskorrespondent der ARD in Wien. Beide erhielten unabhängig voneinander eine Anzeige, obwohl sie sich vor den Beamten als Pressevertreter ausgewiesen haben. Hinweise darauf, als Journalisten und nicht als Teilnehmer der Demonstration vor Ort zu sein, blieben fruchtlos. Die Anzeigen wurden nun per Post übermittelt, sind also nach wie vor aufrecht.
„Dass man als akkreditierter Journalist als ‚Teilnehmer‘ der Versammlung angezeigt werden kann, über die man berichtet, ist mir bislang nicht untergekommen. Der Logik folgend hätten sich die Polizeibeamten dann auch gegenseitig anzeigen müssen – denn sie waren bei der Versammlung ebenfalls anwesend“, sagt ARD-Korrespondent Govedarica. Auch Journalist Florian Bayer war nie in eine vergleichbare Situation gekommen, obwohl er von teils gewalttätigen Demos in Budapest, Warschau und Paris berichtete. Die Pressefreiheit ist im Artikel 10 der Menschenrechtskonvention geschützt, die in Österreich im Verfassungsrang steht.
Auch bei der nachträglichen Prüfung durch einen Sachbearbeiter, Monate später, gab es für die LPD Wien offenbar keinen Grund, die Anzeige zurückzuziehen. Den beiden Journalisten wurde die Anzeige kürzlich zugestellt, mitsamt der Aufforderung, „die Ihrer Verteidigung dienlichen Beweismittel“ und die „Einkommens- und Vermögensverhältnisse“ zur Strafbemessung bekanntzugeben. Nun heißt es neuerlich warten.
Von der Pressestelle der LPD Wien heißt es auf unsere Frage, warum man ausgewiesene Journalisten nicht berichten lässt: „Wenn Polizisten im Rahmen von Einsätzen strafrechtliche Taten oder Verwaltungsübertretungen wahrnehmen, haben sie im Rahmen der Verhältnismäßigkeit einzuschreiten und gegebenenfalls Anzeige zu erstatten. Den angezeigten Journalisten steht es natürlich frei gegen Anzeigen ein Rechtsmittel einzulegen.“
Nicht zum ersten Mal
Es ist nicht das erste Mal, dass Journalisten von der Polizei in ihrer Arbeit behindert oder gar angezeigt werden. Bereits im Jänner wurde der „Standard“-Journalist Markus Sulzbacher angezeigt, obwohl er sich als Pressevertreter ausgewiesen hatte. Erst im Nachhinein wurde die Strafe wieder zurückgezogen. Auch die Journalisten vom Presseservice Wien berichten, schon oft angezeigt worden zu sein – wegen angeblichem Nichteinhalten von Maskenpflicht oder Mindestabstand, aber auch, weil sie auf aufgelösten Versammlungen verblieben waren.
Auch der freie Journalist Lorenzo Vincentini, der oft von Demos berichtet, wurde vielfach mit derartigen Anzeigen in der Arbeit gehindert: „Die Schreiben der Polizei trudelten fast im Wochentakt ein. Ich musste mehrmals zu Maßnahmenbeschwerden greifen, meist wurde mir Recht gegeben.“ Mehrere Anzeigen gegen ihn liegen ZackZack vor. Eine erhielt Vincentini, weil er eine Spiegelreflexkamera am Fahrrad „nicht so verwahrt“ habe, „dass niemand gefährdet, behindert oder belästigt wurde und dass die Straße weder beschädigt noch verunreinigt wurde.“ (§ 61, Abs. 1 StVO).
Angriffe auf Journalisten
Ein anderer schwerer Kritikpunkt an der LPD Wien, der seit einem knappen Jahr laut wird: Bei mehreren Coronademos erfolgten verbale und auch tätliche Angriffe von Journalisten durch Demoteilnehmer, anwesende Polizeibeamte schritten mitunter aber nicht oder nur zögerlich und zu spät ein. Viele dieser Situationen sind auf Twitter dokumentiert und von Journalisten beanstandet worden.
https://twitter.com/PresseWien/status/1325482418099417091
https://twitter.com/PresseWien/status/1422138037274882048
Ende Jänner führte das Innenministerium als Reaktion auf solche Vorfälle sogenannte „Medienkontaktbeamte“ ein, die bei Übergriffen, aber auch anderen Problemen mit der Polizei zum Einsatz kommen sollten. Auch ARD-Journalist Govedarica informierte umgehend nach Ausstellung der Anzeige gegen ihn den zuständigen Ansprechpartner der Polizei, dieser sei aber keine Hilfe gewesen.
Kritik von Journalistenvertretungen
Auch der freie Journalist Michael Bonvalot berichtet gegenüber ZackZack, zwar noch nie angezeigt, aber mehrmals von Vertretern der LPD Wien bei der Arbeit behindert worden zu sein: „Es ist leider fast schon üblich geworden, dass Polizistinnen und Polizisten die Pressefreiheit bei Demos und Aufmärschen einschränken. Ich gehe deshalb auch regelmäßig gegen die Polizei mit Maßnahmenbeschwerden vor Gericht.“ Diese seien freilich „potenziell teuer“, weswegen es eine niederschwellige und unabhängige Untersuchungsbehörde brauche.
„Aufgabe der Polizei ist, für ungehinderte Berichterstattung zu sorgen und nicht Journalistinnen und Journalisten bei der Ausübung ihres Berufes einzuschränken. Die Pressefreiheit – und damit die Arbeit von Journalisten – ist ein Grundpfeiler der Demokratie“, heißt es vom Presseclub Concordia zu den Anzeigen. Es brauche verstärkt Sensibilisierung von Einsatzbeamten für die Rechte der Presse. Auch der Verband der Auslandspresse ist „besorgt“ über die Anzeigen und will das Thema weiter beobachten.
In Deutschland „nicht bekannt“
„Hier in Deutschland haben Journalisten auch immer wieder mal Probleme, allerdings eher mit sogenannten Querdenkern und Nazis als mit der Polizei“, sagt Hendrik Zörner, Pressesprecher vom Deutschen Journalistenverband, gegenüber ZackZack. „Dass ein Journalist angezeigt wird, obwohl die Polizei um seinen Beruf weiß, ist schon außergewöhnlich. Aus Deutschland ist mir kein solcher Fall bekannt.“
Auch Jörg Reichel von der Deutschen Journalistinnen- und Journalistenunion (dju) in Berlin-Brandenburg sind keine vergleichbaren Anzeigen bekannt. Zwar gebe es „auch hier Polizisten, die nichts vom Presserecht wissen und Journalisten etwa ungerechtfertigt von einem Platz verweisen.“ Allerdings ist die Berliner Polizei seit Jahresanfang gesetzlich verpflichtet, die Arbeit von Journalisten zu gewährleisten.
So sind polizeiliche Führungskräfte, die auf Demos eingesetzt werden, nun speziell auf die Rechte von Journalisten geschult. Für Reichel ist das die wirksamere Maßnahme als einzelne Medienkontaktbeamte: „Bei der Berliner Polizei hat der notwendige Kulturwandel zwischen Polizei und Journalisten begonnen.“
(red)
Titelbild: APA Picturedesk