Rechtsexperte:
Aufgrund steigender Infektionszahlen wird derzeit eine 1G-Regel ab Herbst diskutiert. In gewissen Bereichen wie etwa der Nachtgastronomie sollen dann nur noch Geimpfte Zutritt haben. Jetzt äußerten sich auch Mediziner und Rechtsexperten zu den Plänen der Regierung.
Wien, 24. August 2021 | Während in Deutschland seit Montag die 3G-Regel gilt, wird in Österreich bereits eine 1G-Regel diskutiert. So sollen ab Herbst in Bereichen mit besonders hohem Ansteckungsrisiko wie der Nachtgastronomie nur noch Geimpfte Zutritt haben – sollten die Infektionszahlen weiter steigen. Sowohl für Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) als auch für Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) wäre dies vorstellbar, wie sie am Samstag bekannt gaben.
“Aktuelle Prognosen der Wissenschaft zeigen uns, dass wir die Impfrate weiter erhöhen müssen, um eine Überlastung des Gesundheitssystems zu vermeiden”,
gab Mückstein zu bedenken. Der Gesundheitsminister appellierte einmal mehr an alle bisher Nichtgeimpften, das nachzuholen: “Sie schützen damit sich selbst und auch Ihre Lieben vor einer schweren Erkrankung”.
Kollaritsch: “Zunehmend weniger Spielraum”
Zu den möglichen Verschärfungen hat sich Dienstagfrüh auch der Infektiologe Herwig Kollaritsch im „Ö1“-Morgenjournal geäußert. Er sieht „zunehmend weniger Spielraum“, in gewissen Bereichen nicht auf die 1G-Regel umzusteigen. Aufgrund zahlreicher Impfskeptiker, die kaum über Aufklärung erreichbar seien, werde es ohne Eingreifen seitens der Politik nicht zu einer Verbesserung der aktuellen Corona-Situation kommen können.
Kollaritsch erläuterte auch, dass getestete Personen wesentlich höhere Infektionstreiber seien als geimpfte Personen. “Es gibt kein Argument, dass getestet besser ist als geimpft”, so der Experte. Geimpfte würden deutlich seltener infiziert und auch krank als Nicht-Geimpfte. Gerade in Richtung Herbst sei mit einem erhöhten Infektionsdruck zu rechnen, weshalb er durch die Delta-Variante ein “sehr bedrohliches Szenario” ortet. Daher sei es auch wichtig, dass genesene Personen sich möglichst rasch – ab vier Wochen nach der Infektion – impfen lassen, so Kollaritsch. “Wenn Genesene einmal geimpft werden, entwickeln sie einen exorbitant hohen Antikörperspiegel.”
Auch Impfpflicht “verfassungsrechtlich zulässig”
Aber würde eine 1G-Regel auch vor dem Verfassungsgerichtshof bestehen? Laut dem Medizinrechtsexperten Karl Stöger kann diese jederzeit per Verordnung eingeführt werden, diese Ermächtigung finde sich im Covid 19-Maßnahmengesetz, wie er gegenüber “Ö1” sagte. Diese Verordnung müsse allerdings – um vor einer möglichen Prüfung durch den Verfassungsgerichtshof standzuhalten – medizinisch überzeugend begründen können, aber auch die Kosten für die Tests könnten eine Rolle spielen. “Eine mit Augenmaß gemachte 1G-Regel hat meines Erachtens gute Chancen, vor dem Verfassungsgerichtshof zu bestehen.”
Auch Verfassungsrechtsexperte Heinz Maier hält eine 1G-Regel für rechtlich möglich und auch geboten, um die Geimpften von Beschränkungen zu befreien. Auch eine Impfpflicht sei verfassungsrechtlich zulässig, wenn es notwendig sei, um eine größere Gefahr für die Gesundheit von Menschen abzuwenden.
SPÖ für 1G, FPÖ und NEOS dagegen
Zuspruch für die 1G-Regel kommt auch von der SPÖ. Parteichefin Pamela Rendi-Wagner hatte Samstagfrüh erneut gefordert, den Zutritt zur Nachtgastronomie, zu Festivals und Sportveranstaltungen nur noch für vollständig Geimpfte zu erlauben. Die Regierung solle diese 1G-Regel österreichweit für Bereiche mit hohem Infektionsrisiko einführen, verlangte sie in einer Aussendung. In der Bevölkerung gibt es laut einer “profil”-Umfrage eine knappe Mehrheit für 1G.
Kritik an der Ankündigung der Regierung kam von den NEOS, denn diese vergesse auf die Genesenen. “Dass die Impfung vor einer schweren Covid-Erkrankung schützt, ist klar und steht außer Streit. Aber auch die Genesenen sind wenig gefährdet, einen schweren Krankheitsverlauf zu erleiden und müssen daher vorläufig nicht geimpft werden, schon gar nicht doppelt”, meinte Gesundheitssprecher Gerald Loacker in einer Aussendung.
Für FPÖ-Chef Herbert Kickl ist das “1G-Regime” ein “wahrer Corona-Amoklauf der Unverantwortlichkeit und der Entmündigung der Bürger“. Der freiheitliche Bundesparteiobmann appellierte daher eindringlich an die Ärzteschaft in Österreich, sich nicht einfach so von verantwortungslosen Politikern und den Gewinninteressen der Pharmaindustrie vor den Karren spannen zu lassen und dem Impfzwang Vorschub zu leisten. „Eine Impfung ist und bleibt wie jede medizinische Behandlung eine höchstpersönliche Entscheidung des Betroffenen, die im Zusammenwirken mit dem Arzt seines Vertrauens getroffen werden muss“, erinnerte Kickl.
Feiern im Club: Ab Herbst möglicherweise nur noch für Geimpfte möglich (Bild: APA)
1G: “Todesstoß für Nachtgastro”
Kritik kommt von der Wirtschaftskammer. Gastro-Obmann Mario Pulker ist vehement dagegen, nur noch Geimpfte in die Lokale zu lassen. Würde eine 1G-Regel auch für die Tagesgastronomie eingeführt werden, würde er sogar vor die Verfassungsrichter ziehen.
“In der normalen Gastronomie eine 1G-Regel einzuführen würde einem Lockdown gleichkommen”, sagte Pulker am Montag zur APA. Selbst jetzt mit der 3G-Regel würden die Betriebe Umsatzrückgänge zwischen 15 bis 45 Prozent einfahren, so der Gastro-Branchenobmann. Für die Unternehmen wäre eine noch schärfere Regel fatal. “Man kann nicht einzelne Branchen benachteiligen”
Von einem “absoluten Todesstoß” spricht Nachtgastro-Sprecher Stefan Ratzenberger. Seine Prognose: 90 Prozent der Diskotheken und Nachtklubs außerhalb von Wien würden zusperren. Die Coronakrise habe sie am meisten betroffen: “Wir waren die Ersten, die zusperren mussten und die Letzten, die aufgemacht haben”, so Ratzenberger, der scharfe Kritik an Gesundheitsminister Mückstein übte.
(mst, apa)
Titelbild: APA Picturedesk