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NS-Verfahren in Itzehoe: 96-jährige Angeklagte versuchte zu fliehen

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NS-Verfahren in Itzehoe: 96-jährige Angeklagte versuchte zu fliehen

NS-Verfahren in Itzehoe:

Eigentlich hätte die ehemalige KZ-Sekretärin Irmgard F. (96) am Donnerstag vor dem Landgericht Itzehoe stehen sollen und sich wegen Beihilfe zum Mord in mehr als 11.000 Fällen verantworten müssen. Doch sie erschien nicht – am frühen Morgen floh sie mit dem Taxi.

Itzehoe, 01. Oktober 2021 | Wegen der Flucht der Angeklagten hat der womöglich letzte NS-Prozess in Deutschland nicht wie geplant beginnen können. Das Landgericht Itzehoe bei Hamburg erließ am Donnerstagfrüh einen Haftbefehl gegen die frühere Sekretärin im Konzentrationslager Stutthof bei Danzig. Die Polizei habe die 96-jährige Irmgard F. mehrere Stunden später gefunden, sagte Gerichtssprecherin Frederike Milhoffer zu Mittag. Die Angeklagte wurde in Untersuchungshaft genommen.

Beihilfe zum Mord in mehr als 11.000 Fällen

“Das Gericht hat der Angeklagten den Haftbefehl verkündet. Sie wird nun in die Untersuchungshaftanstalt verbracht”, teilte Gerichtssprecherin Frederike Milhoffer am Donnerstag mit. Der Angeklagten wird Beihilfe zum Mord in mehr als 11.000 Fällen vorgeworfen. Als Stenotypistin und Schreibkraft in der Kommandantur von Stutthof soll sie zwischen Juni 1943 und April 1945 den Verantwortlichen des Lagers bei der systematischen Tötung von Gefangenen Hilfe geleistet haben.

Flucht nach Hamburg

Die 96-Jährige habe am Donnerstag zwischen 6.00 und 7.20 Uhr ihren Wohnort verlassen und sei mit einen Taxi Richtung Norderstedt/Hamburg-Ochsenzoll gefahren, erklärte Milhoffer. Nach Informationen von “bild.de” war sie zu Mittag zu Fuß auf der Langenhorner Straße in Hamburg unterwegs, als Polizisten auf sie aufmerksam wurden.

Die Gerichtssprecherin bestätigte, dass die 96-Jährige wenige Tage vor dem geplanten Prozessbeginn in einem Brief an das Gericht erklärt hatte, dass sie nicht kommen wolle. Daraufhin habe der Vorsitzende Richter ihr mitgeteilt, welche Maßnahmen die Strafkammer ergreifen werde, sollte sie tatsächlich nicht kommen. Allein aufgrund der Ankündigung hätte das Gericht keinen Haftbefehl gegen die 96-Jährige verhängen können, erklärte Milhoffer. Das sei rechtlich nicht zulässig.

Wegen der Abwesenheit der Angeklagten vertagte die Strafkammer die Verhandlung auf den 19. Oktober.

65.000 Menschen starben im KZ Stutthof

In das Lager von Stutthof waren unmittelbar nach Beginn des Zweiten Weltkriegs polnische Zivilisten interniert worden. Ab 1942 folgten nach Angaben des Museums Stutthof Transporte aus den übrigen von Deutschland besetzten Gebieten. Im Juni 1944 wurde Stutthof Teil der sogenannten “Endlösung”. Die SS brachte nach Angaben der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem vor allem jüdische Frauen aus den Arbeitslagern im Baltikum und aus Auschwitz nach Stutthof. Hier starben etwa 65.000 Menschen – aufgrund von Krankheiten, Hunger, Misshandlungen, aber auch durch Erschießen, Erhängen, Vergasen und tödliche Phenolspritzen ins Herz.

(apa/jz)

Titelbild: APA Picturedesk

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