Zweifel an der Kontrollfunktion der 4. Gewalt:
Martin Kreutner ist Österreichs renommiertester Antikorruptionsexperte und Vertreter des Antikorruptionsvolksbegehrens. Im ZackZack-Interview spricht er über Korruption in den Medien und was man dagegen tun kann.
Wien, 13. Oktober 2021 |
ZackZack: Hr. Kreutner, letzte Woche gab es im Herzen der Republik Hausdurchsuchungen wegen schwerer Vorwürfe zu Inseratenkorruption. Hat sich an der Haltung der Medien seitdem etwas geändert?
Martin Kreutner: Als Staatsbürger, aber auch als einer der Proponenten des Volksbegehrens und als jemand, der seit 30 Jahren in der Korruptionsbekämpfung tätig ist, kann ich nur hoffen, dass das nur der erste Schritt war. Jetzt zur Tagesordnung überzugehen, so zu tun, als wäre die Sache erledigt, würde ich für hochbedenklich erachten.
Wir haben jetzt die Riesenchance, einen Diskussionsprozess und einen Reinigungsprozess anzugehen. Was die Medienlandschaft betrifft: Die Verdachtslage von Inseratenkorruption, von Klüngelei und Absprachen zwischen einzelnen Medienvertretern und einzelnen Politikern betrifft die Grundfesten der Politik.
Mutmaßlich gefälschte Umfragen, die den Wählerwillen beeinflussen sollen, Medienhäuser, die auf Abruf bereitstehen und auch ihrerseits Politiker antanzen lassen – es gilt zu hinterfragen, ob die Vierte Gewalt im Staat ihre Kontrollfunktion noch ausüben kann.
ZZ: Geht es um Einzelfälle, oder ist das ein systemisches Problem?
MK: Strafrechtlich muss man die einzelnen Fälle anschauen. Das passiert jetzt auch. Hier kann man nur an die Entscheidungsträger appellieren, die Justiz ohne Zwischenrufe arbeiten zu lassen. Man wird sich aber auch die systemische Frage gefallen lassen müssen. Die Entscheidungsträger in der Medienlandschaft müssen sich überlegen, wie sie im In-, aber auch im Ausland gesehen werden wollen. Es geht um Anscheinsbefangenheit und auch tatsächliche Befangenheit. Die Medien müssen die Rolle des neutralen Berichterstatters und auch Befragers zurückerlangen. Medien haben natürlich eine Kontrollfunktion in einer Demokratie und die Bevölkerung erwartet sich auch, dass die Medien diese Funktion ausüben.
ZZ: Apropos Ermittlungen ohne Zwischenrufe: In seiner Regierungsrede hat der neue Bundeskanzler Alexander Schallenberg verlautbart, er halte die Vorwürfe der Ermittler für falsch. Finden Sie das angemessen?
MK: Das muss der neue Bundeskanzler selbst beurteilen. Ich gebe zu, ich war erstaunt, von einem erfahrenen, gebildeten Diplomaten solche Worte zu hören und solche Gesten zu sehen. Das hat mich verblüfft.
ZZ: Was schlagen Sie vor, um Politik und Medien aus ihrer gegenseitigen Abhängigkeit zu befreien?
MK: Eine der Möglichkeiten – und das ist auch Forderung des Volksbegehrens – ist, die Kontrollrechte des Parlaments wesentlich zu verstärken, Presseförderung und Inseratenvergabe einem klaren, planbaren Prozess zu unterwerfen. Es müsste klarere Qualitätskriterien geben: Ist ein Medium investigativ tätig? Wie viele Journalisten sind angestellt und nicht nur als Freelancer tätig? Vor allem muss es nachvollziehbare Entscheidungen geben. Es sollen nicht einzelne Minister Millionenbeträge ad hoc vergeben können.
Letztendlich hängt immer viel von den Beteiligten selbst ab. Man kann die besten Gesetze haben – wenn sie nicht gelebt werden, wenn sie nicht mit Integrität und Anstand umgesetzt werden, wird man mit genügend krimineller Energie immer Schlupflöcher finden.
Man muss von den Entscheidungsträgern im Staat – und da nehme ich die Vierte Gewalt bewusst hinzu – einfordern, Korruptionsbekämpfung auch zu leben. Von der Privatwirtschaft fordert der Staat über Compliance-Richtlinien: Der Firmenchef muss mit gutem Beispiel vorangehen. Ich glaube, es wäre nicht zu viel verlangt, das auch für den öffentlichen Sektor einzufordern.
Das Gespräch führte Thomas Walach
Titelbild: APA Picturedesk