Neuer Jugendroman
Julya Rabinowichs neuer Jugendroman “Dazwischen: Wir” erzählt vom Hinschauen, vom Kampf gegen Rassismus und vom Gemeinsamen in einer gespaltenen Gesellschaft.
Wien, 03. Februar 2022 | Der Nachbar grüßt uns nicht mehr. Wir grüßen ihn nicht mehr. Er hat sich nie entschuldigt. Irgendwann mal hat Markus ihn gestellt und gefragt: “Und? Wie wollen wir jetzt unsere Nachbarschaft anlegen – mehr auf Mistgabel oder auf Mittagskaffee?” – In ihrem neuen Jugendroman erzählt Julya Rabinowich die Geschichte ihrer Heldin Madina weiter, die aus einem Kriegsgebiet geflüchtet ist und die nun, da sie eine neue Heimat gefunden hat, auch vor neuen Herausforderungen steht.
Die Wiener Autorin Rabinowich kam als Kind mit ihren Eltern von der Sowjetunion nach Österreich. Sie arbeitete unter anderem als Dolmetscherin mit Geflüchteten. Auf ihren ersten und mehrfach ausgezeichneten Jugendroman “Dazwischen: Ich”, erschienen 2016, folgt jetzt der Nachfolgeteil “Dazwischen: Wir”.
ZackZack: Das erste Buch „Dazwischen: ich“ war sehr erfolgreich. Warum war es Ihnen wichtig, Madinas Geschichte weiterzuerzählen?
Julya Rabinowich: Ich habe ursprünglich gedacht, dass die Geschichte für mich abgeschlossen ist. Dann bin ich 2018 oder 2019 bei einer Lesung in Dresden in eine Pegida-Demonstration geraten. Die Spannung dort war spürbar, auch die derjenigen, die die Rassismus abgelehnt haben, auch die Stimmung jener, denen es egal war. Da war mir klar: Angesichts der Entwicklungen in Europa nach 2015 ist Madinas Geschichte nicht fertigerzählt.
Alle Fluchtgeschichten realer Menschen haben eine gewisse Ähnlichkeit. Ihre Probleme teilt sich Madina mit ganz vielen Kindern und Jugendlichen.
“Dazwischen:Wir” ist Ende Jänner im Hanser Verlag erschienen
ZZ: Von Kritikern wird die Sprache der Bücher als sehr authentisch gelobt. Wie haben Sie zu Madinas Stimme gefunden?
Rabinowich: Sie war einfach da. Das liegt daran, dass ein Teil Madina in mir steckt. Ich bin zwar unter anderen Voraussetzungen und ohne Kriegserlebnisse nach Österreich gekommen, aber plötzlich in einer völlig fremden Welt und Sprache gestrandet, das ist etwas, das wir teilen. Alle Fluchtgeschichten realer Menschen haben eine gewisse Ähnlichkeit. Ihre Probleme teilt sich Madina mit ganz vielen Kindern und Jugendlichen.
ZZ: Nicht nur Deutschland hat mit Pegida ein Problem mit Rassismus, auch in Österreich und im Rest Europas ist das Thema präsent. Sind wir dem als Gesellschaft hilflos ausgeliefert?
Rabinowich: Mir ist in dem Buch auch wichtig zu zeigen, wie schleichend so eine Spaltung der Gesellschaft passiert. Im Buch beginnt es mit einer „Ausländer-Raus“-Schmiererei. Dann schreien es Leute, am Anfang weniger, dann immer mehr und dann kippt die Stimmung. Madina sieht, wie alles nach und nach untergraben wird, was sie sich aufgebaut hat. Es macht deutlich, dass man nicht zu lange warten darf, um einzuschreiten.
Das „Wir“ im Titel des Buches ist ein diverses Wir, es ist die Gesellschaft, die sich gegen Ausgrenzung und Rassismus einsetzt. Das geht uns alle etwas an und nicht nur die Personen, die davon betroffen sind.
ZZ: Sie beschreiben das Buch als deutlich politischer als das erste. Das zentrale Thema ist ein Keil in der Gesellschaft. Was können wir dagegen tun?
Rabinowich: Das Buch ist für mich ein Aufruf an die sogenannten anständigen Konservativen. Im Buch werden sie von einer strengen Lehrerin verkörpert, die Madina und ihre Familie gegen einen Mob verteidigt. Ohne diesen Mut kriegen diejenigen die Macht, die „Ausländer raus“ skandieren. Die Stimmen dagegen dürfen nicht nur aus dem linken Teil der Gesellschaft kommen. Das „Wir“ im Titel des Buches ist ein diverses Wir, es ist die Gesellschaft, die sich gegen Ausgrenzung und Rassismus einsetzt. Das geht uns alle etwas an und nicht nur die Personen, die davon betroffen sind.
ZackZack: “Dazwischen: Wir” ist ein Jugendbuch. Warum wollten Sie dieses Thema für ein junges Publikum aufbereiten?
Rabinowich: Ich habe dieses Thema für Erwachsene schon sehr intensiv beackert, ich wollte neue Menschen ansprechen. Erwachsene wissen eher als Jugendliche, was Krieg bedeutet. Mir war es wichtig, dass sie von einer Gleichaltrigen erzählt bekommen was Krieg bedeutet und wie er nachwirkt. Ich will vermitteln, wie zerbrechlich Frieden ist, wie kostbar und, dass er nicht selbstverständlich ist.
Ich will vermitteln, wie zerbrechlich Frieden ist, wie kostbar und, dass er nicht selbstverständlich ist.
ZZ: Im Buch geht es auch darum, dass Madina sich in der neuen Gesellschaft angekommen fühlt. Was bedeutet Ankommen in diesem Kontext?
Rabinowich: Das Ankommen ist eine andere Herausforderung. Man arbeitet auf diesen Punkt hin, an dem man weiß, ob man bleiben darf. Dann gibt es aber neue Herausforderungen, das Fußfassen, das Land verstehen und seinen Platz darin finden. Am Ende des Buches steht Madina mit einem Bein im neuen und einem im alten Ich. Dieses Ich vereint beides ohne an den Spannungen zerbrechen. Am Ende unternimmt sie eine weitere Reise, doch das wird keine Flucht sein, sondern ein bewusstes Aufbrechen in dem Wissen, dass sie zurück kann.
Das Interview führte Stefanie Marek.
Titelbild: Michael Mazohl