Skylla und Charybdis
Während der Pöbel durchseucht wird, erfreut sich eine neuer Gesundheitsminister seines Amtes. Während die Vernünftigen aufgeben, regiert der galoppierende Unsinn.
Julya Rabinowich
Wien, 19. März 2022 | „Ich habs aufgegeben“, schreibt Florian Krammer auf Twitter. Sein tweet bezieht sich auf meinen, und mein Tweet verlinkt die Forderung der WHO, die Schutzmassnahmen nicht herunterzufahren.
Er ist nicht der einzige, der gerade aufgeben möchte. Aber in seinem Fall ist das besonders beunruhigend: der Professor für Impfstoffkunde an der Icahn School of Medicine at Mount Sinai bemüht sich seit Beginn der Pandemie um Vermittlung und Erkenntnis. Er trat unzählige Male öffentlich für sinnvollen und umsichtigen Umgang mit Covid19 ein, er hat viel Energie und Zeit in Aufklärung investiert. Wenn er also jetzt sagt, dass er aufgibt, ist das ein alarmierendes Zeichen.
Galoppierender Unsinn
Alarmierend ist nicht nur das Aufgeben eines renommierten Fachmannes: alarmierend ist das fortschreitende Ignorieren von Wissenschaft zugunsten des mit Pferdeentwurmung davongaloppierenden Bauchgefühles, des Aberglaubens und der Desinformation. Es herrscht die Dämmerung der Faktenlosigkeit. Es herrscht das Zeitalter der Unterwerfung wider besseres Wissen.
Die Politik der Verantwortlichen, die für nichts verantwortlich sein wollen, versagt. Die Regierung widmet sich dem Wechseln von Kleingeld, dem einfühlsamen Horchen auf Spenderstimmen, die absurderweise zu weiteren gespendeten Stimmen führen, vorläufig, denn der durchschnittliche Wähler, der da seine Stimme gibt, wird als Pöbel betrachtet, der eben nur gut genug dafür ist, diese seine Stimme abzugeben.
Die Regierung blickt gebannt auf die marschierenden Schreihälse, die sie ja nicht verärgern möchte, die Regierung hat gleichzeitig ihr Ohr zart an der Brust des spendenfreudigen Nichtpöbels platziert und hört nicht, was die Wissenschaft zu melden hat. Jene Wissenschaft, die für Medikamente und jene Massnahmen gesorgt hat, die in der Pandemie für etwas mehr Sicherheit sorgen würden.
Der Pöbel wird durchseucht
Nicht umsonst scheint jeder Covidverlauf von Regierungsmitgliedern ein tatsächlich milder bis symptomloser zu sein: es ist bestimmt nur auf besondere Segnung und gewisses Übermenschentum zurückzuführen, da der Pöbel quer durch die Bank zumeist schwerere Verläufe meldet als jene der Regierungsmitglieder. Zusätzlich dazu nutzt der Nichtpöbel in Regierungsunverantwortung gerne seine Rückzugsmöglichkeiten in Homeoffice und Zweitwohnung, die den Normalsterblichen nie vorbehalten war seit Beginn der Durchseuchung, die nie als solche deklariert worden ist: hier hüllte man sich in samtiges Schweigen, breitete den weichgespülten Mantel der Ungnade darüber, übte sich in Ausweichpirouetten.
Wer laut schreit oder gut spendet, wird erhört. Wer sich an alle Vorgaben hielt und Rücksicht nahm, wird verhöhnt.
Landeshauptmann Stelzer denkt das Ende der Quarantäne an, der neue Ungesundminister Rauch hat es in einer Woche geschafft, Anschober und Mückstein zu toppen, eine Sache, die wirklich nicht leicht umzusetzen ist, Respekt. Es mache ihm Freude, Gesundheitsminister zu sein, verkündete er, ebenfalls wie der weniger erfreute Virologe Krammer per Twitter.
Maskenpflicht fällt auf dem Höhepunkt von 50000 Infektionen. Ein paar Tage darauf wird die Maskenpflicht wieder angedacht, weil, oh Wunder, die Zahlen explodieren. Gehen Sie weiter, es gibt nichts zu sehen! Der schon oft hergebeutelte Zombie der Eigenverantwortung wird noch einmal ausgebuddelt und über den Friedhof getrieben, untot bleibt allerdings nicht lebendig. 5 PCR- und 5 Antigentests gebe es nun. Schon melden sich erste politisch Unverantwortliche, die das Geschehen als unvorhergesehen bewerten. Ja, wenn man beide Augen fest zudrückt, dann vielleicht unvorhergesehen.
Es hat sich ausgegurgelt
Bestraft wird nicht nur, wer sich an alles hielt: bestraft wird auch Politik, die nicht auf Durchseuchung setzt und umsichtig agiert. Nachdem Wien seit Beginn der Pandemie auf ein Testsystem blicken kann, das weltweit gefeiert wird, kann man diesen Erfolg, der für Wienerinnen und Wiener für gewisse Sicherheit im Ungewissen gesorgt hat, natürlich nicht so stehen lassen. Zu schmerzlich wäre der Unterschied zum Versagen in Restösterreich zu sehen gewesen, das bis heute keine ausreichende Testkapazität, das dafür aber zu einem höheren Preis zusammengebracht hat.
„Alles gurgelt“ soll also gekillt werden, koste es, was es wolle. Die Wissenschaft brüllt sich also echolos die Seele aus dem Leib. Gerry Foitik , Mann der Tat, verlässt Gecko, weil er kein Feigenblatt sein möchte. Man will nicht unter dieses Nachsehen gehen. Es mag sein, dass dem Gesundheitsminister sein Amt Freude macht: anderen macht er hingegen Angst. Der Gruppe der Vulnerablen so oder so, aber nicht nur ihnen. Risikobetroffene werden in einen kaum haltbaren erzwungenen Lockdown ohne jede Kompensation geschickt, Schattenfamilien den Geiern zum Fraß vorgeworfen.
Der Superfund
Besser man ist keine Schatten- sondern nur Familie. Besser man gehört zur richtigen Partie, wenn man eine Rutschpartie in den Abgrund verhindern möchte. Um wissenschaftliche Fakten, um die Bürger und Bürgerinnen dieses Landes geht es schon lange nicht mehr. Es geht um das eigene Fortkommen und um das Sichern weiterer Karrieremöglichkeiten. Wer sich beeilt, kann noch einen Superfund landen, den letzten beissen die Neuwahlhunde.
„Ich habs aufgegeben,“ schreibt währenddessen der renommierte Professor Florian Krammer.
Titelbild: APA Picturedesk