Krieg in der Ukraine:
Seit Wochen kursieren Bilder und Nachrichten vom Krieg in der Ukraine in sozialen und klassischen Medien. Vor allem in den ersten Kriegstagen haben sich deshalb viele Menschen bei psychosozialen Hotlines gemeldet. Neben Ängsten ist Retraumatisierung ein starkes Thema.
Wien, 30. März 2022 | Die Anrufe bei psychozialen Beratungsstellen sind in den ersten Kriegstagen nach dem Einmarsch Wladimir Putins gestiegen, das erfuhr ZackZack nach einem Rundruf bei mehreren Beratungsdiensten. Viele Anrufer haben Angst und Schlafstörungen, einige kämpfen mit ihren eigenen Traumata, die durch die Bilder und Nachrichten wieder ausgelöst werden.
Kriegsängste und Neid auf Geflüchtete
Psychosoziale Beratungsstellen seien der „Seismograph der Gesellschaft“, sagt Antonia Keßelring, Leiterin der Telefonseelsorge. Nach den ersten Kriegstagen sei der Krieg in der Ukraine in den Beratungen wieder seltener geworden, womöglich, weil eine gewisse Gewöhnung eingetreten und andere Themen wieder wichtiger geworden seien. Die Menschen hätten sich wegen Angst vor einer atomaren Bedrohung gemeldet, hätten Schlafprobleme aufgrund der Bilder aus der Ukraine gehabt und sich davor gefürchtet, dass der Krieg Österreich erreichen könnte. Aber der Neid auf Geflüchtete käme derzeit wieder auf, erzählt Keßelring, nach dem Motto: „Die kriegen alles, wir kriegen nichts“.
Bei „Rat auf Draht“ meldeten sich Kinder und Jugendliche ebenfalls mit Angst vor dem Krieg, aber auch, weil sie die Situation der ukrainischen Bevölkerung betroffen machte.
Retraumatisierung von Zeitzeugen und Geflüchteten
Georg Psota, Chefarzt der Psychosozialen Dienste (PSD) in Wien, berichtet ebenfalls, dass Kriegsängste und Schlafstörungen in Beratungsgesprächen aufkämen. Es riefen auch Menschen an, die retraumatisiert würden – Überlebende des Zweiten Weltkriegs, Syrien- oder Afghanistan-Geflüchtete oder jene, die dem Jugoslawien-Krieg entkommen seien. Wer anrufe, sei in der Regel zu dem Zeitpunkt schon sehr stark belastet.
Selbsthilfe durch Realitätskontrolle, Informationspausen und Reden
Psychologische Hilfe sehe oft sehr individuell aus, so Psota gegenüber ZackZack, besonders bei Trauma-Patienten und auch abhängig vom Alter der Person. Aber sowohl Psota als auch Keßelring geben ein paar allgemeine Tipps dafür, wie man mit der Informationsflut zum Krieg und auch in anderen Extremsituationen umgehen kann. Dazu zählt, sich eher schriftlich zu informieren anstatt über Bilder. Besonders bewegte Bilder hätten einen starken Effekt auf die Psyche, sagt Keßelring. Außerdem sei es wichtig, sich auch einmal eine Pause von den Informationen zu nehmen – besonders direkt vor dem Schlafengehen.
Eine Möglichkeit sei, sogenannte „Realitätskontrolle“ zu betreiben, sich also zu erden und seiner Umgebung und Strukturen bewusst zu sein. Das könne mit ganz einfachen Routine-Aufgaben passieren, sagt Georg Psota von den PSD. Keßelring empfiehlt, Dinge zu tun, durch die man sich spürt, sich zu bewegen. Beide Experten betonen, dass man sich bemühen solle, aus der Lähmung ins Tun zu kommen. Ob das nun mit Geflüchteten-Hilfe passiere oder mit Ausübung eines Hobbys, kann man individuell entscheiden. Und wenn man sich psychisch oder finanziell nicht in der Lage sehe, Geflüchteten zu helfen, könne man an einer Demo teilnehmen, um seine Unterstützung zu zeigen.
Aber auch, über Ängste und Sorgen zu reden, nennen alle Experten als wirksames Mittel zur Selbsthilfe. „Rat auf Draht“ rät Kindern und Jugendlichen, sich an Freunde und Familie wenden, die womöglich ähnliche Ängste hätten, aber auch an die Hotline. Auch Atemübungen, Bewegung und kreatives Schaffen empfiehlt die Beratungstelle.
Erste Anlaufstellen für psychologische Hilfe
Wer sich durch den Krieg in der Ukraine oder andere Situationen belastet fühlt, kann sich als Kind und Jugendlicher aber auch als Erziehungsberechtigter telefonisch oder via Chat bei “Rat auf Draht” melden. In jedem Bundesland sind außerdem Psychosozialer Dienste eingerichtet. Auch die Telefonseelsorge ist via Telefon, Chat oder Mail erreichbar.
(pma)
Titelbild: APA Picturedesk