Das ist eine Unterüberschrift
Berichterstattung von Demonstrationen ist oft schwierig und gefährlich. Österreichische Polizeibeamte sind ein Teil des Problems, doch Konsequenzen scheint es kaum zu geben.
Stefanie Marek
Wien 29. April 2022 | Es ist der 2. Oktober 2021: Eine linke Fahrrad-Demo trifft am Karlsplatz auf eine Anti-Corona-Maßnahmendemonstration. Die Polizei drängt die Gegendemo ab, ein Polizist schlägt mit einem Schlagstock zweimal von hinten auf einen Demonstranten ein, der vor ihm geht. Der Beamte dreht den Kopf und schaut direkt in die Kamera eines Journalisten, der ihn dabei gefilmt hat.
Wenig später stößt derselbe Beamte denselben Journalisten mit den Worten „Da ist abgesperrt, geh weiter!“ mehrmals grob weg, während dieser filmend am Rand des Geschehens steht. Der Journalist ist dabei mehrere Meter von der Polizeikette entfernt und steht nicht im abgesperrten Bereich. Auch das ist auf dem Video dokumentiert.
Richter: Journalist soll nicht so wehleidig sein
Der Journalist erhebt Maßnahmenbeschwerde. Bei der Gerichtsverhandlung am Verwaltungsgericht Wien im April sieht Richter Wolfgang Helm keinen Zusammenhang. Dann habe der Beamte eben gesehen, dass er beim Schlägern gefilmt werde. Dass er den Journalisten deswegen gestoßen habe, sei nicht klar erwiesen.
Helm weist die Maßnahmenbeschwerde, schließlich ab. Es sei alles rechtmäßig gewesen. Auch die Richtlinienbeschwerde wegen des Duzens geht nicht durch. Des Richters persönlicher Nachsatz: Der Journalist solle doch bitte nicht so wehleidig sein und die Zeit des Gerichts nicht verschwenden.
Journalisten: Polizeiprobleme auf jeder Demo
So etwas hört Samuel Winter nicht zum ersten Mal. Der freie Journalist heißt eigentlich anders, er arbeitet jedoch mit einem Pseudonym, weil er zur extremen rechten Szene recherchiert. Er berichtet viel von Demonstrationen und liefert unter anderem dem ORF Bildmaterial.
Laut Innenministerium finden allein in Wien jährlich 15.000 Demonstrationen und Versammlungen statt. Probleme mit der Polizei hat Samuel Winter auf Demos jedes einzelne Mal. Er bringe aber nur dort Beschwerde ein, wo er die Vorfälle auch beweisen könne. Auch andere Journalisten, die regelmäßig von Demonstrationen berichten, können ein Lied vom Verhalten der Polizei singen.
https://twitter.com/allesmittelgrau/status/1517781827653623810?ref_src=twsrc%5Etfw%7Ctwcamp%5Etweetembed%7Ctwterm%5E1517781827653623810%7Ctwgr%5E%7Ctwcon%5Es1_&ref_url=https%3A%2F%2Fzackzack.at%2Fwp-admin%2Fpost.php%3Fpost%3D142139action%3Dedit
Anzeigen und grundlose Durchsuchungen
„Ich mache definitiv die Erfahrung, dass mich die Polizei bei der Arbeit behindert und dass sie dabei immer unverschämter wird“, erzählt der Fotojournalist Lorenzo Vincentini gegenüber ZackZack. Auch er ist beruflich oft auf Wiener Demos jeglicher Gesinnungsrichtungen unterwegs. „Einmal wurde ich ohne Anlass nach Waffen durchsucht, einmal nach Drogen und einmal wurde ich von einem Beamten mit dem Argument rausgeworfen, mich damit gegen rechte Übergriffe zu schützen.“
Auch eingekesselt werde er auf Demos oft und dann trotz Presseausweis nicht von den Beamten aus dem Kessel gelassen. Und: „Anzeigen gegen Journalisten, etwa wegen der Corona-Mindestabstände, wurden ständig und bewusst verwendet, um uns zu ärgern.“
Kein Zugang für die Presse
„Die Polizei begleitet Kamerateams und legt den Fokus sehr stark auf das Ermöglichen einer transparenten Berichterstattung“, heißt es auf Nachfrage von ZackZack beim Innenministerium. Samuel Winter hat andere Erfahrungen gemacht. „Das größte Problem als Video- und Fotojournalist ist, dass man oft nicht ans Geschehen herangelassen wird, obwohl das in der Situation sachlich oft gar nicht zu rechtfertigen ist. Das verunmöglicht das Arbeiten.“
Als Beispiel nennt er die Räumung des Klimacamps in Wien Donaustadt Anfang April, bei dem scheinbar grundlos eine riesige Fläche abgesperrt wurde. Dadurch hinderte die Polizei ihn und viele andere Vertreter der Presse daran, in die Nähe des Geschehens zu kommen.
Worum geht es? Irgendwo in der Ferne, hinter den Polizeibussen, räumt die Polizei am 5. April 2022 das Klimacamp in Wien-Donaustadt. Was passiert, was die Aktivist*innen tun, ob die Polizei mit illegaler Gewalt vorgeht? Unmöglich zu erkennen, zu beobachten, zu berichten. 2/ pic.twitter.com/Qtc1YA43BJ
— Michael Bonvalot (@MichaelBonvalot) April 15, 2022
Angriffe auf Journalisten: Polizei schaut zu
Doch dass Polizisten Berichterstattung behindern, ist nicht das einzige Problem. Alle befragten Journalisten haben die Erfahrung gemacht: In für Journalisten gefährlichen Situationen greift die Exekutive oft nicht ein, auch wenn sie könnte. Julia Spacil ist als freie Fotografin seit Jahren auf Demos unterwegs. Dabei ist sie nie alleine, sie trägt eine Schutzweste gegen Schläge und Klingen, einen Helm gegen fliegende Gegenstände und eine Schutzbrille gegen Pfefferspray.
Denn: „Alles was man an Schutz haben möchte, muss man sich selbst organisieren. Auf den Schutz durch die Polizei kann man als Journalistin nicht zählen.“ Dass sie sie nicht schützen werden, hätten Beamte bei einer Demonstration zu ihr gesagt, bei der sie später tatsächlich angegriffen wurde – direkt neben einer Polizeisperre.
Anzeige gegen Personenschutz statt Täter
Davon gibt es ein Video. Ab Minute 50:20 sieht man wie das Presseteam von Demonstranten gegen die Absperrung gedrängt wird. Ab Minute 50:45 sieht man den Angriff: Eine Gruppe ging auf Julia Spacil (im Video mit einem Presse-Helm erkennbar) los, jemand verpasste ihr einen Faustschlag ins Gesicht, versuchte ihrem Begleiter die Kamera wegzunehmen, während andere ihr Dinge aus ihrem Rucksack stahlen, wie sie erzählt.
„Obwohl die Polizei da war, wussten die, die können machen was sie wollen“, so Spacil. „Ich habe alles angezeigt, dabei ist nichts herausgekommen, obwohl ich einen Teil der Angreifer identifiziert habe. Die Polizei selbst hat keine Anzeigen gemacht, nur mein Kollege, der mich schützen musste, bekam eine Anzeige, weil er die Abstandsregel verletzt haben soll.“
Polizei: „Sicherheit von Medien liegt uns am Herzen.“
Zu Vorfällen wie diesen sagt die Landespolizeidirektion Wien auf ZackZack-Nachfrage: „Dass die Gewährleistung des Schutzes sämtlicher Demoteilnehmer, und dazu zählen natürlich auch Journalisten, Aufgabe der Polizei ist, steht außer Frage. Darüber hinaus ist es jedoch auch die Eigenverantwortung jedes einzelnen, sich selbst zu schützen und in Konfliktsituationen auf Abstand zu gehen.“
„Dass die Gewährleistung des Schutzes sämtlicher Demoteilnehmer, und dazu zählen natürlich auch Journalisten, Aufgabe der Polizei ist, steht außer Frage.”
Weiters sei es bei Großeinsätzen so, dass die Beamten bestimmte Aufgaben zugeteilt hätten, die sie nicht verlassen dürfen „wenn keine akute Bedrohung besteht“. Und die LPD könne „ganz allgemein versichern, dass der Landespolizeidirektion Wien die Sicherheit und Unversehrtheit aller Medienvertreter/innen jedenfalls sehr am Herzen liegt und zu dieser auch (siehe Medienkontaktbeamte) sehr aktiv beigetragen wird.“
„Sinnlose“ Medienkontaktbeamte
Die sogenannten Medienkontaktbeamten gibt es seit 2021. Die Journalisten, die ZackZack nach ihren Erfahrungen damit gefragt hat, sind sich einig: Sie sind eine bequeme Ausrede für jene Polizisten vor Ort, die nicht eingreifen wollen. „Die Medienkontaktbeamten sind vollkommen sinnlos. Wenn ich angegriffen werde, habe ich keine Zeit die anzurufen und zu warten, bis sie da sind. Auf einer Demo mit 40.000 Personen gibt es zwei Medienkontaktbeamte und fliegen können die auch nicht“, so Lorenzo Vincentini.
„Die Medienkontaktbeamten sind vollkommen sinnlos. Wenn ich angegriffen werde, habe ich keine Zeit die anzurufen und zu warten, bis sie da sind. Auf einer Demo mit 40.000 Personen gibt es zwei Medienkontaktbeamte und fliegen können die auch nicht“, so Lorenzo Vincentini.
„Nehmen Sie die Füße in die Hand“
„Es wäre schon viel gewonnen, wenn sich die Polizei korrekt nach dem Sicherheitspolizeigesetz verhalten würde, das tut sie aber laufend nicht“, sagt der Journalist Michael Bonvalot und meint damit vor allem rechtswidrige Ausweiskontrollen und das Nichtankündigen von Amtshandlungen. Es passiere laufend, dass ihn die Polizei bei der Arbeit behindere.
Auch Bonvalot hat schon viele Angriffe auf sich erlebt, bei denen die anwesenden Beamten nicht eingriffen. „Einmal kam eine Gruppe Hooligans auf mich zu und ich gehe zu einem Polizisten und bitte ihn darum, kurz dazubleiben, weil hier gleich was passiert. Er sagte: `Na dann, nehmen sie doch die Füße in die Hand‘ und fuhr mit seinem Motorrad weg.“
Auch Bonvalot hat immer mehrere Personen zu seinem Schutz dabei – ohne sein Team sei es zu gefährlich für ihn zu berichten. Es passiere laufend, dass Beamte ihn an der Arbeit hindern. Er erzählt ZackZack von schikanösen Ausweiskontrollen und über einen Vorfall bei einer Aktion gegen eine Abschiebung sagt er: „Die Polizei sagte, sie muss jetzt meine Tasche auf Waffen durchsuchen, weil meine Bauchtasche so aussieht, wie eine Tasche, in der die Polizeibeamten Verbandszeug aufbewahren.“
Maßnahmenbeschwerden als einziges Mittel
Auch Bonvalot bringt immer wieder Maßnahmenbeschwerden wegen solcher Fälle gegen Polizeibeamte ein. „Es sind für mich Musterprozesse für die Pressefreiheit. Auch die Polizei hat sich an Gesetze zu halten.“ Bisher hat er alle davon gewonnen, zwei Verfahren sind noch anhängig, einer davon ist der Fall mit der Bauchtasche.
„Es sind für mich Musterprozesse für die Pressefreiheit. Auch die Polizei hat sich an Gesetze zu halten.“
Doch wie viel Erfolg haben solche Maßnahmenbeschwerden allgemein? Rechtsanwalt Clemens Lahner vertritt viele davon vor Gericht, darunter auch jene von Samuel Winter. „Die meisten Maßnahmenbeschwerden haben wir bisher gewonnen. Wir bringen Maßnahmenbeschwerden aber nur ein, wenn die Situation sehr klar ist, wenn also entweder schon aus dem Akt der Behörde hervorgeht, dass das Vorgefallene klar rechtswidrig ist, oder wenn es handfeste Beweise wie ein Video gibt“, sagt er zu ZackZack. „Selbst dann kann es aber noch passieren, dass es vor Gericht schief geht.“
Er räumt ein, dass Maßnahmenbeschwerden zahnloser seien als das Strafrecht. Aber: „Nicht jede Amtshandlung, die rechtswidrig ist, ist gleich ein Amtsmissbrauch. Und nachdem bei Anklagen wegen Amtsmissbrauchs nachgewiesen werden muss, dass die Befugnisausübung wissentlich rechtswidrig war, kommt es nur sehr selten zu Verurteilungen.“
„Es muss sich etwas ändern“
Gewinnt man eine Maßnahmenbeschwerde und bekommt Recht, werden die Anwaltskosten ersetzt, nicht aber der Zeitaufwand. Verliert man, zahlt man mehrere hundert Euro und bleibt auf den Anwaltskosten sitzen. Die Konsequenzen für die einzelnen Beamten? Zumindest vor Gericht keine. Anwalt Lahner meint, dass diese Fälle zumindest in manchen Bereichen in Polizeischulungen einfließen.
Michael Bonvalot hat den Eindruck, dass es nach seinen Maßnahmenbeschwerden für ihn inzwischen leichter sei, durch Absperrungen zu kommen, wobei andere Journalisten Schwierigkeiten hätten. Vor allem die Polizeioffiziere kennen ihn inzwischen ebenso wie seine Bereitschaft, vor Gericht zu gehen, wie er erzählt.
„Aber, das kann es ja nicht sein. Es muss sich grundsätzlich etwas ändern.“ Er plädiert für eine unabhängige, niederschwellig zugängliche und vor allem leistbare Beschwerdestelle.
Innenministerium sieht kein systematisches Problem
Fritz Hausjell, Präsident von Reporter ohne Grenzen Österreich, bestätigt, dass immer wieder Meldungen von Journalisten zu Polizisten eingehen, die sie bei der Arbeit behindern. Das sei ein „Unding“ in einer Demokratie, Selbst wenn es Einzelfälle wären – und ab wann sei etwas denn kein Einzelfall mehr – sollte die Polizei großes Interesse daran haben, solche Vorfälle zu überprüfen, so Hausjell. Von den Chefetagen der Polizei würde er sich Konsequenzen und öffentliche Entschuldigungen bei Fehlverhalten erwarten.
Aus Sicht des Innenministeriums gibt es jedenfalls „kein strukturiertes Problem im Zusammenhang mit dem polizeilichen Einschreiten und Journalistinnen und Journalisten“ – wie das Innenministerium auf eine Anfrage von ZackZack antwortete.
(sm)
Titelbild: APA Picturedesk