Volksbegehren
Die massive Teuerungswelle bedroht Existenzen, vor allem von jenen, die sowieso schon mit wenig auskommen müssen. Ein Volksbegehren fordert ein höheres Arbeitslosengeld, mindestens 70 Prozent Nettoersatzrate seien nötig.
Wien, 06. Mai 2022 | Mehr als 300.000 Menschen müssen in Österreich derzeit mit etwa der Hälfte ihres vorherigen Einkommens auskommen. Sie treffen auf nur ungefähr 130.000 derzeit offene Stellen. In Zeiten, wo Energiepreise Rekorde brechen und auch Lebensmittel spürbar teurer werden, drohen immer mehr Arbeitslose in die Armut abzurutschen. Gerade durch die Corona-Krise sind viele Menschen zusätzlich in die Arbeitslosigkeit geschlittert.
Acht von zehn können von Arbeitslosengeld nicht leben
Österreich hat mit einer Nettoersatzrate von 55 Prozent (das sind in der Regel unter 55 Prozent des letzten Nettoeinkommens) ein sehr niedriges Arbeitslosengeld, der OECD-Mittelwert liegt bei rund 70 Prozent. Ein von der Gewerkschaft vida errechnetes Beispiel einer alleinerziehenden arbeitslosen Mutter zeigt, dass das Geld oft gerade einmal für die Deckung der Fixkosten reicht, in Zeiten der Teuerung nicht einmal mehr das. Ein Leben mit weniger als 1.000 Euro im Monat ist quasi kaum noch möglich und bedroht Existenzen.
Das sieht auch die WU-Professorin Karin Heitzmann, die sich den Zusammenhang zwischen Arbeitslosengeld und Armut in einer Studie angesehen hat, so: “Die Lage der arbeitsuchenden Personen verschlechtert sich deutlich. Die Bundesregierung verfehlt ihre Armutsziele.”
Laut einer AK-Umfrage können acht von zehn Arbeitslosen von der Arbeitslosenunterstützung nicht leben. Das durchschnittliche Arbeitslosengeld bzw. die durchschnittliche Notstandshilfe liegt deutlich unter der Armutsgefährdungsschwelle von 1.286 Euro pro Monat. Insbesondere Langzeitarbeitslose sind von Existenznot betroffen. Und diese Zahl ist im letzten Jahrzehnt dramatisch gestiegen und pendelt sich derzeit bei etwa 50.000 Menschen ein.
Volksbegehren fordert Erhöhung auf 70 Prozent
Das Volksbegehren “Arbeitslosengeld RAUF!” will gegensteuern und fordert eine Erhöhung des Arbeitslosengeldes von derzeit 55 auf 70 Prozent. Unterstützt wird das Volksbegehren von SPÖ, FPÖ und Gewerkschaften, die bereits seit Beginn der Corona-Pandemie eine Erhöhung fordern. Derzeit hält das Volksbegehren, das noch bis 09. Mai unterschrieben werden kann, bei 65.000 Unterschriften. 100.000 sind nötig, damit es im Parlament behandelt wird.
Studie: Höheres Arbeitslosengeld schafft neue Jobs
Ein höheres Arbeitslosengeld belebt den Konsum, schafft neue Jobs und verringert das Armutsrisiko, kam auch das Europäische Zentrum für Wohlfahrtspolitik und Sozialforschung in einer von der AK OÖ beauftragten Studie zum Schluss: Mit 70% des letzten Netto-Lohns wären 2020 fast 40.000 Menschen weniger armutsgefährdet gewesen, darunter 6.500 Kinder und Jugendliche. „Wir sahen, dass es sich besonders für die unteren Einkommensgruppen positiv auswirkt. Aber auch die Gesamtbevölkerung würde von einer Nettoersatzrate von 70 Prozent progressiv profitieren“, so Kai Leichsenring, Direktor des Europäischen Zentrums für Wohlfahrtspolitik und Sozialforschung bei der Präsentation der Studie.
Dass das Arbeitslosengeld und die Notstandshilfe jährlich an die Inflation angepasst werden müsse, damit die Kaufkraft der Betroffenen erhalten bleibt, fordert auch AKOÖ- Präsident Andreas Stangl im Gespräch mit dem Magazin “Arbeit & Wirtschaft”. Ein degressives Modell, also dass das Arbeitslosengeld stufenweise weniger wird, wie Arbeitsminister Martin Kocher es plant, wäre daher kein profundes Mittel, sind sich auch andere Experten einig.
Stellt sich noch die Frage, wie ein neues 70 Prozent-Modell finanziert werden könnte. Die Berechnungen der Studie ergaben, dass eine Reform zwischen 550 und 650 Millionen kosten würde. Eine Möglichkeit wäre, bei Unternehmen, die regelmäßig für eine höhere Zahl an Arbeitslosen sorgen, anzusetzen, und diese einen höheren Beitrag für die Arbeitslosenversicherung zahlen zu lassen. Man zieht also eine Experience Rating (Erfahrungswertung) heran und passt dementsprechend die Summe an, die ein jeweiliges Unternehmen in die Arbeitslosenversicherung einzuzahlen hat, so Leichsenring gegenüber “Arbeit & Wirtschaft”.
(mst)
Wenn auch Sie das Volksbegehren “Arbeitslosengeld RAUF!” unterschreiben wollen können Sie das hier tun. Bis 09. Mai haben Sie noch die Möglichkeit dazu.
Titelbild: Volksbegehren/”Arbeitslosengeld rauf!”