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Großbritannien: Gericht stoppt Massenabschiebung in letzter Minute

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Großbritannien: Gericht stoppt Massenabschiebung in letzter Minute

Großbritannien:

Ein Flugzeug, das Migranten aus London nach Ruanda bringen sollte, wurde vom europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in letzter Minute gestoppt.

 

London, 15. Juni 2022 | Seit dieser Woche ist in Großbritannien ein Gesetz in Kraft, das die Abschiebung von illegal eingereisten Geflüchteten nach Ruanda vorsieht, ZackZack berichtete. Der erste Transfer von Geflüchteten sollte am Dienstagabend über die Bühne gehen.

Das Flugzeug für ursprünglich 130 Menschen war von der britischen Regierung bereits bezahlt worden. Nachdem mit einer Flut an Klagen in den letzten Tagen erfolgreich gegen die Massenabschiebung vorgegangen war, blieben bis Dienstagabend nur noch sieben Menschen übrig, die in den Flieger nach Ruanda steigen sollten. Doch es kam anders.

Menschenrechtsgerichtshof mit Last-Minute Veto

Nach einer historischen Intervention des europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) musste die Maschine schließlich ganz am Boden bleiben. Der Beschwerde eines 54-jährigen Irakers wurde stattgegeben. Das Urteil des EGMR zwang die britische Regierung, den Zwangstransfer nach Ruanda in letzter Sekunde abzublasen.

Der Gerichtshof begründete sein Urteil mit Regel 39, die eine spontane und dringende Überbrückungsmaßnahme vorsieht, wenn jemandem ein irreparabler Schaden droht. Der EGMR beruft sich nach Eigenangaben nur in äußersten Ausnahmefällen auf diese Regel. Das Asylgesuch des Irakers muss nun im Vereinigten Königreich behandelt werden.

Auch die anderen von der Abschiebung nach Ostafrika bedrohten Migranten konnten sich auf das Urteil des Menschenrechtsgerichtshofs berufen, sodass schlussendlich niemand nach Ruanda transferiert werden konnte. Großbritannien hat die europäische Menschenrechtskonvention 1998 in sein nationales Recht integriert. Die Urteile des EGMR sind daher bindend.

Boris Johnson überlegt Gesetze zu ändern

Wenig begeistert vom Eingriff des EGMR zeigte sich der konservative britische Premier Boris Johnson. Auf die Frage eines Journalisten, ob das Vereinigte Königreich als Reaktion auf die gescheiterte Deportation die europäische Menschenrechtskonvention verlassen solle, sagte Johnson: „Wird es notwendig sein, einige Gesetze zu ändern, um unserem Vorankommen zu helfen? Es kann sehr wohl sein.“

Sollte Boris Johnson die europäische Menschenrechtskonvention tatsächlich aufkündigen, könnten auch britische Staatsbürger die Konsequenzen zu spüren bekommen. Denn die im britischen Gesetz verankerte Konvention schützt Grundrechte wie Meinungs- und Bewegungsfreiheit, Rechtsgleichheit und das Recht auf Leben.

Die britische Regierung möchte trotz EGMR-Urteil an der zweifelhaften Praxis festhalten. Der nächste Flug sei schon geplant, so Innenministerin Priti Patel. Weitere rechtliche Auseinandersetzungen sind damit nur eine Frage der Zeit.

Kritikerin fühlt sich bestätigt

Für Labour-Party-Politikerin Yvette Cooper kam das Urteil des EGMR nicht überraschend. „Es macht keinen Sinn für die Regierung irgendjemand anderem die Schuld zu geben“, twitterte Cooper und präzisierte: „Minister verfolgen eine Politik, von der sie wissen, dass sie nicht umsetzbar ist“. Für die Oppositionelle befindet sich die Regierung in einer misslichen Lage, da Ruanda bereits viel Geld aus dem Vereinigten Königreich erhalten hat.

Kritiker der Regierung vermuten, dass die Kontroverse rund um die Abschiebungen in das ostafrikanische Land von den innenpolitischen Problemen in Großbritannien ablenken solle. „Sie haben Ruanda 120 Millionen Pfund bezahlt und ein Flugzeug gemietet, das nicht abgehoben ist, weil sie nur Streit und jemand anderem die Schuld geben wollen“, so Cooper.

Auch in Österreich preschte Innenminister Karner vergangene Woche mit der Ankündigung vor, über Asylzentren in Drittstaaten außerhalb Europas nachzudenken. Dafür gibt es keine rechtliche Basis.

(dp)

Titelbild: APA Picturedesk

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  • DanielPilz

    Taucht gern tiefer in komplexe Themengebiete ein. Lebt trotz Philosophiestudiums nicht im Elfenbeinturm und verpasst fast kein Fußballspiel.

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