Report »Gefährliche Argumentation«: Frauenmord aus Pflegenot? Stefanie Marek - 23.6.2022 11 Das ist eine Unterüberschrift Schon wieder soll ein Mann seine Frau ermordet haben – aus Pflege-Überforderung, schlussfolgert die Polizei. Das Motiv hat seine Tücken, sagt eine Frauenschützerin. Wien, 23. Juni 2022 | Erst am Sonntag ist eine 20-jährige Frau von zwei Männern ermordet worden. Laut APA wurde über zwei Tatverdächtige U-Haft wegen Verdachts auf Vergewaltigung und Mord verhängt. Gestern, Mittwoch, ist bereits der nächste Femizid publik geworden: Es ist der 17. Frauenmord in Österreich seit Jahresbeginn. Am Dienstag hatte die Polizei in einer Wiener Wohnung die leblosen Körper eines 68-jährigen Mannes und einer 76-jährigen Frau entdeckt. Nachbarn und Bekannte hatten sich Sorgen gemacht und die Polizei verständigt, nachdem sie seit mehreren Tagen kein Lebenszeichen des Paares mehr wahrgenommen hatten. Die Ermittelnden vermuten, dass der Mann die Frau getötet und anschließend Suizid begangen hat. Am heutigen Donnerstag teilte die Polizei in einer Aussendung mit, dass der Mann überfordert von der Pflege der Frau gewesen sein könnte. Das haben insbesondere Aussagen aus dem Umfeld des Paares vermuten lassen. Pflegenot als Rechtfertigung: „Mord an einer Frau ist nie entschuldbar“ Klaudia Frieben, die Vorsitzende des Österreichischen Frauenrings, bezeichnet das Zusammenbringen des Mordes mit Überforderung durch Pflege als „sehr gefährliche Argumentation“. Erst der vorletzte Femizid vom Montag vergangene Woche war in einem ähnlichen Kontext verübt worden. Ein 80-Jähriger hatte in Niederösterreich seine Frau getötet. Beide sollen krank gewesen sein. „Wir haben Briefe bekommen, dass wir uns da als Organisation nicht einmischen sollen. Der Mann sei ja überfordert gewesen und daher sei es entschuldbar“, sagt Frieben gegenüber ZackZack und widerspricht im selben Atemzug: „Nein, das ist es nicht! Ein Mord an einer Frau ist nie entschuldbar. Es kann nicht sein, dass der Mann sich das Recht herausnimmt, die Frau umzubringen, auch im aktuellen Fall nicht.” Für sie die Essenz: “Der Pflegenotstand kann nie eine Rechtfertigung für einen Mord sein.“ Gewalt gegen Frauen, egal welcher Form sei immer eine Frage von Macht. Forderung: Zivilcourage und endlich „gscheite Politik“ Sie fordert mehr Zivilcourage. Das Umfeld, das die Überforderung des Mannes offenbar bemerkt hatte, hätte helfen müssen, bevor es zu spät war: “Natürlich ist es schwer, aber man darf nicht wegschauen, muss Unterstützung anbieten und im Zweifel die Polizei einschalten.“ Eines haben Pflege und Gewalt gegen Frauen gemeinsam: Sie gehen uns alle etwas an. Denn in einer zivilisierten Gesellschaft dürfe Gewalt nicht toleriert werden, so Frieben. Es müsse endlich etwas getan werden: „Ein Großteil der Pflegenden wird zuhause betreut und in der Pflegereform sehe ich außer Almosen keine Unterstützung der Angehörigen durch die Regierung. Es muss endlich eine gscheite Politik gemacht werden! Die Lösungen liegen schon lange auf dem Tisch.“ Wenn Frauensicherheit zu wenig wert ist Frauenorganisationen wie der Österreichische Frauenring oder der Verein der Autonomen Österreichischen Frauenhäuser (AÖF) weisen seit Jahren darauf hin, dass die politisch Verantwortlichen zu wenig Geld für Prävention von Gewalt und für die Unterstützung von gewaltbetroffenen Frauen bereitstellen. Ähnlich wie beim Thema Pflege gäbe es seit Jahren klare Lösungen, die nicht umgesetzt werden. Die Budgeterhöhung der Regierung bezüglich Gewaltprävention und Gewaltschutz von 2021 sei gut, reiche aber noch lange nicht aus, um wirklich etwas zu ändern, so Maria Rösslhumer, die Geschäftsführerin der AÖF: “Die Regierung hat ja einen Auftrag, das ist die Umsetzung der Istanbul Konvention. Zu der hat sich Österreich verpflichtet und die besagt: Jedes Mitglied der Gesellschaft soll einen Beitrag leisten (können) um Gewalt an Frauen zu verhindern.” Bewusstsein schaffen und investieren Das koste, so Rösslhumer zu ZackZack: “Die Maßnahmen sind gut, aber es scheitert an der Umsetzung. Es ist zu wenig Bewusstsein bei den Behörden da. Wenn man es wirklich ernst meint, bräuchte man Bewusstseinskampagnen, viele Schulungen sowie Maßnahmen, um Frauen besser zu erreichen und Männer am Wegschauen zu hindern. Denn, damit die tiefsitzende Frauenfeindlichkeit in der österreichischen Gesellschaft verschwindet, brauche es ein Umdenken. Heute, Donnerstag, stand das Thema Gewaltschutz und Verhinderung von Femiziden im Gleichbehandlungsausschuss des Parlaments auf dem Programm. Die SPÖ forderte schon zuvor in einem Antrag, einen permanenten Gewaltschutz-Krisengipfel einzusetzen. Dadurch soll die Zusammenarbeit von Polizei, Gewaltschutzexpertinnen und -experten sowie der Justiz besser koordiniert werden. Ob dieser Vorschlag angenommen wird, bleib abzuwarten. (sm) Hilfenummern für Betroffene In Österreich finden Frauen, die Gewalt erleben, Hilfe und Informationen unter: Frauen-Helpline: 0800-222-555 (kostenlos und rund um die Uhr) Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser (AÖF) Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie 24-Stunden Frauennotruf der Stadt Wien: 01-71719 Frauenhaus-Notruf unter 057722 Anlaufstellen für Männer in Krisen- und Gewaltsituationen, Beratung in Krisen sowie zur Prävention und Beendigung von Gewalt in der Familie: Männernotruf: 0800 246 247 Männerinfo: 0720 70 44 00 Telefon-, E-Mail- und Chat-Beratung für Menschen in schwierigen Lebenssituationen oder Krisenzeiten: Telefonseelsorge: 142 (Notruf), täglich 0–24 Uhr Titelbild: APA/GEORG HOCHMUTH Autor Stefanie Marek Redakteurin für Chronik und Leben. Kulturaffin und geschichtenverliebt. Spricht für ZackZack mit spannenden Menschen und berichtet am liebsten aus Gerichtssälen. 11 Kommentare Meisten Bewertungen Neueste Älteste Inline Feedbacks Zeige alle Kommentare Weitere Kommentare anzeigen