Skylla & Charybdis
In der dieswöchigen Ausgabe ihrer Kolumne schreibt Julya Rabinowich über das Monster unserer Zeit: die Armut.
Julya Rabinowich
Wien, 03. September 2022 | Das Monster, das heute aus dem Kolumnenlabyrinth ins Scheinwerferlicht tritt, ist eines, dass die Menschheit schon lange begleitet. Mal wütete es heftiger, mal weniger heftig. Fast schien es in einigen Teilen Europas schon gebändigt und hinter Schloss und Riegel. Auch in Österreich, dem warmen Honigmilchland.
Das Monster ist nach außen hin häufig unauffällig. Oft ist sein Fell gekämmt, sauber gewaschen, nur die Zähne würden es verraten. Oder vielleicht der Geruch von muffiger Luft aus schlecht durchlüfteten Räumen. Schimmelflecken vielleicht. Schimmel bekommt man besonders schwer raus, wenn er sich mal in feuchter Kleidung festgesetzt hat. Vielleicht die stumpfe Haut. Ab einem gewissen Alter benötigt Haut genug Vitamine und ab und an auch Erholung, um eine strahlende zu sein. Sorgenfaltenglättung benötigt Gründe, warum die Sorgen weniger werden.
Das Monster schleicht sich nachts um die Häuser und bläst kalte Luft durch die Kamine, die Menschen wickeln sich fester in ihre Decken und versuchen weiterzuschlafen, ohne auf sein unruhiges Heulen zu hören. Denn der nächste Tag wird wieder viel Kraft kosten, so wie der vergangene. Kraft, zu bestehen. Kraft, zu verbergen. Zu lächeln. Die abschätzigen Blicke von den Schultern zu streifen, sie bleiben hängen wie Spinnweben. Das Monster trottet durch die Gassen von kleinen Dörfern und wälzt sich durch breite Stadtboulevards.
Ein Kind, das einmal vor Elternsorge angespannt mit Bauchweh weit nach Mitternacht erwachte, hat es um die Ecke verschwinden sehen! Die in den warmen Wohnungen fürchten es nicht, sie verachten eher die mit der fahlen Haut, die mit den Schimmelflecken in den Polsterbezügen, schwarze Blumen, die im Bett sprießen, weil die klammen Wände nie trocken werden. Die mit den warmen Wohnungen wähnen sich sicher, sicher dass ihr Licht und ihr Wohlsein das Monster schon vertreiben wird, wie Vampire mit schneidenden Sonnenstrahlen vertrieben werden.
Ein Irrtum. In jeder Wohnung kann es kalt werden, in jeder Magengrube klamm. Schimmelblumen erobern neue Lebensräume, wenn sie nur eine Gelegenheit dazu erhalten. Und das Monster namens Armut sieht in jedes Fenster vorbei, um sein Schlaflied großzügig mit allen zu teilen. Ein Schild bräuchte es, ein Schwert, eine Heldin mit Helm und wehender Mähne, die sich ihm entgegenstellt.
Es kommt aber nur ein Bonus. Ein Bonus, der geschliffen wird wie rohe Diamanten, bis für jene, die jetzt schon nichts haben in der Not nichts mehr übrigbleibt außer scharfkantigen Stückchen. Das bringt das Monster maximal zum Lachen.
Titelbild: ZackZack