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Fritz oder Giorgia? – Kommentar

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Fritz oder Giorgia? – Kommentar

Kommentar

Giorgia hat die Wahl in Italien gewonnen, Fritz die in Tirol. Während die Faschistin Giorgia Meloni jetzt auch die Macht übernimmt, wird die Liste Fritz trotz ihres großen Wahlsiegs nur am Rande beachtet. Peter Pilz hält das für einen Fehler und erklärt, warum.

Peter Pilz

Wien, 27. September 2022 | Der schöne Satz von Keynes, dass wir langfristig alle tot sind, gilt heute vor allem für die alten Staatsparteien. Nur im Casino ist die Zeit stehengeblieben.

Wenn der Croupier am Rad dreht, bleibt der Kugel die Wahl zwischen Rot oder Schwarz.

Es ist vier Jahrzehnte her, dass die Casino-Regel für die Politik in ganz Europa gegolten hat. Neben Sozialdemokratisch und Konservativ war meist nur Platz für eine weitere Partei, die sich oft selbst resignativ „dritte Kraft“ nannte.

Das ist vorbei. Die alten Staatsparteien siechen dahin. Einige von ihnen halten sich länger an der Macht, anderen fehlt schon die Kraft zum Überleben. In Österreich trifft es jetzt die ÖVP. Ihr Absturz hat begonnen. Nach 36 Jahren scheint der Abschied von der Macht am Wiener Ballhausplatz besiegelt zu sein.

An Parteien, die regieren wollen, gibt es eine einfache Frage: „Wofür seid ihr da?“ Oder, persönlicher: „Wozu brauchen wir euch noch?“ Zu beiden Fragen fällt den Spitzen der ÖVP nichts mehr ein. Ihr letzter Trost lautet, dass es der SPÖ nicht viel besser geht.

Unversöhnliche Lager

Der lange Niedergang der beiden Staatsparteien wird von einer neuen Illusion begleitet: „Die Lager verschwinden“. Die neuen Blöcke der Rechten, die von Schweden bis Italien die Macht übernehmen, zeigen, dass das nicht stimmt. Die soziale Marktwirtschaft ist längst von der unsozialen Marktwirtschaft abgelöst worden. Jetzt werden aus den alten versöhnlichen die neuen unversöhnlichen Lager.

Die politische Rechte formiert sich neu. Ihre Parteien schließen sich wie in Italien zu Lagern zusammen und übernehmen die Macht. In ganz Europa beobachten Christdemokraten ihr neues Lager mit gemischten Gefühlen. Die einen rümpfen die Nase, die anderen applaudieren, aber am Ende sind fast alle dabei.

Auf der anderen Seite herrscht bestenfalls Verwirrung. Sozialdemokraten und Grüne stehen ratlos im Niemandsland und versuchen, den Konservativen ihre Hände zu reichen. In Tirol sitzt die SPÖ über Wählerstromanalysen und wundert sich, dass zwar enttäuschte Schwarze zu ihr übergelaufen, aber fast ebenso viele wieder davongelaufen sind.

Dabei hat das einen ganz einfachen Grund: Weder SPÖ noch Grüne sind Alternativen zur ÖVP. Wer die ÖVP abwählen will, wählt dazu nicht Parteien, die ihr zurück in den Sattel helfen wollen.

Tiroler Lehren

Der Wahlsonntag hat uns drei Tiroler Lehren beschert:

  1. Steigbügelparteien stagnieren oder verlieren mit der ÖVP.
  2. Die Wahl gewinnt eine Partei, die in jeder Hinsicht ein Gegengewicht zu ÖVP und FPÖ bildet.
  3. Wenn sich diese Partei erfolgreich an Protestwähler wendet, kann sie –wahrscheinlich als einzige – eine italienische Mehrheit verhindern.

Ein Anfang in Tirol

Ich weiß, Tiroler hören es nicht gerne, wenn man ihnen sagt, dass Tirol kleiner als Italien ist. Aber das Modell „Fritz“ ist nicht weniger bedeutend als das Modell „Giorgia“. Vielleicht sind die zehn Prozent in Tirol ein Anfang.

Für diesen Anfang lohnt es sich, die wichtigste Lehre der italienischen Wahl zu beherzigen: Giorgia Meloni ist nicht gewählt worden, weil, sondern obwohl sie Faschistin ist. Immer mehr Menschen suchen zumindest in Italien so verzweifelt nach einer Alternative, dass sie alles wählen, was Änderung verspricht.

Aber Europa ist nicht nur Italien, es ist auch Portugal. Dort bekämpft ein Linksbündnis erfolgreich Energiearmut, Teuerung und Pandemie. Lohn- und Pensionskürzungen wurden zurückgenommen, die dogmatische Sparpolitik ist vorbei. Die Wirtschaft wächst, und die rechten Parteien stagnieren.

Das kann auch anderswo die Alternative sein. Jetzt hat sie zumindest in Tirol ein Lebenszeichen von sich gegeben.

Titelbild: ZackZack /APA/EXPA/JOHANN GRODER; Andreas SOLARO / AFP

 

Autor

  • Peter Pilz

    Peter Pilz ist Herausgeber von ZackZack.

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