»Dümmste Unterbringung«
Der Bund hat am Wochenende in einigen Bundesländern Zelte als Unterbringung für Asylwerbende aufgestellt und damit die Länder vor vollendete Tatsachen gestellt. Die wehren sich, sogar mit einer Autobahn-Blockade.
Wien, 17. Oktober 2022 | Am Wochenende hat der Bund in mehreren Bundesländern 25 Katastrophenschutz-Zelte aufgestellt, in denen Asylwerbende untergebracht werden sollen, die wenig Aussicht darauf haben, in Österreich bleiben zu können. In den Bundesunterbringungen stoße man an seine Grenzen, lautete die Begründung, während die Länder zum Großteil nicht ihre Quoten erfüllten. Abgesprochen war das Ganze jedenfalls nicht. Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) hat die Bundesländer offenbar vor vollendete Tatsachen gestellt. Sogar Rücktrittsforderungen hat sich die Regierung mit der Aktion eingehandelt, und zwar vom burgenländischen Landesgeschäftsführer Roland Fürst (SPÖ). Er sagte gegenüber dem ORF, die ÖVP versuche mit der perfiden und menschenunwürdigen „Zeltaktion“ parteipolitisches Kapital im Vorfeld der niederösterreichischen Landtagswahl zu schlagen. Die Grünen sähen indes einfach weg.
Laut Daten der Asylkoordination vom 6. Oktober, die Lukas Gahleitner-Gertz auf Twitter veröffentlicht hat, erfüllen derzeit nur Wien und Burgenland ihre Unterbringungsquote. Wien bringt sogar beinahe um 75 Prozent mehr Personen unter, als die Quote vorschreibt. Schlusslicht ist Kärnten mit rund 46 Prozent.
Länder nicht informiert – “Tage von Karner sind gezählt”
Noch am Donnerstag waren die Flüchtlingsreferenten aller Länder zu einer Konferenz mit Innenminister Karner zusammengekommen. Da sei keine Rede davon gewesen, dass man bereits an dem Punkt sei, an dem man Zelte aufstellen müsse, sagte Kärntens Flüchtlingsreferentin Sara Schaar (SPÖ) gegenüber dem ORF-Landesstudio. Am Freitag hatte die Bundesbetreuungsagentur (eigentlich Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen, kurz BBU) dann öffentlich gemacht, Zelte aufstellen zu wollen, weil Unterbringungsmöglichkeiten fehlten.
Der Bund sagt, mit der starken Zunahme von Geflüchteten in den Bundesbetreuungseinrichtungen sei es dringend nötig, dass die Länder verstärkt Asylwerbende und Vertriebene in ihre Grundversorgung aufnehmen. Der Traiskirchener Bürgermeister Andreas Babler (SPÖ) ärgerte sich auf Twitter, dass der Innenminister “sein eigenes Versagen zur Propaganda” mache. Die Tage von Karner seien gezählt.
Sein eigenes Versagen zur Propaganda machen. Die Eskalationsstrategie auf dem Rücken von Flüchtenden funktioniert diesmal in 🇦🇹 trotzdem nicht. Wie damals gegen Mikl-Leitner, stehen wir und werden schlussendlich diese Auseinandersetzung gewinnen. Die Tage von Karner sind gezählt.
— Andi Babler (@AndiBabler) October 16, 2022
Lukas Gahleitner-Gertz von der Asylkoordination Österreich stellte auf Twitter fest, dass neben dem Innenminister die Landeshauptleute von sechs der Quoten-säumigen Bundesländer der ÖVP angehörten. “Vollkommen unverständlich, warum ÖVP diese unnötige Krise nicht abgewendet hat”, wundert sich der Asylrechtsexperte öffentlich.
Wie ich es drehe und wende: Vollkommen unverständlich, warum ÖVP diese unnötige Krise nicht abgewendet hat. Profitieren wird ÖVP davon nicht.
BMI und LHs von 6 säumigen Bundesländern, alle ÖVP. Motto: Schaut her, wir könnens nicht.
Dass @AndiBabler sauer ist verstehe ich gut. https://t.co/Uj9C9AI7DX
— Lukas Gahleitner-Gertz (@LukasGahleitner) October 16, 2022
Länder wehren sich
In Vorarlberg und Tirol werden zumindest vorerst keine Zelte aufgestellt, dort suche man nun intensiv Alternativen, heißt es. Diese vorläufige Lösung hat der Vorarlberger Landesrat Christian Gantner (ÖVP) nach eigenen Angaben in einem direkten Gespräch mit dem Innenminister finden können. Aber die abnehmende Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung und der angespannte Wohnungsmarkt erschwerten die Lage, ließ Gantner am Freitag in einer Aussendung wissen.
Der Bürgermeister der oberösterreichischen Gemeinde St. Georgen hat am Montag für 26. Oktober einen Protestmarsch angekündigt, mit dem die Auffahrt zur Westautobahn blockiert werden wird. Er sagte im Ö1-„Morgenjournal“, die Zelte seien die „dümmste Unterbringung, die es geben kann“. Er meinte, Länder, die ihre Unterbringungsquoten erfüllten, würden nun verwendet, um Druck auf jene zu machen, die das nicht täten. Sogar Niederösterreichs Asyllandesrat Gottfried Waldhäusl (FPÖ), der nicht gerade dafür bekannt ist, Geflüchtete mit Samthandschuhen anzufassen, sagte laut ORF-Landesstudio, diese in Zelten unterzubringen komme „nicht infrage“.
NGOs mahnen schon lange
Lukas Gahleitner-Gertz ärgerte sich auf Twitter darüber, dass die Verantwortung über die Situation gerne auf “‘die vielen Asylwerber’ abgeschoben wird”, wie er am 15. Oktober schrieb. Die Krise sei durch Unfähigkeit und Unwillen verursacht worden. Die meisten in der Grundversorgung befindlichen Personen sind laut Daten der Asylkoordination Österreich aus der Ukraine Geflüchtete.
Wir stehen vor großen Herausforderungen.
Die derzeitige Unterbringungskrise ist aber eine vermeidbare Krise des Föderalismus. Ein selbstgemachter Flaschenhals mit Ansage aufgrund mangelnder Kooperation zwischen Bund und Ländern.
1/6#Asylfakt21 pic.twitter.com/hTe9TjYaKM— Lukas Gahleitner-Gertz (@LukasGahleitner) October 15, 2022
Seit Monaten bemängeln Hilfsorganisationen, dass der Bund es nicht zusammenbringt, private Unterkunftgeber so zu unterstützen, dass diese mit der Versorgung der vielen ukrainischen Geflüchteten nicht an ihre Grenzen stoßen. Bereits im August mahnte Lukas Gahleitner-Gertz von der Asylkoordination Österreich, dass immer mehr Geflüchtete in organisierte Quartiere drängten, weil viele private Helfende das Handtuch würfen. Der Asylrechtsexperte begrüßte die Abkehr vom Lagerdenken und organisierten Quartieren, vermisste aber die nötigen Strukturen, um eine Eingliederung der Menschen in die Gesellschaft möglich zu machen.
(pma)
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