Start ZackZack deckt auf Die Libyen-Affäre

Die Libyen-Affäre

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Die Libyen-Affäre

Marsalek trieb mit ÖVP- und FPÖ-nahen Geschäftsleuten ein Anti-Migrations-Projekt in Libyen voran. Neue Details legen nahe: Es ging um Maßnahmen im Sinne des Kurz-Wahlkampfes und um Geschäfte mit einer humanitären Krise.

Benjamin Weiser

Wien, 29. November 2022 | Bislang unbekannte Details zeigen, wie intensiv Wirecard-Vorstand Jan Marsalek und Geschäftsleute aus dem ÖVP-FPÖ-Umfeld ein Projekt zur Migrationskontrolle in Libyen vorantrieben. Der renommierte Experte Kilian Kleinschmidt (einst beim UN-Flüchtlingskommissariat) sollte nach eigener Aussage instrumentalisiert werden: „Ich war das Aushängeschild.“ Erstmals können Marsaleks Libyen-Umtriebe anhand von Rechnungen, Interviews und Belegen minutiös nachgezeichnet werden. Chronologie einer Affäre.

Emissäre einer rechten Flüchtlingspolitik

„Das Projekt Libyen war auch so zu sehen: Nach der Balkanroute schließt man jetzt die Libyenroute“, so Kleinschmidt zu ZackZack. Für die Abwicklung des Libyen-Projekts waren Wolfgang Gattringer, Ex- Kabinettsmann von Innenminister Ernst Strasser (ÖVP), und der FPÖ-nahe Brigadier Gustav Gustenau zuständig. Gattringers Vernetzung mit Kleinschmidt lief Dokumenten zufolge über einen Mitarbeiter des Innenministeriums (BMI) von Wolfgang Sobotka (ÖVP).

Faksimile ZackZack

Im Jahr 2017 ist das Bürgerkriegsland Libyen ein Hort der Instabilität. Der Westen und Russland mischen mit, Menschen fliehen. Dabei inszeniert sich Außenminister Kurz als Treiber eines „Systemwechsels“ in der Asylpolitik.

Im April 2017 kommt in München eine illustre Runde zusammen: Marsalek trifft in seinem Stammlokal Käfer unter anderem auf Brigadier Gustenau, Frankreichs Ex-Präsident Nicolas Sarkozy, der sich zuvor noch im Vorwahlkampf der Konservativen befand, und Bayerns Ex-Ministerpräsident Edmund Stoiber. Mit dabei ist auch Kurz-Fan und Ex-Kanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP). Die Runde ist so etwas wie ein informeller Sicherheitsgipfel. Schnittmenge: Verständnis für Russlands Interessen und restriktive Asyl-Ansichten.

Einen Monat später überschlagen sich die Ereignisse. Am 1. Mai 2017 fliegt Kurz überraschend nach Libyen. Kleinschmidt arbeitet zu dieser Zeit eigentlich für das rote Kanzleramt. Gegenüber ZackZack betont Kern, die Reise sei intern nicht angekündigt worden. SPÖ und ÖVP befinden sich in einer Koalition des Wahlkampfs.

Während Kleinschmidt noch ein Papier für Kerns Ägypten-Reise erarbeitet, trifft Marsalek Ende Mai 2017 auf Innenminister Sobotka in Moskau. Danach soll Kleinschmidt auf einmal für Ex-BMI-Mann Gattringer, Brigadier Gustenau und Marsalek arbeiten.

Das Sobotka-Marsalek-Foto erscheint in neuem Licht. Foto: ZackZack

Im Juni 2017 trifft Kleinschmidt an der Seite Gattringers erstmals auf Marsalek: „Marsalek ging es darum, Migration unter Kontrolle zu bringen, aus Libyen heraus. Da könnte man sich jetzt vorstellen, dass das einen Zusammenhang hat mit der Kurz-Reise. Und ich hatte halt zufällig mehr mit Libyen zu tun. Ich dachte: Grenzkontrollen okay, wenn das verbunden ist mit Entwicklung, also positiven Maßnahmen“, so der Migrationsexperte. Marsalek ist zunächst skeptisch. Er will harte Maßnahmen, vor allem Grenzschutz und Milizen.

Einen Monat später schreibt Gattringer ein Mail an Kleinschmidt: „Danke, Landesverteidigung hätte ich inzwischen fixiert, allerdings nur mit 20k plus Workshop (…).“ Trotz Absichtserklärung kommt es nie zur Zahlung. Aber zu einer anderen: 2017 habe Kleinschmidt einen fünfstelligen Betrag von Gattringer bekommen. Fest steht: Die Kontakte sind intensiv. Gegenüber ZackZack sagt Kleinschmidt, seine Kommunikation umfasse insgesamt 124 Mails, in denen „Gattringer Adressat oder in Kopie ist.“

Die Libyen-Route: „Das ging hoch bis zu Kurz“

Parallel dazu betont Kurz in der heißen Wahlkampf-Phase: Die „Mittelmeerroute muss jetzt geschlossen werden.“ Es brauche Auffanglager, auf libyschem Staatsgebiet solle entschieden gegen Schleuser vorgegangen werden – „notfalls auch ohne UN-Mandat“. Dafür mit Marsalek-Milizen?

Marsalek habe eine Strategie im Sinn gehabt, die man politisch verkaufen könne, so Kleinschmidt zu ZackZack. Als Wirecard-Vorstand ist Marsalek „idealer Messenger, den man als Laufburschen genutzt hat. Und das geht meiner Ansicht nach hoch bis zu Kurz.“ Marsalek als Laufbursche für einen Kanzler in spe? Interne Kommunikation gibt zumindest Hinweise auf Marsalek-Kontakte ins ÖVP-Milieu.

So lädt die Österreichisch-Russische Freundschaftsgesellschaft (ORFG) den Wirecard-Manager in 2015 zu einem Empfang mit BMI-Kabinettschef Michael Kloibmüller ein – Marsalek sagt ab, Kloibmüller will ihn auf Nachfrage nicht kennen. Drei Jahre später, 2018, kommt es zu einem Mailwechsel mit einem republikanischen Ex-CIA-Agenten. Dort prahlt ein gewisser „Jan“, dass er „und ein Freund“ im Wahlkampf ÖVP und FPÖ unterstützt hätten, man pflege „enge Beziehungen mit der Führung beider Parteien.“

50.000 Euro von Marsalek

Richtig ins Rollen kommt das Libyen-Projekt Anfang 2018. Gustenau mailt dem russischen Ex-Militär Andrej Chuprygin: „Lieber Andrej, bezüglich der Logistik werden wir morgen ein Gespräch mit Jan haben.“ Offenbar tritt die Gruppe um Marsalek, Gattringer und Gustenau als eine Art Scharnier österreichischer und russischer Interessen in Libyen auf.

Im Februar 2018 berichtet Kleinschmidt Marsalek über den Fortschritt des Projektes. Dabei sollen Gattringer und Gustenau zuvor um Diskretion gebeten haben: „Keine Gespräche über Geld“. Doch Kleinschmidt ist in Vorleistung gegangen, braucht Cash. Als er vom Status Quo berichtet, tut Marsalek das als „Kinderkram“ ab und drängt auf „Großprojekte – Infrastruktur und Grenzschutz.“ Kleinschmidt habe entgegnet, keine „15.000 bis 20.000 Mann-Miliz“ aufstellen zu können. Es kommt zur Arbeitsteilung, so der Migrationsexperte: Kleinschmidt mache weiter mit weichen Maßnahmen, ein Gattringer-Mitarbeiter, kurzzeitig für das Bundesheer zu Forschungen im Bereich „Industriespionage im Cyber-Raum“ aktiv, solle die Sicherheitsflanke bespielen.

Gattringer ist es auch, der Kleinschmidt für Vorarbeiten ein Darlehen von 20.000 Euro auszahlen soll. „Er wollte das dann von Marsalek zurück haben“, so Kleinschmidt. Ein Mail an Gattringer dokumentiert, wie allein gelassen sich Kleinschmidt zwischenzeitlich fühlt: „Das Problem ist weiterhin trotz der 40k das (sic!) IPA (Kleinschmidts Firma, Anm.) currently overspent by 123.300 Euro – ich habe wirklich Probleme mit den consultants und den Libyern selber. Können wir bitte vor Ende des Monats eine etwas substanziellere Überweisung bekommen?“

Faksimile ZackZack

Kleinschmidt stellt eine Rechnung an Gattringer für eine vorbereitende Studie aus. Wenige Wochen nach dem letzten Treffen werden laut Kontodaten 50.000 Euro an Kleinschmidt überwiesen. Sender: Jan Marsalek.

Faksimile ZackZack

Danach schreibt Kleinschmidt hoffnungsvoll an Gattringer: „Guten Abend, hier im Anhang der Stand der Dinge betreffend Libyen (…) Du findest hier (…) auch einen Draft betreffend eines geplanten Launching Events im August/September.“ Am Ende platziert er noch eine Finanzierungs-Bitte Richtung Marsalek.

Faksimile ZackZack

Dubiose Kontaktaufnahmen

Im Herbst 2018 ist die Lage in Libyen „zu heiß“ und Marsaleks Interesse „geringer als noch 2017“, so Kleinschmidt – „vielleicht, weil der Wahlkampf vorbei war.“ Plötzlich legt Gustenau eine vermeintliche Kehrtwende hin. Mit „Jan“ könne man nicht zusammenarbeiten, der sei zu nah an den Russen dran, so der Brigadier angeblich am Rande eines Events des Verteidigungsministeriums (BMLV). Eine Schutzbehauptung für den Fall, dass die Sache hochgeht? Immerhin taucht Gustenau selbst regelmäßig in Russland-nahen Kontexten auf, die Gattringer-Firma Repuco wiederum berät Wirecard zeitweise im russischen Markt.

Kleinschmidt erwähnt gegenüber ZackZack dubiose Anbahnungsversuche Kreml-naher Akteure, einen aus dem Dunstkreis von Oligarch Wladimir Jakunin. „Jakunin war ja in Berlin, um russlandaffine Influencer aufzutreiben“ Ähnliches geschieht mit Wirecard-Aufdecker Fabio De Masi, der von einer Jakunin-NGO subtil angeworben werden soll. De Masi lehnt ab.

Rund um die Jahre 2017/2018 hätten viele in seinem Umfeld herumgeschnüffelt, so Kleinschmidt: „Von allen Seiten.“ Ein österreichischer Unternehmer habe etwa versucht, Kleinschmidt möglicherweise in „schmutzige Geschäfte zu ziehen.“ Er, Kleinschmidt, habe unter anderem durch Marsalek finanzielle Schwierigkeiten gehabt, „das haben die versucht zu nutzen“. Aus dem finanziellen Loch sei Kleinschmidt nie wieder herausgekommen.

„Habe den Auftrag, Sie nicht mehr lebend rauszulassen“

Im Jahr 2019 wendet sich Kleinschmidt an Österreichs Botschafter in Libyen, Christoph Meyenburg. Der soll von den Umtrieben „eines Österreichers“ unterrichtet werden. Meyenburg ist ein Mann für Spezialaufgaben, zum Beispiel komplizierte Geisel-Befreiungen. Das könnten nicht viele, heißt es aus diplomatischen Kreisen. Glaubt man Kleinschmidt, hat der Botschafter zur Marsalek-Connection eine merkwürdige Aussage parat: „Vorsicht, ich könnte ja einer von denen sein.“

Ein Jahr später bittet Meyenburg zu Tisch. Kleinschmidt zufolge sorgt der Diplomat auf seiner Party für eine weitere bedrohliche Situationskomik: „Hahaha Kleinschmidt. Ich habe ja den Auftrag, Sie nicht mehr lebend rauszulassen. Hahaha. Passen Sie bloß auf!“ Das könne auch österreichischer Humor sein, habe sich der Experte gedacht. Er, Kleinschmidt, habe aber zu dieser Zeit mit der „Financial Times“ und Ibiza-Detektiv Julian Hessenthaler zum Wirecard-Komplex recherchiert. „Das fand ich deshalb nicht so komisch.“

Was sagt der Botschafter zu den Vorwürfen? Bei den Empfängen 2019 und 2020 sei Kleinschmidt einer von „mehreren hundert Gästen“ gewesen. An inhaltliche Gespräche mit dem Experten könne sich Meyenburg nicht erinnern, erst recht nicht an derartige Äußerungen.

Nach der Flucht: Geheimsache Gattringer

Im Juni 2020 geht Wirecard insolvent, Marsalek flieht. Aus dem Off lässt es sich der mutmaßliche Schwerkriminelle nicht nehmen, den eigenen Konzern zu tadeln. Im Buch „Geniale Betrüger“ von „Handelsblatt“-Journalist Felix Holtermann ist eine Marsalek-SMS nach dessen Flucht dokumentiert: „Hatte heute einige Anrufer, die ein wenig schockiert waren, dass sie ab morgen ‚auf der Straße‘ stehen, inklusive eines Kunden aus Libyen: Wirecard wollte morgen 140.000 Leuten die Karten abdrehen. (…) So, ich muss ins Gym.“ Die Wirecard-Akquise in Libyen diente ZackZack-Informationen zufolge auch der Überwachung von Fluchtbewegungen. Stichwort „Refugee Card“, an der Sicherheitsbehörden Interesse zeigten.

Nach der Marsalek-Flucht sind Gattringer und Gustenau heiße Eisen. Auf parlamentarische Anfragen von Stephanie Krisper (NEOS) und David Stögmüller (Grüne) antwortet das BMI im Oktober 2022 sinngemäß, dass die Offenlegung möglicher Aufträge an die Firma MSG Plaut die „äußeren und inneren Sicherheitsinteressen der Republik Österreich“ tangieren würden. Die MSG Plaut schluckte Gattringers Repuco, bis März 2022 war er noch Manager. Dass die Sondereinheit AG FAMA bis vor Kurzem gegen Kleinschmidt ermittelte, ist bemerkenswert. Stellte Kleinschmidt eine Bedrohung für Österreich dar, Gattringer und Gustenau aber nicht?

Das BMI betont zu Wirecard generell, man könne aufgrund eines laufenden Verfahrens keine Auskünfte erteilen. Gattringer, der seine Rolle beim Libyen-Projekt bereits vor dem Bundestag heruntergespielt hatte, antwortete bisher nicht auf eine ZackZack-Anfrage. Ebensowenig wie Sobotka und Kurz.

„Keinerlei Russlandkontakte“ – schrieb Mail an Russen

Das BMLV verweist lediglich auf Gustenaus Ruhestand. Er selbst lässt mit einer umfangreichen Antwort aufhorchen, in der er sich gleichzeitig vom Projekt distanziert und es ausführlich beschreibt. An einer Stelle mutet die Stellungnahme beinahe karitativ an: So seien Gustenau „keinerlei Vorgänge über den Aufbau von Grenzschutz etc. bekannt“, dem BMLV sei es vor allem um Jobs für Geflüchtete und die „Belebung der Bauindustrie“ gegangen. An anderer Stelle aber sagt er, die Debatte um einen „allfälligen Militäreinsatz“ hätten überhaupt erst das Interesse des Ministeriums geweckt. Gustenau habe keinen Kontakt mit Marsalek gehabt und „keinerlei Russlandverbindungen, weder dienstlich noch privat.“ Laut Mails, die ZackZack vorliegen, stimmt beides nicht.

Wirecard-Aufdecker De Masi sieht sich bestätigt: „Es liegt nahe, dass Marsalek der Laufbursche für Kurz‘ Flüchtlings-Wahlkampf war. Die Flüchtlingskrise war für Kurz der Schlüssel zur Macht.“ Schon in der ZackZack-Interview-Serie erwähnte De Masi Libyen: „Libyen war nach dem Sturz Gaddafis (…) aber auch nach der Abriegelung der sogenannten Balkan-Route das einzige Nadelöhr für Flüchtlinge, die nach Europa wollten.“

Update 11:21 Uhr: Kleinschmidt war nicht bei der Libyen-Reise im Mai dabei (U-Ausschuss-Schlussbericht des Deutschen Bundestages mit zweideutiger Formulierung)

Lesen Sie auch: Die Hintergründe der Libyen-Affäre

Titelbild: ZackZack / Miriam Mone

Autor

  • Ben Weiser

    Ist Investigativreporter und leitet die Redaktion. Recherche-Leitsatz: „Follow the money“. @BenWeiser4

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