Daniel Wisser über Klimaproteste, Superkleber und die Frage nach der moralischen Verpflichtung zum Widerstand.
Daniel Wisser
Wien, 21. Jänner 2023 | Im Jahr 2018 hat ÖVP-Chef Kurz in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung Seenotretter im Mittelmeer kriminelle Machenschaften unterstellt. Lebensrettung als Verbrechen. Dieselbe Partei, der Menschenleben also nicht viel Wert zu sein scheint, fordert nun durch ihre frühere Innenministerin Mikl-Leitner Haftstrafen für Klima-Demonstranten, weil diese Blaulichtorganisationen bei Einsätzen behindern könnten. Rettungsdienste selbst sehen das allerdings nicht so.
Wir haben nun drei Jahre hinter uns, in denen Gegner der Corona-Maßnahmen und der Covid-Impfung gemeinsam mit Rechtsextremen und Demokratiefeinden wöchentlich Straßen blockiert haben. Regelmäßig haben sie die Innenstadt lahmgelegt oder den Prater für Kinder unsicher gemacht. Nun, wo es darum geht, auch jenen Menschen Protest zuzugestehen, die auf die Schäden durch fossile Energie hinweisen, wird hartes Vorgehen gegen Demonstranten verlangt. Eine bigotte Haltung.
Die öffentliche Unsicherheit
Wie so oft wird hier mit zweierlei Maß gemessen: Wendet man sich schon wegen sogenannter Impfschäden gegen eine Corona-Impfung, so kommt niemand in den Sinn aufgrund der Statistik der Verkehrstoten und -verletzten das Ende des motorisierten Straßenverkehrs oder zumindest Temporeduktionen zu fordern. Wo die Sympathien der Polizei liegen, wissen wir. Wo die Sympathien der Rechtsparteien ÖVP und FPÖ liegen, wissen wir auch. Die Grünen schweigen, starten lieber PR-Aktionen zum Öl-Ausstieg und Scheitern am Koalitionspartner, wie unlängst, als die ÖVP im Ministerrat ein Fracking-Verbot in Österreich verhindert hat. Die Wahrheit zugeben wollen die Grünen nicht: dass man mit der ÖVP niemals Maßnahmen zur Reduktion fossiler Energie beschließen wird können. Während die FPÖ in Koalition mit der ÖVP jedes Mal eine Teststrecke für eine Tempoerhöhung auf Autobahnen bekam, gab es in der ÖVP-Grüne-Koalition keine einzige Teststrecke für 100 km/h auf der Autobahn oder 80 km/h auf Freilandstraßen.
Heute sind Klimaaktivisten das, was die Grünen einst waren. Die ÖVP, die kein Problem damit hat, wenn Menschen im Mittelmeer ertrinken, rügt diese mit erhobenem Zeigefinger: Die Demonstranten würden die öffentliche Sicherheit bedrohen und seien respektlos gegenüber den Steuerzahlern, sagte ÖVP-Staatssekretärin Plakolm in der ZIB2. Anscheinend geht die ÖVP, wenn sie von einer Meinungsforscherin frisierte Umfragen bestellt und diese mit Steuergeldern bezahlt, weitaus respektvoller mit den Steuerzahlern um. Damit fördert sie zumindest die öffentliche Unsicherheit.
Öl tötet und zerstört Lebensraum
Wir wissen, was sie statt Protesten gerne hätten: Dass Menschen, die auf die Schäden fossiler Energienutzung für Mensch und Umwelt hinweisen, schön an ihrem Schreibtisch sitzen und Studien schreiben. Nur: Studien und Befunde gibt es seit fünfzig Jahren. Passiert ist trotzdem nichts. So hat etwa der Ölkonzern Exxon Mobil immer gesagt, der menschengemachte Klimawandel beruhe auf Spekulation. Nun beweist – wie Der Standard berichtet – ein Buch der US-Wissenschafterin Naomi Oreskes, dass Exxon seit 1979 erstaunlich exakte Prognosen jener Entwicklungen vorlagen, die das Unternehmen öffentlich leugnet.
Es ist längst notwendig, dass sich eine außerparlamentarische Opposition gegen die kriminellen Machenschaften der Öl-Konzerne und der Öl-Lobby formiert, da keine der Parlamentsfraktionen dagegen auftritt. Und es ist selbstverständlich, dass dazu alle Mittel des zivilen Widerstands legitim sind. Ja, das temporäre Lahmlegen von Infrastruktur und Verkehr ist legitim. Denn für die Förderung von Öl und Gas werden Menschen getötet, vertrieben und wird menschlicher Lebensraum zerstört.
Genozide, Morde, Diktaturen
Eigentlich sollte hier nun eine Aufzählung aller Umweltkatastrophen durch Ölförderung stehen, eine Liste aller für die Ölförderung begangener Genozide und Morde, eine Liste aller Demokratien, die für die Ölförderung gestürzt wurden, eine Liste aller Diktaturen, die dafür errichtet wurden und nur vom Westen aufrechterhalten werden, nur um sich Öllieferungen zu sichern. Es ist eine sehr lange Liste, für die hier kein Platz ist.
Aber schauen wir kurz nach Kasachstan, das mit 40 Prozent am Importanteil Österreichs größter Rohöllieferant ist. In Kasachstan erhalten Russland und die westlichen Länder (also auch Österreich) eine totalitäre Herrschaft aufrecht. Das Land ist als Öl- und Uran-Lieferant für Europa unverzichtbar. Es ist ein reiches Land, doch das Geld für diese Rohstoffe kommt nicht beim Volk an. Pressefreiheit gibt es nicht und jeder Protest der Bevölkerung wird gewaltsam unterdrückt. Bei uns wird darüber kaum berichtet.
Außerparlamentarischer Widerstand
All diese Missstände sind real und erscheinen uns doch weit entfernt. Die Ethik, die sich die westlichen Demokratien mit ihren Verfassungen auferlegt haben, verbietet es ihnen, die Menschen in den Ländern, wo Gewalt, Vertreibung und menschengemachte Umweltkatastrophen die Lebensqualität einschränken oder gar das Leben bedrohen, als Menschen zweiter Klasse zu sehen. Und doch haben heute jene politische Strömungen Aufwind, die genau das tun wollen. Sie fühlen sich siegessicher.
Sie sollten sich ihrer Sache nicht so sicher sein. Wie in Lützerath sichtbar wird, wird der Widerstandsgeist der Bevölkerung und die Kraft, die eine außerparlamentarische Bewegung bekommen kann, unterschätzt. Es ist aber nicht gesagt, dass eine anfangs rein oppositionelle Bewegung als politische Gruppierung geeint auftreten kann. Dafür benötigte sie ein umsetzbares Programm für eine umwelt- und menschenfreundliche Energiepolitik in den nächsten Jahrzehnten. Den westlichen Industriestaaten fehlt ein solches Programm. Sie haben sich in Abhängigkeiten und Lügen verstrickt und es bleibt ihnen nur mehr der Zynismus, jene, die das Problem ernst nehmen anzupinkeln – oder die Polizei auf sie eindreschen zu lassen.
Die Politik ist handlungsunfähig geworden. Die Abhängigkeit von Unrechtsstaaten und Großunternehmen lähmt sie. Die, die das Problem erkennen, bleiben ungehört. Werden sie aktiv, kriminalisiert man sie. Diese Aussichtslosigkeit muss sichtbar gemacht und zur Sprache gebracht werden. Daher ist mir jeder festgeklebte Klimaaktivist, jeder Autoreifen, aus dem die Luft gelassen wurde, und jeder aus Widerstand erzeugte Stau sehr willkommen. Da halte ich es ganz mit Günter Eich: »Seid Sand, nicht das Öl im Getriebe der Welt!«
Titelbild: ZackZack/Miriam Mone