Die sogenannte Meinungsforschung ist nichts als ein Zudecken wichtiger gesellschaftlicher Sachfragen und dient in Österreich dazu, Politik zu machen und damit Geld zu verdienen, meint Daniel Wisser.
Wien | Kaum war die Salzburg-Wahl vorbei, wussten die Meinungsforscher auch schon, wie sie ausgegangen ist. Mit dem, was zuvor publiziert wurde, hatte das Ergebnis nichts zu tun. Die Krise der Demokratie in Österreich geht einher mit dem steigenden Stellenwert, den Meinungsumfragen bekommen. Da gibt es lange Interviews mit Politikerinnen und Politikern, in denen es nur mehr um parteipolitische Taktik geht und um Meinungsumfragen, die zum Teil Antworten auf Fragen geben, die bei Wahlen gar nicht zur Entscheidung stehen.
In einer aufgeklärten Demokratie braucht man Meinungsforschung gar nicht. Sie ist auch keine Wissenschaft, sondern bestenfalls ein Handwerk, das empirische Daten auf vulgärsoziologischer Basis einholt. Jede Umfrage bringt ein Ergebnis, so unbrauchbar es auch ist und auf wie dünnen Beinen es auch steht. Doch es wird kaum darüber informiert, auf welcher Basis eine Meinungsumfrage erstellt wurde. Sie wird Politikerinnen und Politikern als Wahrheit entgegengeschleudert: »Sie stehen bei 24 Prozent.« Leider wird solcher Unsinn aber auch den Wählerinnen und Wähler präsentiert. Meinungsforschung ist also zuallererst Wählermanipulation.
Es gibt keine von der Politik unabhängige Meinungsforschung
Das ist auch der Grund, warum die Meinungsforschung nicht unabhängig ist und nicht sein kann. Viele Meinungsforscher wie Wolfgang Bachmayer oder Josef Kalina waren zuvor in der Politik tätig, andere waren es danach, wie etwa Sophie Karmasin, die ÖVP-Ministerin wurde, nachdem sie ORF-Politanalytikerin gewesen war. Nicht, dass man ihre politische Richtung nicht schon kannte, bevor sie ohne ersichtliche Qualifikation Ministerin wurde; sie gab sich auch wenig Mühe, diese durch Objektivität zu überspielen.
In einem Artikel aus dem Jahr 2009 in der Zeitung Der Standard lese ich: »Mit ihrem neuen Projekt tritt Karmasin in das Netzwerk der Experten rund um Wolfgang Rosams Change Communications und Dietmar Eckers PR-Agentur Ecker & Partner ein, in dem bereits die Unternehmen von Peter Filzmaier (ISA), Monika Langthaler und Christian Nohel (Brainbows) sowie die Lobbyingagentur Public Interest mit Gregor Schönstein als Geschäftsführer, vertreten sind.« Es ist also nicht gerade so, dass Parteipolitik in der Meinungsforschung keine Rolle spielt. Dazu kommt: Jede Umfrage oder Studie oder Analyse hat einen Auftraggeber. Und dieser Auftraggeber ist meist eine politische Partei oder ein Medium, das etwas Bestimmtes sagen will.
Was eben gebraucht wird
Meine Erfahrungen in der Meinungsforschung sind schon lange her. Ich machte sie in den Neunzigerjahren und sie haben mir die Augen geöffnet. Ich lernte in zwei Meinungsforschungsinstituten als allererstes, die Befragten bei Beginn des Gesprächs zu belügen und die Befragungsdauer mit nur einem Drittel der tatsächlichen Dauer anzugeben.
Anfangs nahm ich die Sache sehr ernst. Ich kann mich erinnern, dass am Ende einer Umfrage nur mehr weibliche Befragte zwischen 40 und 50 Jahren benötigt wurden. Nachdem ich eine 39-jährige Person befragt hatte, klagte ich bei einer erfahrenen Kollegin, dass diese Befragung nun umsonst gewesen sei. Sie nahm den Bogen, strich das Alter durch und gab das Alter mit 40 Jahren an. Ich fragte sie, ob das so einfach ginge. Sie sagte mir, sie ändere alle Personendaten, also Geschlecht, Alter, Wohnort, je nachdem, was eben gebraucht würde.
Profis am Werk
Und so sah ich bald die wirklichen Profis am Werk. Man wurde pro Umfrage bezahlt. Die Profis konnten, während sie scheinbar mit jemandem eine Umfrage am Telefon machten, vier oder fünf Fragebögen nebenher ausfüllen. Sie verdienten wesentlich besser als ich. Am Ende einer Studie verschwanden die Chefs mit den Zahlen in einer Sitzung, in der Umfrageergebnisse erstellt wurden. Bei dieser Sitzung durfte ich nie dabei sein oder das Ergebnis der Umfrage sehen.
Empirische Forschung kommt immer zu Ergebnissen. Es ist möglich, festzustellen, dass Männer zwischen 40 und 50, die Kefir trinken und im Internet schon einmal einen Reiseführer für Ostwestfalen-Lippe bestellt haben, die Österreichische Scheibentheoriepartei wählen würden, wenn Heinrich Staudinger ihr Spitzenkandidat wäre. Was aber bringt diese Erkenntnis?
Hypothesen werden als Wirklichkeit verkauft
Anders gefragt: Wozu braucht ein Mensch mit politischer Überzeugung eine Meinungsumfrage? Er braucht sie nicht. Und wenn jemand sein Wahlverhalten wegen einer Meinungsumfrage ändert, worum geht es ihm dann eigentlich? Darum, ein Teil der Mehrheit zu sein, egal was die Forderungen dieser Mehrheit sind?
Meinungsforschung ist ein Zudecken von Sachpolitik und wichtigen gesellschaftlichen Fragen durch reine Personalpolitik und Sympathiefragen. Oder sie verkauft uns hypothetische Werte als Fakten, wie die Wählerstromanalyse, die nichts anderes als eine Umfrage ist. Wenn die Partei X bei der vorhergehenden Wahl eine Stimme hatte und die Partei Y zwei, nach der Wahl die Partei X aber zwei Stimmen hat und die Partei Y eine, so kann man sagen: »Eine Stimme ist von der Partei Y zur Partei X gewandert.« Es ist aber reine Hypothese, denn auch drei Wählerinnen und Wähler könnten anders gewählt haben als bei der vorhergehenden Wahl. Die Hypothese aber wird als Wirklichkeit verkauft.
Vorgaben für die Mehrheit
Der Aufstieg der Meinungsforschung geht einher mit der Boulevardisierung der österreichischen Medien. Es ist eine zutiefst undemokratische Form der Information, die oft auch Unwahrheiten insinuiert, z.B. dass es in Österreich eine Kanzlerwahl gäbe.
Zum Glück erleben wir in letzter Zeit auch – Wahlerfolge der KPÖ sind ein Beleg dafür –, dass es möglich ist, politisch erfolgreich zu sein, ohne vom boulevardisierten Medienmainstream auch nur erwähnt zu werden. Die Überschätzung von Boulevard und Meinungsforschung ist etwas sehr Österreichisches. Man will zur Mehrheit gehören, also braucht man Vorgaben. Aber nicht alle wollen das. Es gibt auch Menschen mit Überzeugungen und Menschen, die diese Überzeugungen auch in Diktaturen oder Oligarchien nicht ablegen. Zum Glück.
Meinungsforschung macht Politik
In der Meinungsforschung geht es in Österreich darum, Politik zu machen und damit Geld zu verdienen. Der Karmasin-Prozess zeigt dieses Faktum am allerdeutlichsten. Und es ist nicht wahr, dass all das immer so war. Niemals in der Zweiten Republik war Österreich so korrupt wie unter der Regierung der ÖVP, seit Sebastian Kurz ihr Parteiobmann wurde. Julian Hessenthaler hat im Interview mit der Zeitung Der Standard etwas sehr Wichtiges gesagt: »Aber in Österreich ist viel zu viel normal geworden, was eigentlich nicht normal ist. Das, was alles die letzten Jahre auf den Tisch gekommen ist, ist nicht normal. Politiker sind nicht generell so. Das ist ein Stil, der sich eingeschliffen hat in Österreich, durch Leute, denen es in der Politik eher um der Selbstbereicherung geht als um das Wohl des Landes.«
Titelbild: ZackZack/Miriam Mone