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Sprechen Sie sozialdemokratisch?

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Sprechen Sie sozialdemokratisch?

Jetzt einmal ganz ernsthaft: Warum Andi Bablers Rhetorik von „unseren Leuten“ nicht spaltet und noch nicht einmal populistisch ist.

Wien | Eine der vertracktesten Kompliziertheiten idealer demokratischer Diskurse ist folgender Sachverhalt: Wir vertreten alle Meinungen, von deren Richtigkeit wir hoffentlich überzeugt sind, doch ein echter demokratischer Diskurs muss eigentlich von der Annahme getragen sein, dass auch die Gegenseite recht haben könnte. Andererseits wird man an einer Meinung, hat man einmal eine gefasst, festhalten, solange das irgendwie geht, und nur jene Fakten und Gesichtspunkte äußern, die diese Meinung stützen. Vielleicht noch nicht mal absichtlich oder strategisch, sondern weil wir Menschen einfach dazu neigen. Dieser Versuchung muss immer wieder widerstanden werden.

Bablers Gegenwind

Dies vorausgeschickt, wollen wir uns einmal ernsthaft mit der Frage auseinandersetzen, ob Andreas Bablers häufig gebrauchte Redewendung von „unseren Leuten“ spaltend, zu populistisch oder sonst etwas ist. Ich bin dieser Meinung nicht. Andere sind dieser Meinung schon. Aber wie gesagt: Kann es sein, dass die Gegenseite recht hat?

Natürlich könnte man richtigerweise darauf hinweisen, dass das etablierte System seit Bablers Wahl alles tut, um ihn zu diskreditieren. Europafeind, Populist, Marxist, Leninverehrer, Idealist, Bolschewik, Kirchenhasser, Papstfreund – was wird da an grotesken Geschichten und an widersprechenden Argumenten aufgeboten. Formuliert er zu einfach, ist er zu populistisch, sagt er das Richtige, das angeblich noch nicht populär genug ist (Tempo 100), dann ist es auch wieder nicht recht. Jede belanglose Kleinigkeit wird ausgegraben. Während man bei anderen den braunen Elefanten im Raum zum Streicheltier verniedlicht, wird bei Babler jede Mücke zum „Skandal“ erklärt. Es ist so leicht durchschaubar, dass es sowieso jeder durchschaut. Das neoliberale Imperium kann ziemlich alles akzeptieren, aber keine echten Sozis.

Schlechter Vergleich

Aber wir wollen es uns nicht leicht machen. Es sind ja durchaus Menschen, deren Urteil etwas wiegt, die gegen die Formel von „unseren Leuten“ Einwände vorbringen. Der Bundespräsident Alexander van der Bellen hat sie exemplarisch erwähnt, als Beispiel, dass auch demokratische Parteien beim populistischen Hochlizitieren mitmachen. Und auch wenn er es nicht ausdrücklich gesagt hat, hat er zumindest die Interpretation in den Raum gestellt, dass die Rede von „unseren Leuten“ ähnlich fragwürdig wäre wie die Spalterei der ÖVP in „Normaldenkende“ und „Unnormale“. Sorry, Mister President, spätestens da wird es absurd.

Dennoch kann man natürlich der Meinung sein, dass die Rede genauso die Welt in Ingroups und Outgroups auffächert. Hans Rauscher formuliert das weniger schroff, sieht aber Babler „an einer heiklen Grenze“. Die Formel hätte „etwas Ausschließendes“, was man nicht übertreiben dürfe. Auch Florian Klenk behauptet, das würde Babler „schaden“.

“Unsere Leute” sind fast alle

Nun lebt jede sprachliche Äußerung nicht nur von dem, was formal gesagt wird, sondern auch vom Kontext und von der Identität dessen, der spricht. Wenn Woody Allen einen Witz über jüdische Rabbis macht, ist das etwas anderes, als wenn Adolf Hitler das gemacht hätte. Das weiß ja jeder, der drei Neuronen im Kopf hat.

Bablers Wendung ist übrigens ja auch keine Phrase, die sich irgendwelche Strategen oder Kommunikationsgurus ausgedacht haben, sondern – wenn ich das recht in Erinnerung habe – ist das ein seit Jahren von ihm gebrauchter Begriff. Wenn Andi Babler über Kinder spricht, die in armen Verhältnissen aufwachsen, oder von Kindern, die nicht die beste Lernunterstützung haben, weil ihre Eltern nicht gut deutsch können, dann sagt er, das sind doch unsere Leute, unsere Kinder, egal ob sie Ibrahim oder Jessica heißen. Die Dreher an der Werkbank, die Freunde seines Vaters, die Gastarbeiter die mit ihnen Schulter an Schulter standen, das sind „unsere Leute“, mag der eine Herbert, der andere Ali heißen, genauso wie die Omi, die sich nicht einmal mehr leisten kann, ihrem Enkel zehn Euro zuzustecken.

Man muss das schon sehr absichtsvoll, vorsätzlich und arg böswillig missverstehen wollen, um hier eine „ausschließende“ Sprache zu vermuten. Das Gegenteil ist der Fall: Es ist der Versuch, eine inklusive Sprache zu finden, und zwar doppelt inklusiv. Eine, die alle einbezieht. Und eine, die auch die Oma aus Hintertupfing versteht. Die wird man nämlich mit Appellen an „eine inkludierende Wortwahl“ wohl eher schlechter erreichen als mit Formeln von der Art: „Des ist einer von uns“.

Kurzum: Es ist eine Sprache, die alle als ein WIR anspricht, und die das auf eine Weise tut, dass es auch wirklich jeder und jede verstehen kann.

Ich-Bessessenheit weckt Irritationen

Man kann natürlich immer vom hermeneutischen Verdacht getrieben sein, dass jemand, der etwas sagt, irgendwelche bösen Absichten verfolgt, die er eigentlich ganz offensichtlich nicht hat; oder semantische Spitzfindigkeiten betreiben. Man kann übrigens durchaus die Empfindung haben, dass die Formel „unsere Leute“ eine leicht paternalistische Schlagseite hat, dass Babler über „unsere Leute“ redet wie der Hirte über die Herde spricht, um die er sich zu kümmern habe.

Nun sind jene, die lange Jahre das Gefühl hatten, dass sich überhaupt niemand um sie kümmere, höchstwahrscheinlich froh, dass sich endlich jemand ihrer annimmt, und empfinden eine paternalistische Kümmererattitüde nicht gerade als das größte Problem, das sie haben. Aber gut, ich kann die Irritation nachvollziehen. Ich kann auch nachvollziehen, dass viele von uns, vor allem die, die sich in ihrem Selbstbild als liberale, progressive, unverwechselbare Erfolgsmenschen sehen, als etwas Besonderes also, Schwierigkeiten haben, sich durch Formeln eines kollektiven Wir angesprochen zu fühlen und sich dadurch instinktiv ausgeschlossen empfinden. Aber vielleicht ist das ja gerade das Problem, wer weiß?

Vielleicht ist ja gerade das das Problem, dass wir alle etwas Besonderes sein wollen?

Vielleicht ist ja gerade das auch das Problem, dass viele so trainiert auf die Subjektposition des Ich sind, dass sie sich schon gar nicht mehr vorstellen können, bei einem Wir mitgemeint zu sein. Ich sage das gar nicht zynisch: Nach dreißig, vierzig Jahren von Individualismus und Ego-Ideologie als herrschendes Gedankengebäude geht es mir persönlich da nicht so viel anders.

Ein bisschen Gehirngewaschen sind wir doch alle in dieser neoliberalen Hölle, machen wir uns da nichts vor.

Die Rede von „unseren Leuten“ oszilliert tatsächlich, sie wechselt die Farbe, je nach dem von welcher Seite man sie betrachtet.

Einerseits spannt sie ein Kollektiv auf, dem sich jeder und jede zurechnen kann, der oder die das will. Die, die gemeinsam an einem Strang ziehen. Andererseits, und das ist, wenn man unbedingt will, der leicht paternalistische Farbton: Sie ist eine Metapher für klassische Interessensvertretung. Die, die vorne stehen, setzen sich für die ein, die nicht so eine wahrnehmbare Stimme haben, die über weniger Macht verfügen. Zugleich stehen die, die vorne stehen, eben nur vorne, weil die anderen sie dorthin wählen. Als ihre Vertreter.

Insofern hat die Formel natürlich etwas implizit Ausschließendes: Es gibt Milieus, die sich zwar der Sozialdemokratie als Anhänger anschließen können, die aber Interessensvertretung nicht brauchen, weil sie ihre Interessen gut selbst vertreten können. Aber was genau ist da das Drama daran?

Zu populistisch?

Wenden wir uns nun auch dem Populismus-Vorwurf zu, dem „Linkspopulismus“-Vorwurf. Bei einem linken Populismus geht es ja nicht nur darum, dass man „populär“, oder „zugespitzt“ oder vielleicht auch „vereinfacht“ oder gar etwas „dümmlich“ argumentiert. Linkspopulismus zeichnet sich dadurch aus, dass er versucht, eine Einheit zu konstruieren – ein „Wir“. Die Konstruktion eines „Wir“ setzt immer die gleichzeitige Konstruktion eines „Sie“ voraus. Die belgisch-britische Politikwissenschaftlerin Chantal Mouffe macht sich seit Jahren für einen solchen Populismus stark.

„Wir müssen Populismus als den Weg betrachten, die Einheit einer Gruppe erst zu konstituieren“, schrieb Mouffes langjähriger Partner, der vor einigen Jahren verstorbene argentinisch-britische Philosoph Ernesto Laclau in seinem Buch „On Populist Reason“ („Über populistische Vernunft“). Das Volk, das der Populismus adressiert, existiert nicht bereits, es wird durch ihn erst erschaffen. Oder zusammengeschweißt, um das salopp zu sagen. Der Populismus spricht nicht alle Bürger an, also den populus, sondern vor allem die plebs, die Unterprivilegierten, die bisher nicht gehört werden. Aber er ist mehr als das, er ist eine politisch-rhetorische Operation, die postuliert, dass „die plebs der einzig legitime populus ist“ (Laclau), und die die demokratischen und die sozialen Rechte der normalen Leute gegenüber den Eliten und den Oligarchen artikuliert. Populismus ist „die Stimme derer die aus dem System exkludiert sind“. Er stiftet relative Identität unter heterogenen Gruppen, den Gruppen jener, die sich angesprochen fühlen. Populismus, so verstanden, ist eine widerständige (gegen-)hegemoniale Strategie gegen die Hegemonie der neoliberalen Postpolitik. Laclau: Nur der Populismus „ist politisch; der andere Typus bedeutet den Tod der Politik.“ Denn der vernünftige Pragmatismus ist kraftlos.

Der deutsche Populismus-Forscher Jan-Werner Müller sieht das in gewisser Hinsicht genauso, aber zugleich exakt andersrum, denn er meint, dass dies noch lange nicht ausreicht, um eine Populismus-Diagnose zu erstellen. Eine Art Konfrontationspolitik gegen etablierte Eliten sei doch nicht Populismus, sondern eine normale Oppositionsstrategie. Wäre das schon Populismus, „stünde jeglicher Dissens mit den Mächtigen immer sofort unter Populismusverdacht“. Und auch „nicht jede Konstruktion eines Kollektivs ist Populismus“, meint Müller.

Man muss nicht alles Teilen, was Laclau in „On Populist Reason“ formuliert, doch der Anspruch, aus heterogenen Gruppen ein Wir von Leuten zu konstituieren, die sich verbunden fühlen, die ihre gemeinsamen Interessen erkennen und wahrnehmen und gemeinsam an einem Strang ziehen, ist wohl eine Selbstverständlichkeit für linke Politik. Wer fordert, Linke sollten das lassen, der fordert im Grunde, dass Linke schwach bleiben, dass sie weiter der Gruppen- und Identitätsbildung der radikalen Rechten nichts entgegensetzen sollen. Wollen das die Vertreter der skeptischen Meinung wirklich?

Sozialdemokratische Sprache

Letztendlich hat all das nicht einmal etwas mit Linkspopulismus zu tun, sondern schlicht und einfach mit Sozialdemokratie. Sozialdemokratie war immer dann erfolgreich, wenn sie unterschiedlichste Bevölkerungsgruppen als ein Wir angesprochen hat. Ein Wir, dass sich dann verbunden fühlte. Ein Wir, dass dadurch erst geschaffen wurde. Aber das heißt auch, dass sich Menschen als Ähnliche wahrnehmen, und auch eine Ermächtigung dadurch verspüren, dass sie mit anderen verbunden sind.

Vielleicht haben die Missverständnisse einfach damit zu tun, dass eine bestimmte Sprache in bestimmten Teilen der Bevölkerung gar nicht verstanden wird. Eigentlich muss man heute die Frage stellen: „Sprechen sie sozialdemokratisch?“ Wer diese Sprache nie gelernt hat (oder aktiv verlernt hat), wer sich darauf getrimmt hat, sich als unverwechselbares Individuum zu sehen, wer bei der Vorstellung, Teil einer größeren Gruppe zu sein (um nicht das böse Wort „Kollektiv“ zu benützen) sofort leicht panisches Unbehagen verspürt, wer kein Sensorium hat für die Wir-Identitäten der plebejischen Klassen, für den ist wahrscheinlich Bablers Wort von „unseren Leuten“ eine ägyptische Hieroglyphe, also eine völlig unverständliche sprachliche Äußerung.

Die absurden Missverständnisse sind also womöglich kein Zufall.

So gesehen muss man mit der von Babler beschworenen „Wiederaufrichtung der Sozialdemokratie“ tatsächlich mit der Sprache beginnen. Man muss wieder beginnen, sozialdemokratisch zu sprechen und die Lingua Socialdemocratica zu verstehen. Oder anders gesagt: Man muss wieder lernen, WIR zu sagen.

Titelbild: Thomas König / ZackZack

Autor

  • Robert Misik

    Robert Misik ist einer der schärfsten Beobachter einer Politik, die nach links schimpft und nach rechts abrutscht.

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