Start Meinung 50 Jahre Spenden sammeln, 50 Jahre Almosenpolitik

50 Jahre Spenden sammeln, 50 Jahre Almosenpolitik

50 Jahre Spenden sammeln, 50 Jahre Almosenpolitik

Berührende Schicksale, Geschichten, die auf die Tränendrüse drücken. Menschen, die man gern unterstützen möchte und dafür den einen oder anderen Euro spendet. Dass viele, die von Licht ins Dunkel unterstützt werden genau deshalb Hilfe brauchen, weil eben der Sozialstaat immer weniger unterstützt, das blendet man dann zu Weihnachten gern aus. 

Weil diese Schicksale “unterstützenswert” sind, weil sie “präsentabel” sind während man gleichzeitig stillschweigend zur Kenntnis nimmt, dass die Räder des Sozialstaats immer enger geschraubt werden und Erwerbslose am besten gar kein Privatleben mehr haben sollen, sondern je nach Job von einem Bundesland zum nächsten ziehen. Aber spenden beruhigt das Gewissen, oder?

Ändert endlich die Ursachen, anstatt für die Folgen Spenden zu sammeln….

Vor einigen Tagen wurde aufgrund des “Jubiläumsjahres” beschlossen, Licht ins Dunkel (LiD) mit über 14 Millionen an Steuergeldern zu fördern. Allein die Tatsache, dass es LiD braucht, bei dem unter anderem Lebensmittelgutscheine verteilt werden, Miet- oder Stromrückstände beglichen oder auch Hilfsmittel und Therapiekosten unterstützt werden, sollte nicht mit einem Jubiläum gefeiert, sondern eher mit einer Trauerrede über das strukturelle Versagen der Regierungen begangen werden. Ironisch auch, dass sich Licht ins Dunkel nicht nur durch Spenden finanziert, sondern wir alle mit unseren Steuern jene 14 Millionen beisteuern, die dann wiederum als Almosen ausgeteilt werden. Aber nur an jene, die einverstanden sind, sämtliche private Diagnosen zu übermitteln und zu akzeptieren, dass Gemeinde und Jugendamt über die eigenen Lebensumstände informiert werden. Wer am Land lebt, kann sich vorstellen, wie groß die Scham davor ist….

Aber warum müssen eigentlich die Mittel aufgestockt werden? Wenn wir doch in einem der besten Sozialstaaten der Welt leben? Weil der Sozialstaat zwar mithilft, in gewisser Art und Weise zu überleben, aber von Teilhabe und Inklusion sind wir weit entfernt. Wer bei uns auf Sozialhilfe angewiesen ist oder aufgrund einer Behinderung über keine oder wenige finanziellen Ressourcen verfügt, dem bleibt der Zugang zu Teilhabe verwehrt. Nicht nur das, auch die Gesundheit fördernde Therapien sind oft nicht leistbar, da es sogar am Selbstbehalt fehlt. Wer in Österreich nicht “leistungsfähig” im allgemeinen Sinn ist, keinen 08/15 Job machen kann, wer nicht ins Schema passt…muss meistens entweder auf Luxus wie Teilhabe und Gesundheit verzichten oder als Bittsteller hoffen, Zuwendungen zu bekommen. 

Und jährlich grüßt das Murmeltier….

Just in dem Jahr, in dem ÖVP/FPÖ unter Bundeskanzler Kurz die Sozialhilfe massiv gekürzt hatten stand dieser medienwirksam bei der alljährlichen Gala um für Spendenaufrufe zu werben. Ein Großteil davon wäre nicht notwendig gewesen, hätte es keine Kürzungen gegeben. Wurde er diesbezüglich konfrontiert? Natürlich nicht, wichtiger war die Frage nach dem Essen am Weihnachtstisch. Wie müssen sich eigentlich all jene fühlen, die sich Weihnachten kein besonderes Essen leisten können? Für die Weihnachten aus finanziellem Mangel ein Tag wie jeder andere ist? Ich verrate es euch: ziemlich mies. 

Wir alle sind Teil der Almosenpolitik…

Das grundlegende Problem ist, dass sowohl Menschen mit Behinderungen als auch mit chronischen Erkrankungen und Menschen, die aus welchen Gründen auch immer, auf Sozialhilfe angewiesen sind, als schwach angesehen werden. Es wird nicht darauf geachtet wo die Barrieren liegen, welche Hürden es unmöglich machen, selbstständig für Kosten aufzukommen. Strukturelle Probleme werden wieder individualisiert und die Regierungen können damit Verpflichtungen an die Zivilgesellschaft abwälzen. Man muss ja nicht mal aktiv spenden, um diese Almosenpolitik zu unterstützen, wir bezahlen auch mit unseren Steuergeldern. 

Anspruch auf Therapien statt Abhängigkeit von Spenden…

Mag sein, dass viele bisher nichts Kritikwürdiges an den Spendengalas gesehen haben, weil entweder die Lebensrealitäten der Betroffenen zu weit weg sind oder man sich nicht vorstellen kann, je in die Lage zu kommen, sich als Bittsteller an LiD wenden zu müssen.

So gings auch einer Mutter. Bis vor einigen Monaten noch waren die Kosten für die Therapien ihrer Tochter noch leistbar. Dann kam der Jobverlust und seitdem die Suche. Aber mit 50 stellt man sich das leichter vor als es ist. Es kommen noch nicht mal Absagen. Einfach gar nix. Aber die Fixkosten laufen weiter und die Therapie sollte das auch. Wechseln zu einem Kassentherapeuten kommt leider nicht infrage, da es Monate bis Jahre dauert, bis wieder ein Vertrauen hergestellt ist. Die Mutter hat sich also an das Jugendamt gewandt in der Hoffnung, Infos zu möglichen Unterstützungen zu erhalten. Sie wurde mit der Aufgabe, bei Licht ins Dunkel anzufragen, nach Hause geschickt. 

Was, wenn diese nichts übernehmen, hat sie mich am nächsten Tag gefragt? Was, wenn sie ihrer Tochter sagen muss, sorry, kein Geld mehr für Therapie? Eine Jugendliche, die zu viel durchgemacht hat und nur mit Hilfe von Therapie überhaupt einen Schulalltag schafft. Ihre Eigenständigkeit später sich dadurch entscheidet, ob sie jetzt ausreichend Hilfe bekommt. Eine Jugendliche, die sonst wahrscheinlich von Sozialhilfe abhängig sein wird. Sollte das rein auf Almosen beruhen? Ich finde, wir sollten Menschen ermöglichen ein selbstbestimmtes Leben zu führen, wir sollten darauf schauen dass diese Menschen jetzt Hilfe bekommen, um selbständig leben zu können. Und nicht auf Almosen ausweichen und hoffen. Unser Staat könnte das. Das Geld ist da. Das sehen wir auch jetzt, indem man 14 Millionen Euro an LiD überweist. Aus Steuergeldern. Damit könnte man Hilfestellungen strukturell zugänglich machen ohne dass die Betroffenen auf Almosen angewiesen wären. Es wäre zumindest ein Anfang. 

Struktureller Wandel

es braucht kein Mitleid, keine Beiträge und Schicksale die auf die Tränendrüse drücken und die Portemonnaies öffnen. Es braucht keine Inszenierungen damit Notwendiges finanziert werden kann aber nichts an den Ursachen daran geändert wird. Es braucht die Öffentlichkeit, die sichtbar macht, weshalb diesen Menschen das Geld für diverse Hilfsmittel, Therapiekosten oder gar Miete fehlt. Es braucht ständige Erinnerung und Mahnung, wo die Probleme liegen, dass Menschen auf diese Almosen angewiesen sind. Und es braucht die Stimmen jener, die bisher zu Bittstellern degradiert wurden. Aber als Stimmen, die die Barrieren aufzeigen, die Hürden und Hindernisse. Die aufzeigen, wo die Ursachen liegen und was es an Veränderung braucht. Denn sie wissen es am besten, sie leben schließlich damit.

Titelbild: Christopher Glanzl

Autor

  • Daniela Brodesser

    Daniela Brodesser macht als Autorin den Teufelskreis der Armut sichtbar und engagiert sich persönlich gegen armutsbedingte Ausgrenzung und Verzweiflung.

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