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Die haben nichts anderes verdient!

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Die haben nichts anderes verdient!

Immer noch wird viel zu oft mit dem Finger auf Arme gezeigt. Diese seien ja „selbst schuld“ und hätten nichts Besseres verdient. Daniela Brodesser schildert, wie sich diese Worte einbrennen und wie falsch sie sind.

Vor fünf Jahren waren Themen wie soziale Ungleichheit, fehlende Bildungschancen oder gar Armut nur selten medial vertreten. Das ändert sich. Einerseits weil immer mehr Betroffene laut werden und über ihr Leben reden, andererseits weil angesichts der wirtschaftlichen Entwicklung der finanzielle Kampf immer weiter in die Mitte unserer Gesellschaft eindringt. Auch wenn nach wie vor viele aus eigenen Interessen versuchen, Armut als etwas rein Selbstverschuldetes darzustellen und fehlende Eigenverantwortlichkeit zu betonen, so kommt doch langsam bei immer mehr Menschen die Realität an: Armut ist strukturell bedingt.

Wir sind besser. Oder?

Doch etwas bleibt bis heute: wir lesen und hören fast nur von jenen Betroffenen, die “makellos” sind. Jene, die sich abrackern, die Job und Familie vereinbaren versuchen, die pflegen, die Ausbildungen machen, die oftmals durch Erkrankungen daran scheitern, sich aus der Armut zu befreien. Wir lesen jedoch nie von den Schicksalen, die am Leben zerbrochen sind. Weil es keine schönen Geschichten sind, keine, die Mitleid hervorrufen. Weil sie oft mit Depressionen oder Suchterkrankungen zu tun haben oder damit, von Kindheit an keine gute Begleitung erhalten zu haben und auf die schiefe Bahn geraten zu sein.

Und so kommt es zu oft vor, dass selbst unter Armutsbetroffenen noch unterschieden wird. “Ich bin besser, ich bemühe mich, kann super mit Geld umgehen, leiste mir absolut nix, rauche nicht, trinke nicht, mach sogar mein Brot selbst, hab keinerlei Makel. Aber die, die sind doch wirklich selbst schuld. Sollen sich halt zusammenreißen, niemand muss süchtig werden. Und wer Depressionen hat soll halt spazieren gehen”. Ist das so einfach? Oder brauchen selbst wir hier unten hin und wieder jemanden, auf den oder die wir herunterblicken können, um uns selbst zu erhöhen? Ja. Leider. So funktionieren wir Menschen nun mal. Und auch wenn es mich zeitweise zutiefst empört, so muss man das hinnehmen.

Wer hat Armut verdient?

Für mich gibt es keine Menschen, die es verdient hätten, weit unter der Armutsgrenze ihr Dasein zu fristen. Warum? Weil es sich niemand aussucht, krank zu sein oder süchtig, niemand strengt eine kriminelle Karriere an. Es sind Schicksale von Menschen, die kein gutes Zuhause hatten, die von Kind auf die nicht schönen Seiten des Lebens erleben mussten. Die oft niemanden hatten, der sie an der Hand genommen und andere Wege aufgezeigt hat. Schicksale, die durch Traumata, Vernachlässigung, Wegsehen oder einfach durch vergessen werden ausgelöst sind.

Viele von ihnen versuchen, den Weg raus zu finden und scheitern oft an Hürden, die für uns keine sind. Kleinste Dinge, die sie zurückwerfen. Sei es, weil sie einen Termin versäumen, was wirklich allen von uns schon mal passiert ist. Was aber in ihrem Fall eine sofortige Sperre von Unterstützungsleistungen mit sich bringen kann. Die meisten von uns würden jetzt denken: ok, gut, kann passieren. Ein Anruf, erklären, neuen Termin ausmachen. Nur leider ist es nicht so einfach. Man erlebt bei solchen Telefonaten sehr schnell Abwertungen, Schuldzuweisungen. Und ruft dann oft gar nicht mehr an.

Schneller als man glaubt versuchen diese Menschen man gar nicht mehr, ihre Ansprüche durchzusetzen. Warum? Weil sie die Abwertungen kennen und sehr oft auf sich selbst übertragen. Sie sind selbst schuld. Sie haben Fehler gemacht. Genau das wird immer und immer wieder vermittelt. Leider.

Wir könnten einfach mal beginnen, bei Armut nicht nur über jene zu berichten, die “herzeigbar” sind. Sondern auch und vor allem mit jenen versuchen, an Lösungen zu arbeiten, die sich selbst als “selber Schuld-Fälle” sehen, weil sie vermeintliche Fehler begangen haben. Vermeintlich. Denn Sucht ist eine Erkrankung, Angstzustände, Depressionen ebenso. Doch schieben wir diese Betroffenen leider noch immer in die Ecke jener, die “aber wirklich nichts tun wollen” ohne uns zu fragen, was helfen würde. Was es bräuchte.

Denn: kein Mensch sucht sich so eine Geschichte aus, kein Mensch zieht es vor, würdelos leben zu müssen. Aber jeder Mensch hat eine Geschichte und jeder Mensch macht Fehler. Die Auswirkungen sind jedoch bei denen zigfach schlimmer, die finanziell bereits am Boden liegen.

Titelbild: Christopher Glanzl

Autor

  • Daniela Brodesser

    Daniela Brodesser macht als Autorin den Teufelskreis der Armut sichtbar und engagiert sich persönlich gegen armutsbedingte Ausgrenzung und Verzweiflung.

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