ZackZack traf den italienischen Antimafia-Ermittler Paolo Storoni in Rom – ein Gespräch über dürftige Zusammenarbeit mit österreichischen Behörden und heimische Pizzerien als Mafia-Stützpunkte.
Fährt man in Rom die periphere Straße „Torre di Mezzavia“ entlang, sieht man links bald ein riesiges, umzäuntes Konstrukt. Am Anfang der Straße noch Schlaglöcher und alter Asphalt, trifft man hier auf jüngste Sicherheitstechnik und glänzendes Metall. Das Gebäude ist der Hauptsitz der „Direzione Investigativa Antimafia“, kurz DIA – die Antimafia-Behörde Italiens. Ich bin hier mit Oberst Paolo Storoni verabredet, um mehr über die Ableger der italienischen Mafia in Österreich zu erfahren. Oberst Storoni ist Chef der dritten Abteilung der DIA. Diese beschäftigt sich mit den internationalen Beziehungen und Ermittlungen gegen organisiertes Verbrechen.
Wie kommt es zu diesem Gespräch?
Vor einiger Zeit habe ich eine Anfrage an das österreichische Bundeskriminalamt gestellt, um Informationen zur ‘Ndrangheta in Österreich zu erhalten. Die Antwort: „Das Bundeskriminalamt – insbesondere das Büro 3.1 – arbeitet sehr eng mit unterschiedlichen Organisationseinheiten der italienischen Polizei- und Strafverfolgungsbehörden im Bereich der Internationalen Organisierten Kriminalität zusammen und stehen in regelmäßigen Austausch zueinander.” Viel mehr Informationen gab es in der politisch schön verpackten E-Mail nicht. Also versuchte ich, auf andere Weise zu erfahren, wie es um die italienische Mafia in Österreich steht und ob die Zusammenarbeit zwischen den zwei Polizeieinheiten funktioniert.
Das Gespräch mit dem Anti-Mafia-Oberst
Auf dem Weg in Storonis Büro erzählt mir der sportlich gebaute Mann vom schlimmen Verkehr in Rom, von der Gegend, in der wir uns befinden. In seinem Büro angekommen, trinken wir einen Kaffee und schon geht das Interview los.
Was sucht die italienische Mafia in Österreich, frage ich ihn. Er erklärt mir, die italienische Mafia sei in Österreich durch Unternehmen präsent, die unauffällig und korrekt arbeiten und so den Kontakt mit der Polizei vermeiden. Hinter dieser Fassade steht illegitim erwirtschaftetes Geld, das durch die Unternehmen gewaschen wird. In Österreich gibt es aber nicht nur organisiertes Verbrechen aus Italien.
Gerade wegen seiner Lage ist es von zentraler Bedeutung für die verschiedenen „Balkan-Mafias“, also die albanische und die serbische Mafia. Ich frage Storoni, inwiefern die verschiedenen Mafia-Organisationen zusammenarbeiten: „Meistens bilden sich Rangfolgen. Die Spitzenpositionen für strategische Aspekte sind dabei oft von der italienischen Mafia besetzt“, so der Oberst. Weiters gebe es lokal die Präsenz ethnischer Mafias, wie die albanische oder die nigerianische Mafia. All diese Gruppierungen spielen eine wichtige Rolle bei den verschiedenen kriminellen Ereignissen in Europa und Österreich. „Dabei verhalten sich diese Organisationen oft so, wie es die italienische Mafia vor 30 Jahren getan hat. Während die ‘Ndrangheta seine Ärmel heute weiß hält, neigt die albanische Mafia noch häufiger zu Gewalt“, sagt Storoni. Gerade die albanische Mafia habe sich in den letzten Jahren zur zweitstärksten Gruppierung in Europa entwickelt: „Das ist unser aller Verschulden, wir haben ihr zu wenig Bedeutung beigemessen.“
Österreich und die Mafia
Ich möchte in Erfahrung zu bringen, wie stark die ‘Ndrangheta seiner Meinung nach in Österreich vertreten ist: „Österreich erscheint uns nicht als eine Mafia-Hochburg. Da gibt es andere Länder im Umkreis, die wirtschaftlich und strategisch interessanter sind. Aber wenn man beobachtet, wie stark die Mafia in den anliegenden Gebieten wie Norditalien, Deutschland und der Schweiz vertreten ist, kann man davon ausgehen, dass auch Österreich stärker befallen ist, als man glaubt.“ Für genaue Zahlen sei die österreichische Polizei zuständig – eine Anfrage bei dieser war erfolglos: „Über laufende Ermittlungen können keine Aussagen getätigt werden“, heißt es im Schreiben, das ZackZack vorliegt. Laut Storoni habe Österreich durchaus was zu bieten: „In Österreich ist noch viel Bargeld im Umlauf und die zentrale Lage zwischen den Süd-Nord- und Ost-West-Routen geben dem Land einen strategischen Wert.“ Österreich also vielleicht weniger interessant als seine Nachbarn, aber sicher nicht frei von der Mafia.
Pizzerien als Stützpunkte der Mafia
Als nächstes befrage ich ihn zum Gerücht, Pizzerien außerhalb Italiens seien Stützpunkte der Mafia. „In der Tat!“, bestätigt mir Storoni: „Das ist durchaus so. Die Gastronomie eignet sich hervorragend zur Geldwäsche und Reinvestition. Nicht jede Pizzeria ist ein Unternehmen der Mafia, aber mehr als man meint.“ Andere Bereiche, in denen die Mafia gerne ihr Geld investiert, seien Logistik und Abfallentsorgung. Kritisch seien auch moderne Bereiche wie Online-Wetten oder Krypto-Währungen: „Diese sind teils noch unreguliert und bieten viele Schlupflöcher, welche die wirtschaftlich agilen Berater der Mafia schnell ausnutzen.“ Wichtiger Markt sei auch das „Banksystem Mafia“: Wenn ein Unternehmen im grauen Bereich Geld braucht, lohnt es sich eher, sich dieses von der Mafia zu borgen: Sie gibt ihm bessere Prozente und fordert weniger Bürokratie.
„Zu wenig“ Zusammenarbeit mit Österreichs Polizei
Ich erzähle Storoni von meiner „Unterhaltung“ mit der österreichischen Polizei. Bei der Aussage, die österreichische und die italienische Polizei arbeiten gut zusammen, horcht er auf: „Bevor die österreichische Polizei mit uns kommuniziert, muss immer etwas Großes passiert sein. In wichtigen Situationen werden die Kontaktmöglichkeiten genutzt, abgesehen davon kommen aus Österreich keine Anfragen zu potenziellen Mitgliedern der Mafia. Das ist zu wenig.“ Dabei helfe die italienische Polizei gerne: „Unser System gegen die Mafia dient vielen Länder als Vorbild, einfach weil wir 30 Jahre mehr Erfahrung haben.“
Allgemein sollten italienische Unternehmen stärker kontrolliert werden, so Storoni: „Ich sage damit nicht, alle Unternehmen aus Italien seien in Kontakt mit der Mafia. Aber wenn jemand aus einer kritischen Region kommt, sollte man sich das anschauen, auch wenn er noch so brav und unscheinbar wirkt.“ Es verletze keinen Stolz, bei eigenen Fällen die DIA zu kontaktieren, im Gegenteil: „Wenn uns Österreich mitteilt, eine Interessensperson hält sich in Österreich auf, hilft uns das auch weiter. Wir wollen wissen, wo unsere Mafiosi ihr Geld waschen.“
Die Mafia von heute
Allgemein erklärt mir Storoni: „Wenn wir von der italienischen Mafia im Ausland sprechen, reden wir über vier große Organisationen. Stärkste Kraft ist die ‘Ndrangheta aus Kalabrien, relevant sind die Cosa Nostra aus Sizilien, die Camorra aus Kampanien und eventuell die Sacra Corona Unita aus Apulien. In gewissen Teilen der Welt produzieren sie riesige Geldmengen durch illegitime Methoden wie den Schmuggel und Verkauf von Drogen. Ein Teil dieses Geldes wird in die legitime Wirtschaft anderer Länder eingespeist“, erklärt er. Ich merke, wie das Thema in ihm kocht: „Der Mafioso von früher, der mit Gewalt über sein Gebiet herrscht und bei Nichteinhalten seiner Gesetze Leute verletzt und Fensterläden abbrennt, gehört der Vergangenheit an. Die Mafia hat sich den letzten Jahren komplett verändert, das registrieren wir in Italien und außerhalb. Der richtige Mafioso ist heute ein Ökonom und bedient sich der gleichen Mechanismen, die ein Unternehmer verwendet“, sagt er.
Da sich mafiöse Unternehmen im Ausland an die Gesetze halten und unauffällig bleiben, gibt es seitens der Behörden nur wenig Gegenwehr: „Man muss das alte Bild der Mafia verwerfen und verstehen, dass mafiöse Unternehmen auch ohne Gewalt einen großen Schaden anrichten. Im Gegensatz zu den ehrlichen Unternehmen hat ein Verkäufer der Mafia unendlich große Summen zur Verfügung, mit denen er sein Geschäft aufbauen kann. Er muss sich keinen teuren Kredit bei der Bank nehmen – er startet mit einem großen illegitimen Vorteil und kann seine Waren billiger verkaufen. Andere Unternehmen können mit den Preisen nicht mithalten und gehen Konkurs, das nennt man unlauteren Wettbewerb.“
Ein Aufruf an das Bundeskriminalamt
Wie viele Unternehmen hat auch die Mafia aus der Globalisierung große Erfolge erzielen können: „Der Mafioso heute reist in einer Woche durch halb Europa und führt seine kriminellen Aktivitäten international durch.“ Für die Polizei sei es schwierig, sich mit all diesen Ländern in Verbindung zu setzen: „Umso wichtiger wird die Zusammenarbeit zwischen den Polizeieinheiten und der Datenaustausch mit der Europol. Die Mafia darf nicht mehr nur als lokales Einzelphänomen behandelt werden, sondern als Makrophänomen. Sonst hat man keine Chance, diesen Kampf langfristig zu gewinnen. Es darf nicht sein, dass die Polizei den Kontakt mit den Amtskollegen der Nachbarländer auf ein Minimum reduziert, während der Mafioso das grenzenlose Europa voll ausnützt.“ Das Bundeskriminalamt solle also stärker mit der DIA zusammenarbeiten, wünscht sich Storoni.
Der Kampf geht weiter
Vier Stunden später stehe ich wieder vor dem Metallgatter der DIA. Paolo Storoni hat sich viel Zeit für einen jungen Journalisten wie mich genommen. Ich blicke noch einmal auf das Hauptgebäude der DIA, in dem etwa 1500 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, zusammengesetzt aus der Staatspolizei, den Carabinieri und der Finanzpolizei, den Kampf gegen die Mafia fortführen. Die Mafia hat sich verändert. Um ihrem kriminellen Potenzial Einhalt zu gebieten, bedarf es besserer internationaler Zusammenarbeit. Auch und vor allem in Österreich.