Sonntag, Juli 20, 2025

Quod licet Bibi

Zum wiederholten Mal in der Geschichte forcieren die USA und ihre Verbündeten einen gewaltsamen Regime-Wechsel im Iran. Den jüngsten Angriff und die euphemistische Kriegsrhetorik von »Notwehr« und einem »Präventivschlag« toleriert der Westen weitgehend. Demokratie ist nicht das Ziel.

Gibt es eine Strategie der USA, was den Krieg gegen den Iran betrifft? Hat Donald Trump Einfluss auf Benjamin Netanjahu? Laut Patrick Wintour von The Guardian nehmen zumindest die westeuropäischen Staaten das noch an:

Die europäischen Staats- und Regierungschefs, die zu einem G7-Gipfel mit Donald Trump in den kanadischen Rocky Mountains zusammenkommen, wollen den ersten Tag damit verbringen, Trump aufzufordern, seine Zuversicht zu rechtfertigen, dass Israel und der Iran ein Abkommen schließen werden, das „baldigen Frieden“ bedeutet.

Während sich die militärischen Auseinandersetzungen verschärfen und die Zahl der Todesopfer auf beiden Seiten steigt, beabsichtigen die europäischen Staats- und Regierungschefs, den US-Präsidenten zu seiner gesamten Iran-Strategie in die Zange zu nehmen. Dazu gehört auch eine definitive Antwort auf die Frage, ob er seinen Einfluss auf Israels Premierminister Benjamin Netanjahu nutzen wird, um einen Waffenstillstand auszurufen, oder ob er dem Krieg stattdessen seinen Lauf lässt.

Ein Rückblick auf die Geschichte zeigt: Die Strategie der USA war stets imperialistischer und kolonialer Natur. Es ging um Öl. Die Demokratie war dabei stets ihr Feindbild.

USA und Großbritannien reinstallierten die Monarchie im Iran

1953 genehmigten Premierminister Winston Churchill (Inhaber von zwei Nobelpreisen, die ihm sofort entzogen werden sollten) und US-Präsident Dwight D. Eisenhower eine Operation von CIA und MI6 unter dem Namen Operation Ajax. Ziel: Sturz der demokratischen Regierung des Iran und Reinstallierung der Monarchie. Churchill, der sein berühmtestes Zitat mit den Worten »Die Demokratie ist eine schlechte Staatsform …« begonnen hat, hätte besser nicht weitergeredet. Denn die Demokratie war ihm und Eisenhower egal. Wichtig war ihnen das Erdöl, das die Regierung Mossadeq im Iran (eine säkulare Regierung unter der Verschleierungsverbot und Laizismus galt), verstaatlichen wollte.

In den USA gibt es weder ein Sensorium dafür noch überhaupt eine Erinnerung daran. In einem hetzerischen Artikel schreibt Bret Stephens in der New York Times:

Ich schreibe hier in den ersten Stunden eines Konflikts, der sicherlich noch viele Überraschungen bereithält. Es ist viel zu früh, um zu sagen, wie er enden wird. Aber für diejenigen, die sich um eine Zukunft sorgen, in der eines der schrecklichsten Regime der Welt die internationale Unentschlossenheit ausnutzt, um in den Besitz der gefährlichsten Waffen zu gelangen, ist Israels Schlag ein Beweis für Klarheit und Mut, für den wir vielleicht eines Tages alle dankbar sein werden.

Dankbarkeit für den Krieg?

Dankbarkeit für den Krieg ist eine neue historische Dimension. Die Geschichte wiederholt sich. Hat man 1953 den Boden für jene Radikalisierung und das Erstarken des schiitischen Fundamentalismus geschaffen, der 1979 reale Gewalt im Iran wurde, so schafft man auch heute mit dem »gerechten« und vom Westen abgenickten Krieg nur eines: Man bereitet den Boden für eine kommende Generation von Fanatikern und Terroristen, die Frieden nie kannten.

In den 1980ern rüstete der Westen den irakischen Diktator Saddam Hussein hoch und bewaffnete ihn bis an die Zähne, um einen Krieg gegen den Iran zu führen. Dieser Krieg dauerte von 1980 bis 1988 und forderte geschätzt eine halbe Million Todesopfer. Für nichts. Nicht ganz. Für gute Waffengeschäfte des Westens und die Sicherung wichtiger Ölquellen. Damals wie heute war der Iran alleine. Auch heute treffen die Folgen des Kriegs nicht das iranischen Regime, sondern die iranische Bevölkerung, die seit siebzig Jahren keine Selbstbestimmung kennt. Man lässt sie allein. William Christou, Shah Meer Baloch und Deepa Parent in The Guardian:

“Der Iran ist allein – im Gegensatz zu Israel hat er nicht den Rückhalt einer Supermacht. Aber das Problem ist, dass der Iran dies als eine existenzielle Gefahr ansieht. Ich glaube nicht, dass sie irgendwelche Auswege sehen”, sagte Ali Vaez, der Leiter des Iran-Projekts der International Crisis Group.

Der US-Außenminister Marco Rubio hat erklärt, dass die USA Israel in einer militärischen Konfrontation mit dem Iran unterstützen werden, und die USA haben den Iran gewarnt, dass es „schreckliche Konsequenzen“ haben würde, wenn er oder einer seiner Stellvertreter US-Bürger oder Stützpunkte in der Region angreifen würde.

Demokratie ist nicht das Ziel

Doch auch wenn es gelingt, das Regime und seine Atom-Politik auszuschalten, wird es keinen Machtwechsel im Sinne einer Demokratisierung des Iran geben. Und es wäre naiv zu glauben, dass Israel und die USA an einer Demokratie im Iran interessiert sind. Das Gegenteil ist der Fall. Netanjahu hat die Hamas immer der Fatah vorgezogen. Denn die Radikalen auf der Gegenseite rechtfertigen seinen Radikalismus. So ist es auch mit dem Iran. Demokratie ist nicht das Ziel dieses Krieges! Wieder einmal nicht. Daniela Sepheri bringt es in der TAZ auf den Punkt:

Wer diesen Krieg nun mit der Hoffnung auf einen Regime-Change von außen feiert, hat aus den vergangenen Jahrzehnten nichts gelernt. Kriege gewinnen keine Revolutionen, sie stabilisieren Diktaturen. Welches Land im Nahen Osten wurde durch militärische Interventionen von außen demokratisch? Richtig, kein einziges.

Einen Wandel von innen zu unterstützen, hat der Westen versäumt. Europa hätte die Revolutionsgarde auf die Terrorliste setzen, politischen und wirtschaftlichen Druck gezielt gegen die Eliten richten können. Stattdessen wurde verhandelt, hofiert, geschwiegen, während die Menschen protestierten, dafür festgenommen und hingerichtet wurden. Die Menschen, die seit 46 Jahren am konsequentesten gegen das Regime kämpfen, wurden und werden weiterhin ignoriert.

Hier steht sie – die bittere Wahrheit: Einen Wandel von innen zu unterstützen, hat der Westen versäumt. Doch ist das nicht eine Erkenntnis der letzte Tage. Nein, es trifft seit über siebzig Jahren zu. Und ein Ende ist nicht abzusehen.


Autor

  • Daniel Wisser

    Daniel Wisser ist preisgekrönter Autor von Romanen und Kurzgeschichten. Scharf und genau beschreibt er, wie ein Land das Gleichgewicht verliert.

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