Das Niveau und die Vehemenz, mit der sich Medien mit allen Mitteln auf den Angriff auf die Sozialdemokratie einlassen, macht sprachlos. Gemeint ist nicht der Boulevard, sondern vor allem eine linksliberale Wiener Stadtzeitung.
Es tut sich viel in Österreich, auf sachlicher Ebene. Ministerinnen und Minister machen ihre Arbeit und berichten davon. Endlich sitzen wieder Menschen in den Nachrichtensendungen, die nicht ihre eintrainierten Propaganda-Statements repetieren, sondern Fragen beantworten und Sachverhalte vermitteln. Nicht alles, was die Regierung tut, gefällt mir, und vieles geht mir nicht weit genug. Aber nach vielen Jahren der Destruktion ist doch wieder spürbar, dass auf konstruktive Art und Weise Politik gemacht wird.
Die Ruhe und Unaufgeregtheit politischer Arbeit hat in unserer Gesellschaft einen unversöhnlichen Feind: die Medien. Für sie sind Sachlichkeit und Besonnenheit ein Grundübel, das es Tag für Tag zu bekämpfen gilt. Denn: Man sucht – dem kapitalistischen Irrglauben an ständiges Wachstum verfallen – heute die noch größere Sensation als gestern. Man will sie in so wenigen Worten wie möglich unter die Menschen bringen. In diesem Wettrennen heiligt logischerweise der Zweck die Mittel. Mit einem Wort: Ethik ist hinderlich.
Journalisten im Wahlkampf
Es sind nun schon fast vier Jahrzehnte vergangen, seit Jörg Haider zum Obmann der FPÖ gewählt wurde und als vermarktbares Faktotum der Medien schnell eine Position erreichte, in der kein Medium, welcher politischen Prägung auch immer, auf die Aufmerksamkeit, die mit ihm zu erzielen war, verzichten wollte.
Haider kam nicht aus dem Nichts und hatte sich zuvor schon hervorgetan, etwa als Kommentator der sogenannten Reeder-Affäre des damaligen Verteidigungsministers Frischenschlager. Schon die damaligen Kommentare Haider enthielten Revisionistisches, Kriegsverbrechen aus der NS-Zeit Verharmlosendes. Wasser auf seine Mühlen war aber der Präsidentschaftswahlkampf 1986, in dem mit der Unterstützung Kurt Waldheims durch die Neue Kronen Zeitung, die der Kommunikationswissenschaftler Holger Rust 1991 in seinem Aufsatz Journalisten im Wahlkampf genau analysiert und festgestellt hat, die Weichen für eine politische Wende gestellt werden und eine neue Form des Umgangs mit der politischen Vergangenheit Österreichs eingeführt und salonfähig gemacht werden sollten.
Stockholm-Medien
Aber es waren nicht nur die Boulevardmedien, die Haider groß aufmachten, weil er ihnen Aufmerksamkeit brachte, sondern auch Medien, die ihm kritisch gegenüberstanden oder das zumindest so behaupten wollten. Mit dieser Idolisierung geht ein Phänomen einher, das quantitativ eine viel größere Rolle spielt: Es ist die schleichende Abwertung von Haiders politischen Gegnern, damals einer großen Koalition aus SPÖ und ÖVP, die 1986 noch mehr als 84 %, 1995 über 66 %, 2013 knapp über 50 % und 2024 47 % (damit aber eine Mehrheit von einem Mandat im Nationalrat) erreichte.
Auch diese Abwertung ist nicht allein Metier der Yellow-Press oder des Boulevards. Nein, wir müssen leider feststellen, dass nicht nur die Politik einen Rechtsruck durchmacht, sondern auch die Medien. Interessanterweise hat hier die parteipolitische Intervention vor allem nach Übernahme der ÖVP durch Sebastian Kurz (mit einem wohl an Viktor Orbáns Vorbild orientierten Aktivismus) einen Stockholm-Syndrom-ähnlichen Reflex ausgelöst; will sagen, dass just die Opfer dieser Intervention zu dem sie Bedrohenden ein positives emotionales Verhältnis aufbauen.
Setze die Reihe fort
Beispiele dafür gibt es viele. Sie sind besonders deshalb so schmerzhaft, weil meine Generation (Ich bin Jahrgang 1971) und meine Folgegeneration mit den liberalen Medien Der Standard, FALTER und profil aufgewachsen sind und deren historische Errungenschaften in der österreichischen Presse nicht vergessen können und missen wollen.
Umso ratloser machen mich die Vorgänge der vergangenen Woche und Tage. Das bereits automatisierte Schlechtmachen der Sozialdemokratie in den österreichischen Medien ist schon so ein Topos geworden, dass selbst die Abschaffung von Topos ihr nichts anhaben kann. Es begann mit Christian Kern. Er war der eloquenteste österreichische Politiker seit Vranitzky, aber man hielt ihm vor, selbstverliebt und nicht anständig zu sein. Ihm folgte in der SPÖ Pamela Rendi-Wagner, die unfraglich anständigste Parteichefin seit vielen Jahren. Sie war den Medien zu wenig authentisch. Es folgte mit Andreas Babler der authentischste Sozialdemokrat seit Jahrzehnten. Die Medien befinden also: Er ist nicht eloquent genug. Setze die Reihe fort.
Ausgezeichnet
Fazit: Was auch immer die SPÖ tut, es wird FALSCH sein. Dieses FALSCH brüllen und brüllzen (um Ernst Jandl zu zitieren) aber nicht nur die Boulevardmedien, sondern auf viel widerlichere Weise Medien, die offensichtlich mit Blick auf Quote Ethik und Wahrheitsbezug aufgeben.
Das jüngste Andreas-Babler-Bashing – wohl von der Neuen Kronen Zeitung und der ZIB2 losgetreten – kulminiert in einer Wochenzeitung, die mein halbes Leben geprägt hat: dem FALTER. Dort wird Andreas Babler, wegen der Ausgabe einer Summe von 6.000 EUR, als DOLM DER WOCHE ausgezeichnet und damit auf eine Stufe mit dem sogenannten „Wutwirt“ von Millstatt gestellt, der diese Auszeichnung auch erhielt, weil er keine Araber bedienen will und ein „Arier-Menü“ anbietet.
Aufmüpfig und ehrlich
Vergessen sind die verschleuderten Milliarden von Kurz und Nehammer, die uns heute in ein Defizitverfahren drängen und zu einem Sparkurs zwingen. Nein, die Kurz-Adlaten wie Frau Plakolm schaffen es sogar mit Menschenrechts- und Verfassungsfeindlichkeit auf das Cover dieses Blattes. Dort könnte man auch Sinnvolles zeigen.
Das Sozialdemokraten-Bashing des FALTER geht schon vielen auf die Nerven. Ich habe viele viele Diskussionen in Sektionen und Lesekreisen hinter mir, die immer wieder auf dieses Thema zurückkommen. Ich bin es müde, das ewig Gleiche festzustellen, müde, das historische Beispiel der USA zu zitieren, wo Sinclair Lewis auf literarische und Walter Lippmann auf journalistische Weise das Zertrampeln von Sozialismus, Gewerkschaften und Sozialdemokratie beobachtet und beschrieben haben. Aber niemand sollte müde werden, sondern im Gegenteil aufmüpfig und ehrlich.
Don’t get fooled
Ich liebe den FALTER, seine Kulturberichterstattung, sein einzigartiges Veranstaltungsprogramm und lese gerne die Artikel von vielen Kolumnistinnen. Aber ich muss auch in aller Deutlichkeit sagen: Das Niveau und die Vehemenz, mit der man sich innenpolitisch auf den Angriff auf die Sozialdemokratie mit allen Mitteln einlässt, macht sprachlos.
Ich kann nur daraus schließen, dass man sich auch dort eine Rechtsregierung aus FPÖ und einem wieder erstarkten rechten Flügel der ÖVP (mit oder ohne Sebastian Kurz) wünscht und dass man sich davon höhere Verkaufszahlen erwartet. Andere Gründe, warum man derartige Kampagnen betreibt, fallen mir nicht ein. Wir haben aber die Kurz-Zeit schon einmal hinter uns gebracht. Und mit einem Songtitel der Band The Who möchte ich dazu abschließend nur sagen: Don’t get fooled again!
Titelbild: Miriam Moné