Sonntag, Juli 20, 2025

Gutheißung von Kriegsverbrechen

Die Rhetorik der Reaktion: Erbschaftssteuer böse, Kriegsverbrechen gut, Klimakatastrophe gibt es keine.

400 Superreiche besitzen 37 Prozent des gesamten Finanzvermögens in Österreich. Jeder von ihnen über 100 Millionen Dollar. Das ist bestimmt diese fleißige Mittelschicht, die FPÖ und ÖVP vor Vermögens- oder Erbschaftssteuern schützen wollen. Derweil darf die ganze Breite der Gesellschaft zur Budgetkonsolidierung beitragen, indem sie die letzten Groschen aus dem Portemonnaie zusammenkratzt, paar Euro höhere Sozialversicherung für die Pensionisten, gestrichener Klimabonus, Familienleistungen, die nicht mehr an die Inflation angepasst werden, und Streichkonzert in den Ministerien. Aber bei den ganz Reichen, da darf überhaupt nichts weggenommen werden, das wäre ja leistungsfeindlich, hören wir von Tag zu Jahr.

Es ist zentral in der Rhetorik der Reaktion, dass eine Maßnahme, die von allen als durchaus gerecht angesehen würde – ein geringfügiger Beitrag der Vermögenden – als kontraproduktiv hingestellt wird. Das ist ja ein gängiges Muster: dass nicht einfach gesagt wird „wir wollen nicht zahlen, das sollen die Hungerleider tun, weil uns einfach unsere Kontostände wichtig sind“, sondern dass auf irgendeine Weise versucht wird, die Egozentrik zu objektivieren. Etwa: Höhere Löhne wären zwar gerecht, würden aber die Arbeitskosten erhöhen und damit Arbeitsplätze kosten, weshalb die gute Absicht in üble Folgen verkehrt würde. Oder eben: der Versuch, die Superreichen an der Finanzierung des Staatswesens zu beteiligen, würde ohnehin nicht funktionieren, da sie ihr Vermögen in Steueroasen in Sicherheit bringen würden (die sogenannte „Vergeblichkeitsthese“), oder sie würden zu einer Reduzierung der Investitionstätigkeit führen und damit auch den arbeitenden Menschen Wohlstand kosten (die „Sinnverkehrungsthese“). Mit der Realität hat das alles wenig zu tun.

Wer hat, dem wird gegeben

Man kann es auch umdrehen: In den vergangenen Jahren wurden die Körperschaftssteuer für Unternehmen reduziert, was Milliarden gekostet hat, es wurde die kalte Progression abgeschafft, wovon die eher wohlsituierteren Arbeitnehmer profitiert haben, es wurden Lohnnebenkosten, also die Beiträge für die Sozialstaatsfinanzierung reduziert und so weiter. In der Logik der „Rhetorik der Reaktion“ müssten dafür ja die Investitionsbedingungen verbessert worden sein. Die Wirtschaft müsste, entfesselt von fiesen Kosten, ja wummen und brummen. Merken Sie etwas davon? Nein, eher nicht. Das Ergebnis ist Stagnation und jetzt ein Defizit der öffentlichen Haushalte, das dazu zwingt, mit Konsolidierungsmaßnahmen die Konjunktur noch einmal zu dämpfen.

Die Phantasielogik der Reaktionäre funktioniert eben nicht.

Thomas Piketty hat in seiner berühmten voluminösen Studie „Kapital im 21. Jahrhundert“ vor einigen Jahren vor allem eines nachgewiesen: Dass in Phasen relativer Normalität – wenn es keine Kriege oder Revolutionen gibt – eine Formel gilt: R > G.

Klingt mathematisch, ist aber ganz einfach: Die Rendite aus Investments ist stets höher als das Wirtschaftswachstum, vor allem für die großen Kapitalgruppen. Wenn das Wirtschaftswachstum drei Prozent beträgt, schaffen sie eine Rendite von sieben Prozent, wenn das Wachstum vier Prozent beträgt, schaffen sie zehn Prozent und so weiter. Das ist aber eine ebenso simple wie dramatische Erkenntnis, weil sie bedeutet: die Reichen werden immer reicher und irgendwann entwickeln sie sich logischerweise zu einer Oligarchie wirtschaftlich Mächtiger, die sich alles kaufen können, sogar die Politik. Da geht dann auch nach gewisser Zeit die Demokratie den Bach runter. Was der Wirtschaftswissenschaftler bewies, würde der Volksmund so beschreiben: Wer hat, dem wird gegeben. Der Teufel scheißt immer auf den größten Haufen.

An der Klimakatastrophe sterben die Armen

Den normalen Leuten geht das Geld aus, den Staaten fehlt es an allen Ecken und Enden, aber die Superreichen wissen nicht einmal mehr wohin mit der Marie.

Es fehlt auch Geld für die ökosoziale Transformation. Dabei sehen wir gerade jetzt wieder, wie nötig die ist. In dieser Woche sind für viele Teile Europas schon Rekordtemperaturen von 40 Grad prognostiziert. Über 46 Grad in Spanien, selbst an der Spitze des Montblanc hat es schon Plusgrade. Dennoch wird uns mit einer Reihe von Argumenten erklärt, jede Maßnahme gegen die Katastrophe sei übel. Erstens wird die Katastrophe als solche geleugnet („Ist ja Sommer. Wie herrlich, das Badewetter“). Zweitens wird erklärt, Maßnahmen gegen die Katastrophe würden die Wirtschaft belasten, was gerade jetzt ganz fatal wäre und überdies dann eben dazu führen würde, dass das Geld für die Zukunftsinvestitionen fehlen würde, das man eigentlich mobilisieren wollte. Und drittens wird so getan, als wäre die Sorge um die Klimakatastrophe eine Fantasie gelangweilter Bobos und Wohlstandsbürger, die aus Fadesse vor irgend etwas Angst haben müssten. Für die echten Armen dagegen seien ein paar Euro im Geldbörsel wichtiger als ein paar Grad mehr in der engen Gemeindewohnung.

Aber das ist natürlich ein riesengroßer Quatsch. In dicht besiedelten innerstädtischen Vierteln, wo der Boden weitgehend versiegelt ist, die Wohnungen klein sind, vor der Tür vielleicht auch noch vierspurige Durchzugsstraßen verlaufen, werden diese Temperaturen auf die Dauer kaum überlebbar sein. Also überall dort, wo die arbeitenden Klassen leben, die sich nicht ein rettendes Häuschen im Grünen oder eine Villa in der Vorstadt oder im Speckgürtel in Waldnähe leisten können. Die Klimakatastrophe ist, wie die meisten Katastrophen, auch eine soziale Krise. Denn die einen können sich noch einigermaßen in Sicherheit bringen, die anderen können das nicht.

Bewaldet den Wiener Gürtel!

Gelassenheit predigt sich leichter von der lauschigen Terrasse mit kühler Brise aus dem Wald. Derweil sterben die Opas in den Gemeindebauten am Gürtel, wo immer noch die Autos in sechs Spuren vorbei brausen, bald wie die Fliegen. Wenn es ein paar Tage weit über 30 Grad hat und die Luft über dem Asphalt vor der Haustüre kocht.

Ich war vor rund zehn Jahren einmal in einem Stadtratbüro eingeladen und wurde gefragt, was ich denn als ambitionierte Idee vorschlagen würde, wenn ich gefragt würde. Ich habe eine Sekunde nachgedacht und dann gesagt: Am Gürtel einen Wald pflanzen, und die Individualmobilität weitgehend einschränken. Sie haben mich ein wenig angesehen wie einen Marsmenschen. Und ich weiß ja selbst, es ist nicht total realistisch, dass es geschieht. Aber ich sagte auch dazu: Wenn wir es nicht tun, wird die Gegend 2035 unbewohnbar sein. Und Wälder brauchen ja auch Zeit, bis sie wachsen.

Zur Rhetorik der Reaktion gehört heute, die sozialen Verhältnisse quasi auf den Kopf zu stellen und zu behaupten, Maßnahmen würden den Privilegierten nützen, die für die Unterprivilegierten überlebensnotwendig sind. Und ein altbekannter rhetorischer Kniff ist, zu behaupten, Maßnahmen wie die Bewaldung des Gürtels wären „radikale Vorschläge“. In Wirklichkeit ist es natürlich extrem radikal, einfach so weiter zu machen wie gewohnt – bis zum bitteren Ende. Das ist ja der eigentliche Extremismus.

Warum ist die Gutheißung von Kriegsverbrechen erlaubt?

Immer heftiger stößt mir auch auf, wenn Leute ganz offen Kriegsverbrechen der israelischen Streitkräfte und das langandauernde Massaker in Gaza rechtfertigen. Das geschieht ja meist nicht, indem gesagt wird, dass das Ermorden und Verhungernlassen von Zivilisten eine feine Sache ist, sondern dass es eine notwendige Härte sei. Genauso argumentieren übrigens die radikalen Hamas-Befürworter, die sagen, Widerstand gegen „die Besatzung“ würde nun einmal unschöne Meuchelmorde rechtfertigen, denn wo gehobelt wird, da fallen Späne. Der Unterschied ist nur: Letztere werden mit Recht aus den öffentlichen Diskursen ausgeschlossen, sie müssen sogar mit einem Verfahren wegen „Gutheißung terroristischer Straftaten“ rechnen. Die Netanjahu-Versteher dagegen werden wie selbstverständlich in TV-Studios eingeladen und einen Straftatbestand wegen „Gutheißung von Kriegsverbrechen“ gibt es nicht. Allenfalls könnte hier §282 („Aufforderung und Gutheißung von mit Strafe bedrohten Handlungen“) greifen, aber das wäre eine Art Hilfskonstruktion.

Eigentlich auch interessant, warum unser Rechtssystem die „Gutheißung terroristischer Straftaten“ kennt, aber die „Gutheißung von Kriegsverbrechen“ nicht.

Systemkritische Geister würden hier sicher eine „Klassenjustiz“ vermuten, ich glaube dagegen, dass es einen sehr viel simpleren Grund gibt: dass wir einmal die systematische Rechtfertigung ärgster Kriegsverbrechen erleben würden, hat wohl einfach niemand für möglich gehalten.


Titelbild: Miriam Moné

Autor

  • Robert Misik

    Robert Misik ist einer der schärfsten Beobachter einer Politik, die nach links schimpft und nach rechts abrutscht.

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