Sonntag, Juli 20, 2025

Keine Angst vor Technik, Angst vor Menschen

Vor dem Gebrauch von KI muss man nicht unbedingt zurückschrecken. Die Voraussetzung dafür ist aber, dass sie allen Menschen gleichermaßen dient und ihnen auch gehört.

Sie ist so unausweichlich wie zeitgemäß, so wichtig wie ermüdend: Die Debatte über KI. Regelmäßig äußern sich in Meinungsglossen, Diskussionen und Interviews Menschen zu diesem Thema. Alles Mögliche kann man da hören: Von dunklen Endzeitszenarien, die in ähnlicher Weise schon vor vielen Jahrzehnten anlässlich der Verbreitung des Fernsehens oder des Personal Computers entworfen wurden, bis hin zu einem lässigen Pragmatismus, der wohl als liberaler Standpunkt gelten soll.

Ich selbst habe keine Angst vor Technik. Ich habe Angst vor den Menschen. Werkzeuge sind Werkzeuge. Man kann sie sich nutzbar machen und sie sinnvoll einsetzen. Man kann sie aber auch benutzen, um anderen zu schaden, sie zu bedrohen, zu töten. Feilen, Messer, Fahrzeuge, Pflanzen und Medikamente können Mordwerkzeuge sein. Das ist kein Grund, sie aus unserem Leben zu verbannen.

Digitaler Revisionismus

Was heute an der Nutzung der KI falsch läuft, ist das, was auch was sozial, ökonomisch und ökologisch falsch läuft: Ressourcen sind ungleich verteilt und diese Ungleichheit wird von Tag zu Tag extremer. Damit wird verhindert, was für eine ethische Nutzung von Technologie Voraussetzung ist: Regulierung.

Schon vor fünfundzwanzig Jahren hat Peter Weibel vorausgesagt, dass das Internet irgendwann einem einzigen Menschen gehören wird. Wir sind auf dem Weg dorthin schon weit gekommen. Wenige Mächtige kontrollieren große Teile des weltweiten Netzes. KI ist nichts anderes als eine Summe von Algorithmen, die vorhandene Inhalte verwenden. Wer diese Inhalte mehrheitlich besitzt, kann somit die Grundlage für den Output von KI beeinflussen und manipulieren. Schon jetzt werden Rechtsschreibwörterbücher verändert, wenn eine falsche Schreibweise nur als häufig genug gilt. Gefakte Politiker-Biografien werden durch Macht und Geld reingewaschen und zur Wahrheit gemacht.

Ja, bald werden wenige in der Lage sein, die ganze Menschheitsgeschichte nach ihrem Willen umzuschreiben; so weit zumindest, dass die große Mehrheit der Nutzerinnen und Nutzer die falschen Grundlagen für richtige Halten werden, weil sie ihnen ja ausgegeben werden. Sie reproduzieren die Unwahrheit noch weiter und verhelfen ihr dazu, Lehrmeinung zu werden. Der Revisionismus, intrinsischer Bestandteil des autoritären Regimes, hat leichtes Spiel. Heute ist es digitaler Revisionismus. Aber die Unwahrheit ist Werk des Menschen, nicht der Maschine.

Veränderte berufliche Aufgaben

Verhindern kann man das nur, indem Staaten oder Staatenbünde Ressourcen regulieren. Dazu müssen diese Ressourcen auch inhaltlich bewertet werden. Das bedeutet, dass wie auch immer geartete und bestimmte Komitees, Jurys oder Behörden möglichst vielschichtig zusammengestellt sein müssen. Man muss ihnen Unabhängigkeit ermöglichen, aber auch sicherstellen, dass es zu keinem Missbrauch kommt. Eine KI, die auf Informationen zurückgreift, die als korrekt und wertvoll bestimmt wurde, wird damit auch weitgehend korrekte Outputs liefern.

Noch schwieriger ist die Frage, wie die Gesellschaft auf die durch KI veränderten beruflichen Aufgaben der Menschen reagiert. Seit der industriellen Revolution steuert die Zivilisation hier in die falsche Richtung. Wird menschliche Arbeit von einer Maschine erledigt, so verändert sich die Summe der gesamten Arbeit und damit einhergehend die soziale und finanzielle Situation und das Zeitmanagement der Menschen. Betriebe, die durch Automatisierung mehr Gewinne erwirtschaften und damit weniger Menschen anstellen und bezahlen wollen, sprechen sich seit über 150 Jahren gegen jede Regulierung und Verkürzung der Tages- und Wochenarbeitszeit, aber auch der Lebensarbeitszeit aus. Beim Einsatz von Maschinen sind sie sofort bereit, sich neu aufzustellen und auf der Höhe der Zeit zu sein, bei sozialer Verteilung und im Umgang mit der Beschäftigungslosigkeit und Armut, die sie durch Automatisierung erzeugen, wollen sie keine Modernisierung. Diese Bigotterie führt letztlich zu enormen sozialen Konflikten, bis hin zu Kriegen.

Imbalance in Medien und Politik

Auch hier ist es eine ethische Debatte, die geführt werden müsste. Doch die Oligarchie und die Diktatur führen keine Debatten. Bewegungen, die in der Geschichte für Regulierung und gerechte Verteilung kämpften, haben immer wieder kleine Erfolge errungen. Ihr größter ist wahrscheinlich, dass sie zu gewissen Zeiten den entfesselten Kapitalismus, der in Krieg und Menschenvernichtung endet, etwas zu bremsen im Stande waren. Doch in den letzten Jahrzehnten haben sie an Bedeutung und Macht verloren. Viel schlimmer: Sie werden heute im Kapitalismus offen delegitimiert, schlecht gemacht, beschimpft.

Längst ist man davon abgegangen, Politikerinnen und Politiker, die gerechte Umverteilung fordern, als Kommunisten hinzustellen. Heute verunglimpft man öffentlich Sozialisten, Sozialdemokraten und in vielen Ländern auch Liberale, wenn sie der Rechten im Weg sind. Die Imbalance der Medien tut das Ihre dazu: Rechte Politiker kommen in Medien viel häufiger zu Wort, es wird mehr über sie berichtet, sie sind auf größeren Fotos und öfter auf dem Cover zu sehen. Die Bewegungen der Menschlichkeit, die zurecht Regulierung und gerechte Umverteilung fordern, müssen aufhören zu glauben, dass sie in einer Gesellschaft, die den Reichtum weniger zum Ziel hat, Akzeptanz finden. Es gibt auch in den Demokratien Bewegungen und Politiker, die für keinen demokratischen Kompromiss zur Verfügung stehen. Es ist sinnlos mit ihnen zu reden.

Das Elend der Desolidarisierung

Hinzukommt das Elend der Desolidarisierung. Wer gegen ein angebliches Bargeldverbot kämpft, weil er nicht will, dass seine Bank weiß, wo er mit seiner Karte, welchen Betrag bezahlt hat, gleichzeitig aber als Inhaber einer Kundenkarte dem Geschäft, in dem er kauft, alle Informationen über seinen Konsum kostenlos zur Verfügung stellt, sieht nicht oder will nicht sehen, dass sein Handeln inkonsequent ist. Wer sich über den Verlust seines Arbeitsplatzes aufgrund von Automatisierung beklagt, selbst aber als Konsument dort kauft, wo rationalisiert wird, gräbt sich die Grube selbst, in der er fällt oder fallen wird. Solidarität ist das Stichwort. Und für diese Solidarität brauchen wir auch genügend Information über das, was wir konsumieren.

Vor dem Gebrauch von KI muss man nicht unbedingt zurückschrecken. In Logistik, Mobilität und anderen Bereichen, ist nicht einzusehen, warum man jene Informationen, die man hat, nicht nutzen soll, wenn sie dem Menschen dienen. Die Voraussetzung dafür ist aber, dass sie allen Menschen gleichermaßen dienen und ihnen auch gehören. Nur eine egalitäre Gesellschaft kann jene Kontrollmechanismen aufbauen, die für die sinnvolle und rücksichtsvolle Nutzung von Technologie Voraussetzung sind.


Autor

  • Daniel Wisser

    Daniel Wisser ist preisgekrönter Autor von Romanen und Kurzgeschichten. Scharf und genau beschreibt er, wie ein Land das Gleichgewicht verliert.

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