Sonntag, Juli 20, 2025

Handy-Verwanzung: “Ich Omar, du Quelle!”

Zwei Abgeordnete der NEOS haben bei der Abstimmung über die Handy-Verwanzung Haltung und Sachverstand gezeigt. Jenseits der ÖVP wussten viele wahrscheinlich nicht, was sie taten.

Stefanie Krisper und Nikolaus Scherak haben sich etwas Außergewöhnliches geleistet: Sie sind bei der Abstimmung über die Handy-Verwanzung ihrem Gewissen und ihrer Überzeugung gefolgt.

Ich habe das als Abgeordneter selbst einige Male erlebt. Deine Klubobfrau erklärt die „Linie“ und die „Sprachregelung“. Alle haben sich daran zu halten. Dann erklärst du, warum du der Linie nicht folgen kannst. Bei den Grünen war das alles noch Trockenschwimmen, weil man damals, in den Jahren vor 2017, noch in der Opposition Disziplin für kommende Regierungsaufgaben übte. Der Wunschpartner war schon 2016 die ÖVP. Das stand bereits beim ersten großen Testfall, dem grünen Versuch, Richard Grasl zum ORF-Chef zu machen, fest.

Sieben Grüne

In der Regierung wird es dann ernst, besonders, wenn sie von der ÖVP geführt wird. Wie unter Kurz und Nehammer hat die ÖVP auch unter Stocker die Regierungsverhandlungen für sich entschieden. Eine nach der anderen kommen die Gewissenentscheidungen fast ausschließlich auf SPÖ und NEOS zu. Die Spitzen der ÖVP verlassen sich darauf, dass die Linie bei den Partnern hält und deren Abgeordnete in die Knie gehen. Krisper und Scherak haben jetzt klar gemacht, dass das für die NEOS nicht uneinschränkt gilt.

In einer ÖVP-geführten Regierung sind sie damit nicht die Ersten. Als die Kanzlerschaft von Sebastian Kurz im Oktober 2021 wackelte und ein Misstrauensantrag der Opposition bevorstand, war die grüne Spitze bereit, Kurz durchzutragen. Was dann geschah, stand in ZackZack: „Als Werner Kogler kurz nach Ausbruch der Hausdurchsuchungs-Krise in seinen Parlamentsklub kam, saßen dort schon sieben Abgeordnete, die sich entschieden hatten: Sie würden den Misstrauensantrag unterstützen. Damit war der Kurz-Sturz besiegelt. Kogler hatte nur noch die Chance, seinen eigenen Kopf zu retten.“ So wurde Werner Kogler gegen seinen Willen zum Kurz-Killer.

Bei den NEOS war das aus einem einfachen Grund anders: Die ÖVP brauchte sie nicht, um die Handy-Verwanzung mit Schadsoftware zu beschließen. Die Stimmen der SPÖ genügten. Und die sind traditionell schwach.

Ausländische Partner

Aber wer hatte letztlich in der Sache recht? Als Chef des Verfassungsschutzes DSN betonte Omar Haijawi-Pirchner, dass er den Zugriff auf die verschlüsselten Messenger-Nachrichten brauche, um die Vorbereitungen bekannter Terror-Netzwerke auf Signal und WhatsApp in Echtzeit mitlesen zu können. Das ist zumindest die halbe Wahrheit. Ihre andere Hälfte lautet:

Fast alle Hinweise auf terroristische Netzwerke kommen von ausländischen „Partnerdiensten“. Global beherrscht bisher nur die NSA den Full Take, das Absaugen und Auswerten aller Telekom-Daten.

Sie identifiziert von Netzwerken über kleine Gruppen bis zu radikalisierten Einzeltätern das Potenzial. Sie liest die Entwicklung von Plänen mit und entscheidet, was davon sie an den lokalen Residenten der CIA an der US-Botschaft weiterleitet. Von dort in der Wiener Boltzmanngasse wird der Direktor der DSN verständigt.

Wenn die DSN dann öffentlich ihren Erfolg feiert, vergisst sie, von St. Pölten bis Wien dessen US-Quellen zu nennen, auch, weil das auf beiden Seiten unerwünscht wäre. Durch das neue Gesetz zur Messenger-Überwachung ändert sich das alles nicht. Die DSN ist nach wie vor auf die SIGINT – die Signal Intelligence – der USA angewiesen. Ohne sie ist die österreichische Terrorabwehr schon im Vorfeld blind.

Kickls Verwüstung

Das hat neben der spionagetechnischen Übermacht der USA einen zweiten Grund: Kleine Staaten versuchen, ihr SIGINT-Defizit durch HUMINT – Human Intelligence – zu kompensieren. Sie führen Quellen in Hassmoscheen und Nazi-Waffenkellern und wissen so vor Ort oft mehr als die NSA über ihr globales Daten-Fischnetz. Nur – auf diesem Auge ist der österreichische Verfassungsschutz fast blind. Das ist das Verdienst von Innenminister Herbert Kickl.

In Folge seiner BVT-Hausdurchsuchung wurde die Datei der ZQB – der „zentralen Quellenbewirtschaftung“ – verraten. Die Folgen habe ich in meinem Buch „Ostblock: Putin, Kickl und ihre ÖVP“ beschrieben:

„2019 waren die Schäden gewaltig. Vom Einsatzbereich „Rechtsextremismus“ bis zum islamistischen Terrorismus hatten rund 390 Informanten als „Quellen“ dem BVT als Augen und Ohren gedient.  Durch den Verrat der „Zentralen Quellenbewirtschaftung“ waren Quellen und verdeckte Ermittler in höchstem Maße gefährdet. In der Folge wurden alle 390 Quellen und mit ihnen 15 „VE“ – verdeckte Ermittler – des BVT aufgegeben. Insbesondere im Bereich des Rechtsextremismus konnte niemand mehr ausreichend für ihre Sicherheit garantieren. Das BVT hatte sich von Kickls Angriff nie mehr erholt.“

Putin-affin

Nach wie vor ist die BVT-Nachfolgerin DSN ein „quellenschwacher“ Nachrichtendienst. In den Wiener und Grazer Extremistenmoscheen sind potenzielle Terroristen meist unter sich. In der Neonazi-Szene sieht es noch schlechter aus.

Daran wird sich erst langsam etwas ändern, weil Anwerbung und sichere Führung von Quellen zu den schwierigsten Aufgaben der Polizei zählen. Der DSN-Chef kann sich nicht einfach vor eine Grazer Moschee stellen und die potenzielle Quelle mit einem „Salam aleikum, ich Omar, du Quelle?“ ansprechen. Islamisten und Neonazis wissen, was ihnen im Fall des Auffliegens droht.

Dazu kommt, dass Österreich nach Kickl nachrichtendienstlich lange isoliert war, weil man weit über die FPÖ hinaus die österreichische Sicherheitspolitik für Putin-anfällig hält. Die Signale von oben, russische Dienste von SWR bis FSB in Österreich als einzigem EU-Staat „in Ruhe“ zu lassen und die Aufforderung der DSN, mehr als ein Dutzend SWR-Agenten auszuweisen, im Außenministerium weiter zu ignorieren, tragen nicht zur Vertrauensbildung gegenüber westlichen Diensten bei.

Respekt und Sorge

Es ist wie seinerzeit bei der Rasterfahndung: Wenn der Innenminister mit seinem Verfassungsschutz und seiner Kriminalpolizei seine Hausaufgaben nicht schafft, verlangt die ÖVP statt eines neuen Ministers neue Vollmachten. Damit schlägt die Stunde für kriminelle Softwarelieferanten, die Sicherheitslücken vor Apple, Samsung & Co. geheim halten und zur Einschleusung von Wanzenprogrammen an Innenminister verkaufen.

Dass an dieser Stelle zwei Abgeordnete einer Regierungspartei Nein gesagt haben, verdient Respekt. Alle anderen von SPÖ und NEOS haben mitgemacht. Dass sie wahrscheinlich nicht wussten, was sie taten, ist keine Entschuldigung, sondern Grund zur Sorge.

Autor

  • Peter Pilz

    Peter Pilz ist Herausgeber von ZackZack.

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