Die Nachrufe auf Claus Peymann zeigen vor allem eines: Im heutigen Österreich des Konformismus vermisst man Theater, das bewegt, aufregt, bedeutsam ist.
Überarbeitete Fassung vom 24.07.
Peter Turrini hat einmal gesagt, er sei immer erstaunt darüber, dass man darüber erstaunt ist, dass Literatur auch provoziert. Von wem erwarte man sonst Provokation: Vom Bienenzüchterverband? Einer, der provozierte, und die Kritik, die er dafür erntete, nicht wie viele heute weinerlich, sich zum Opfer stilisierend, sondern selbstverständlich hinnahm, war Claus Peymann. Das aktuelle profil widmet ihm gleich drei Nachrufe.
Das ist bemerkenswert in einer Zeit, in der Theaterkritik fast gänzlich aus den Medien verschwunden ist. Die Artikelchen über den Salzburger Jedermann, die es noch gibt, sind eher der Tourismuswerbung zuzurechnen. Angelika Hager widmet Peymann einen langen Artikel, in dem sie vor allem klar macht, dass das Jahr 1986, als er an die Burg kam, von vielen politischen Umbrüchen gekennzeichnet war, die bis heute bedeutsam sind. Peymann kommentierte sie. Und nicht alle mochten seine Kommentare oder die Tatsache, dass er kommentierte. Hager schreibt:
Das Spielfeld für den hingebungsvollen potenziellen „Staatsfeind“, der sich noch dazu, wie er in einem TV-Interview anmerkte, „vom Staat bezahlen, aber nicht kaufen lässt“, war in der politischen Klimawende Mitte der 1980er-Jahre so herausfordernd wie inspirierend. Jörg Haider war im September 1986 am Innsbrucker FPÖ-Parteitag mithilfe des deutschnationalen Flügels an die Spitze seiner Partei gekommen; Kurt Waldheim war im Juni zuvor in einer Stichwahl zum Bundespräsidenten gewählt worden. Das liberale Aufbruchsklima der späten 1970er-Jahre schien verpufft oder bekam zumindest einen schweren Dämpfer, angeheizt durch die Anti-Peymann-Kampagnen der „Kronen Zeitung“.
Heute ist ein Nachfolger von Jörg Haider Vorsitzender der stärksten österreichischen Parlamentsfraktion, die alten Nazis sind fast alle tot, Neo-Nazis besetzen aber heute in Österreich, Deutschland und den USA höchste Staatsämter. Österreichs vielfältige Theaterlandschaft reagiert heute mehr denn je darauf. Doch wir müssen leider feststellen, dass Theaterkritik in den Medien kaum mehr eine Rolle spielt, ja selbst die Kulturberichterstattung gefährdet ist, von den Medienhäusern eingestellt zu werden. Hinzukommt, dass die budgetären Einsparungen des Bundes und das wohl bewusste Kaputtsparen mancher Länder wie der Steiermark die Existenz unserer Theaterlandschaft bedrohen. Wie soll also das Theater in Österreich bestehen und wie soll es wieder den Weg in die öffentliche Debatte und die Medien finden?
Herbert Lackner erinnert im profil an den Skandal der Uraufführung von Thomas Bernhards Heldenplatz und daran, dass es noch Kulturpolitik gab, die dem Theater Existenzberechtigung und seine Freiheit zubilligte. Der Heldenplatz-Skandal war zwar jener, der die meiste Erregung hervorrief, allerdings kannte keiner der Sich-Erregenden das Stück. Der Protest dagegen war ein Selbstläufer, riefen doch Hans Dichand, Alois Mock und Jörg Haider zum Protest gegen etwas auf, das sie nicht gelesen hatten. Doch die für Kultur zuständige Ministerin Hilde Hawlicek hielt dem Theater und seiner Freiheit die Stange. Lackner erinnert:
Von ÖVP und FPÖ bedrängt, die Premiere zu verhindern – noch immer kannte kaum jemand das ganze Stück –, blieb Ministerin Hawlicek hart: Was im Burgtheater gespielt werden, sei Sache des Direktors. Später erzählte Peymann, Hawlicek habe ihn telefonisch zum Durchhalten aufgefordert. Kanzler Vranitzky trug das – wohl zähneknirschend – mit. In „Heldenplatz“ bezeichnet Bernhard Vranitzky als „Staatsverschacherer“.
Und schließlich bringt Lackner das Bild in Erinnerung, das wohl als einziges bleiben wird:
Am Abend der Premiere luden Aktivisten vor dem Burgtheater eine Fuhre Mist ab, die „Kronen Zeitung“ zeigte in einer Fotomontage das Theater lichterloh brennen, und auf den Stehplätzen demonstrierte eine Gruppe Rechtsradikaler, in ihrer Mitte der damals 20-jährige Heinz-Christian Strache.
Ja, sie waren damals schon eine Koalition: Boulevard, Rechtsradikale und die rechte Sphäre der Konservativen. Sebastian Hofer erinnert im profil in einem dritten Artikel an die profil-Berichterstattung über Peymann, der auch einige Male auf dem Cover des damals bedeutenden und damals noch liberalen Wochenmagazins war. Schön, dass er auch zum Ausdruck bringt, wie wichtig Peymanns politische Interventionen waren, wenn er damit Leerstellen befüllt, die eigentlich die Politik hätte besetzen sollen. Hofer schreibt:
Nach dem rechtsradikalen Terroranschlag von Oberwart im Februar 1995 hatte der Burgtheater-Direktor starke Vorwürfe gegen Justiz und Politik geäußert – und wurde dafür landauf landab zum Teufel gewünscht. Im profil folgten ausführliche Betrachtungen, ein reflektierendes Porträt des „Buhmanns Peymann“ – aber leider kein Interview mit ebendiesem: „Peymann sitzt im Burgtheater und verschanzt sich. Nachrichtensperre. Er hat, lässt er ausrichten, nichts zu den aktuellen Anwürfen gegen seine Person zu sagen. Jeder Kommentar lenke vom Kern seines Anliegens, den vier toten Roma, ab.
Gibt es heute keine Literatur und kein Theater mehr, das diese Aufklärungs- und Aufarbeitungsarbeit leistet? Nein. Es gibt kaum Presse darüber und daher keine Debatten und keinen Diskurs. Ich wünsche mir für Österreich, dass sich die Kulturseiten in den Zeitungen vervierfachen und Rezensentinnen und Theaterkritikerinnen auch die politischen Aspekte von Literatur und Theater beleuchten. Ich wünsche mir, dass es auch wieder Literatur- und Theaterskandale gibt und man dieses Metier nicht polternden Rechtspolitikern überlässt. Natürlich würden sich die Menschen dann aufregen. Aber das tun sie ja zu wenig, in faulen, feigen und konformistischen Zeiten wie diesen. Claus Peymann wird sie nicht mehr erregen. Leider. Er ruhe in Frieden. Seinen politischen Unfrieden aber sollen Lebende weiter pflegen.
Titelbild: BARBARA GINDL / APA / picturedesk.com