Im ZackZack-Interview erklärt Fairtrade-Österreich-Geschäftsführer Hartwig Kirner, warum sich der Kakaopreis verfünffacht hat und wo die EU und Österreich dabei versagen.
Im Büro von Fairtrade Österreich im dritten Wiener Gemeindebezirk hat sich Hartwig Kirner, der seit 2007 Geschäftsführer von Fairtrade Österreich ist mit ZackZack getroffen. Neben Fairtrade Kaffee gab es auch ein ausführliches Interview.
ZackZack: Herr Hartwig, wie trinken Sie Ihren Kaffee?
Hartwig Kirner: Schwarz.
Und Fairtrade?
Das ist, glaube ich, keine Frage. Selbstverständlich.
Wie schafft Fairtrade es, jedes Jahr Gewinn zu erzielen?
Das liegt einerseits daran, dass die Konsumentinnen und Konsumenten, also die Menschen in Österreich, viel Wert auf das Thema legen. Dass es ihnen wichtig ist, dass Menschen, die für sie Produkte herstellen, fair entlohnt werden. Das ist die eine Seite. Und auf der anderen Seite gibt es auch das Angebot in immer größerem Ausmaß im Supermarkt.
Wieso brauchen wir in Österreich Fairtrade?
Idealerweise bräuchten wir Organisationen wie Fairtrade nicht, wenn die Welt fair und gerecht wäre. Leider ist das nicht der Fall. Es ist so, dass man mit ausbeuterischen Strukturen Geld verdienen kann. Das heißt, man spart sich Kosten, indem man zum Beispiel Arbeiterinnen und Arbeiter nicht fair bezahlt. Und da sind Initiativen, wie Fairtrade, die auf freiwilliger Basis kontrollieren, ob faire Arbeitsbedingungen eingehalten werden, ein erster Schritt.
Fairtrade Österreich kümmert sich um die Vermarktung von Fairtrade in Österreich. Wir kümmern uns nicht um das Service für die Bauern. Da gibt es den internationalen Teil der Fairtrade Organisation. Wir helfen Unternehmen in Österreich, faire Handelsstrukturen in ihren Lieferketten umzusetzen.
Hat sich die Inflation bei Fairtrade bemerkbar gemacht?
Wenn wir uns die Jahre mit der hohen Inflation ansehen, dann sehen wir, dass sowohl Fairtrade, aber auch Bioprodukte, unterdurchschnittlich stark im Preis gestiegen sind. Warum? Weil die ja ohnehin nicht im billigsten Preissegment sind. Das heißt, die Produkte im unteren Preissegment sind besonders stark gestiegen. Bei Kakao, Kaffee und Orangensaft haben wir in den letzten zwei, drei Jahren extreme Preissteigerungen gesehen. Das liegt aber weniger an der Inflation generell in Europa, sondern es liegt daran, dass die Ernten extrem schlecht waren. Wir haben bei Kaffee zum Teil 20, 25 Prozent zu wenig Produktion gesehen, weil der Klimawandel hier langsam durchschlägt und die Ernten dementsprechend schlecht ausgefallen sind.
Thema Klimawandel: Was tut denn Fairtrade gegen den Klimawandel?
Also realistisch gesehen können wir den Bauern helfen, sich an den Klimawandel anzupassen. Man muss schon die Kirche im Dorf lassen. Organisationen wie Fairtrade können den Klimawandel nicht stoppen. Aber wir können dazu beitragen, dass die Produktionsbedingungen ökologischer stattfinden, dass möglichst verantwortungsvoll mit Pestizideinsatz umgegangen wird, dass der Wasserverbrauch möglichst verantwortungsvoll gehandhabt wird. Unterm Strich gesehen braucht es, um den Klimawandel anzuhalten, wirklich große globale politische Lösungen.
Im Jahr 2013 ist eine Dokumentation erschienen mit dem Namen “Der Faire Handel” auf dem Prüfstand. Kennen Sie die?
Sagt mir jetzt gerade nichts.
Es ging darum, dass bei einer Bananenfarm in der Dominikanischen Republik gegen sämtliche Fairtrade Richtlinien verstoßen wurden. Fälle wie diese zeigen, dass die Überprüfung der lizenzierten Betriebe eine Herausforderung darstellen kann. Was tut Fairtrade international, um so etwas in Zukunft zu verhindern oder zu prüfen?
Grundsätzlich ist Fairtrade in Bereichen tätig, wo eben nicht alles super ist. Sonst müssten wir dort ja überhaupt nicht mehr tätig sein. Das heißt, man kann davon ausgehen, dass es Strukturen gibt, die verbessert werden müssen. Wir haben ein Kontrollsystem, das in seinem Gebiet mit Sicherheit zu den besten gehört. Wo es jährliche Kontrollen gibt. Und wenn Verstöße gefunden werden, wird bei Fairtrade nichts unter den Teppich gekehrt, sondern wir versuchen, das Problem zu lösen.
Wir haben hier einen Eskalationsprozess. Das heißt, wenn ein Problem gefunden wird, wird nicht sofort die Farm dezertifiziert. Unser Ziel ist es nicht, die rauszustoßen aus dem System, sondern Verbesserungen herbeizuführen. Das heißt, es wird eine Nachfrist gesetzt. Wenn das Problem beseitigt wird, dann wird die Zertifizierung wieder erneuert. Wenn nicht, wird die Farm suspendiert. Es gibt auch die Dezertifizierungen und das passiert auch regelmäßig, nicht sehr oft, aber es kommt vor.
Dezertifizierung erfolgt durch die Zertifizierungsorganisation FLOCERT. Die ist dafür da, die Einhaltung der Fairtradestandards zu überwachen. Die Organisation hat interessanterweise denselben Firmensitz wie Fairtrade International in Bonn. Ist das nicht etwas schwer, so Transparenz und Unabhängigkeit sicherzustellen?
FLOCERT ist eine 100 Prozent-Tochter von Fairtrade International, aber als GesmbH organisiert. Der Geschäftsführer ist nicht weisungsgebunden an das, was der Eigentümer sagt. Es ist auch bewusst so, dass es eine eigene Gesellschaft ist.
Kommen wir zur Deregulierung. Die Abschwächung und Verschiebung der EU-Lieferkettenverordnung ist eine der ersten Auswirkungen davon. Die Umwelt- und Menschenrechtsstandards werden gesenkt, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Bei uns in Österreich haben wir einen Deregulierungsstaatssekretär, und Wirtschaftsminister Wolfgang Hartmannsdorf spricht auch gern von Deregulierung. Verspielen wir gerade die Chance, den Welthandel endlich fairer zu gestalten?
Also ich glaube, die politische Entwicklung ist derzeit nicht erfreulich. Aus der Phase der Kooperation gehen wir in eine Phase des Gegeneinanders. Das ist äußerst unerfreulich. Und ich hoffe, dass das kein langfristiger Trend sein wird, denn am Ende des Tages verlieren alle. Wir haben viele Beispiele in der Geschichte gesehen, wo das nicht gut geht und vor allem, wo das für viele Menschen keine gute Situation ist.
Dieses Recht des Stärkeren – derjenige, der lauter auf den Tisch haut und den größeren Geldbeutel mitbringt –, der sich dann durchsetzt, haben wir in der Geschichte oft gesehen, und zwar immer dort, wo das nicht gut geht und für viele Menschen keine gute Situation ist. Das ist die Grundsatzdiskussion, wenn wir über Deregulierung in Europa sprechen.
In Europa gibt es viele Regeln. Warum gerade jetzt Umwelt- und Sozialstandards als erstes dereguliert werden sollen, verstehe ich nicht ganz. Es gibt viele Bereiche, in denen bürokratische Hürden lauern, und mein Verständnis endet dort, dass wir gerade bei den Themen ansetzen, die unsere Kernwerte betreffen – nämlich die Einhaltung von Menschenrechten und eine gesunde Umwelt für unsere nächsten Generationen.
Klimawandel beeinflusst die Gegebenheiten der Produzenten und Produzentinnen von Fairtradeprodukten. Passiert vonseiten der internationalen Politik genug, um klimatische Veränderungen aufzuhalten?
Das ist für mich das größte Desaster der derzeitigen politischen Situation und da spreche ich jetzt gar nicht von Österreich und Europa, sondern global. Dass das Thema Klimawandel so vernachlässigt wird und man jetzt so tut, als ob das keine wirtschaftlichen Konsequenzen hätte oder dass die Wirtschaft da nur im Vordergrund stehen muss. Für mich ist das eine höchst ökonomische Entscheidung, weil die Kosten, die als Folge des Klimawandels auf uns zukommen, sind immens.
Wir sehen jetzt schon bei den Fairtrade-Kooperativen, was allein die Missernten und die schlechten Ernten, die es in den letzten zwei, drei Jahren gegeben hat, an Kosten verursachen. Kaffee und Kakao sind ein gutes Beispiel. Der Kakaopreis hat sich verfünffacht innerhalb eines Jahres, weil die Ernte so schlecht ausgefallen ist. Das ist ein unmittelbarer Effekt des Klimawandels.
Setzt sich Österreich EU-weit genug für Klimawandelbekämpfung ein?
Nein, natürlich nicht. Wir tun definitiv zu wenig. Es braucht hier wirklich große Anstrengungen, weil wenn wir das Investment jetzt nicht tätigen, wird es später umso teurer. Wir müssen dann nicht nur Maßnahmen ergreifen, um den Klimawandel zu bremsen. Wir müssen dann auch die Folgen beseitigen. Derzeit sind wir schon auf dem Weg in diese Richtung und diese massiven Preissteigerungen in manchen Rohstoffkategorien in den letzten zwei Jahren sind ein absolutes Warnsignal, wohin das führen könnte.
Wie blicken Sie denn auf die Zukunft?
Ich glaube, eine der großen Gefahren, wo wir mittendrin stecken, ist, dass die Menschen in eine negative Denkspirale hineinkommen und glauben, dass alles immer schlechter wird. Als ich ein Kind war, waren 40 Prozent der Menschen weltweit in absoluter Armut. Damals hat jede Frau weltweit im Durchschnitt drei bis vier Kinder geboren.
Die Welt ist besser geworden in den letzten Jahrzehnten, und zwar deutlich besser geworden. Und ich glaube, dass dürfen wir nie vergessen. Das müssen wir uns immer vor Augen führen. Die Zahlen belegen das.
Das soll sich jetzt nicht naiv anhören, weil viele Menschen empfinden, dass die Welt schlechter geworden ist, für sie ganz persönlich. Am Ende des Tages muss man sich immer wieder vor Augen führen, wie gut die allermeisten Menschen bei uns leben. Also ich bin unterm Strich optimistisch, auch wenn derzeit die politischen Entwicklungen nicht optimal sind.
Dass ich mich äußern kann, wie ich möchte, ist nicht überall selbstverständlich. Das gehört wirklich verteidigt.
Einen Zusammenschnitt des Interviews gibt es jetzt auf YouTube
ZackZack Clubmitglieder können die komplette Version des Interviews sehen.