Sonntag, Juli 20, 2025

SPÖ, NEOS und Handy-Überwachung: Schämt euch!

Hannes Werthner war Dekan für Informatik an der Technischen Universität Wien und hat weltweit den Digitalen Humanismus begründet. Jetzt ist er entsetzt darüber, wie SPÖ und NEOS mit der Messenger-Überwachung umgehen.

Manchmal fühlt man sich zu Kommentaren verpflichtet – obwohl man weiß, dass es nicht hilft und man selbst durch Naivität schuld ist, wenn man sich aufregt. Aber nun geht es nicht anders, denn sie haben es doch getan, trotz meiner Hoffnungen, trotz ihrer Bekenntnisse zu Datenschutz und zur humanen Ausgestaltung von IT-Systemen, zu digitalen Grundrechten; und trotz ihrer Unterstützung des Digitalen Humanismus, der ja den Datenschutz als eines seiner Grundprinzipien in den Mittelpunkt stellt. Den haben sie als SPÖ sowohl in ihr Wahlprogramm als auch ins Regierungsprogramm geschrieben, da konnte man sich Hoffnungen machen.

Die ÖVP -SPÖ – NEOS Bundesregierung hat die Messenger Überwachung nun doch beschlossen – es fehlt noch der Parlamentsbeschluss. Die ÖVP wollte dies schon immer, sie gibt sich als Law and Order-Partei. Im Gegensatz dazu war das von der SPÖ und den NEOS nicht zu erwarten – wie gesagt, man ist ja auch ein bisschen naiv. 

Falscher Anlass

Bei den NEOS gibt es noch einige Aufrechte mit öffentlicher Gegenstimme, bei der SPÖ hört man nichts. Warum verweisen sie nicht darauf, dass im publizierten Anlassfall – Anschlagspläne auf die Taylor Swift-Konzerte in Wien im Juli 2024 – die Hinweise von ausländischen Geheimdiensten kamen, und diese stammten aus Telegram-Gruppen.

Diese Art der Kommunikation ist nicht Ende-zu-Ende verschlüsselt und kann relativ leicht durch öffentliches Suchen gefunden werden (siehe Stellungnahme zum Gesetzentwurf der Linzer Univ. Prof Mayrhofer, Birklbauer und Sonntag / Informatiker und Juristen). Warum wurden die vielen negativen Stellungnahmen nicht ernst genommen? Warum hatten sie fast keine Auswirkungen? Man kann leicht das Gefühl bekommen, dass man sich diese „Bürger“-Arbeit gar nicht antun muss, wenn sie dann ohne viel Aufwand negiert wird.

Karners Triumph

Interessanterweise wurde die Einigung ohne die NEOS verkündet, vom fast triumphierenden Innenminister Karner und seinem SP-Kollegen Leichtfried. Als ehemaliger Technologieminister sollte er wissen, was er da macht – zumindest schien er sich nicht richtig wohlzufühlen. Bei anderen SP-PolitikerInnen habe ich diesen „Verdacht“ nicht.

So verweist die neue Justizministerin in einem Mittagsjournalinterview auf die noch zu beschaffende Software, die ja nach ihrer Überzeugung alle technischen Probleme lösen werde. Damit beweist sie, dass sie sich mit dieser Materie offensichtlich nicht wirklich befasst hat. Und der Vizekanzler und Medienminister beschäftigt sich gleich mit dem Verbot von Social Media für unter 15-Jährige, aber delegiert dieses Verbot an die EU.

Dabei könnten die Parteien das Geld, das sie sich durch Eigenabsolution bei den verhängten Strafen für ihre illegalen Parteienspenden für ihre Kabinetts-Social Media-Auftritte gespart haben, für den Aufbau der notwendigen technischen Expertise verwenden. Das wird in Zukunft notwendig sein, wenn man der Macht der IT-Plattformfirmen entgegentreten will.

Fenster offen

Als Informatiker führe ich ganz kurz einige technische Argumente an, wie sie in den vielen Stellungnahmen zum Gesetz von Organisationen und ExpertInnen formuliert wurden: Zum unbemerkten Installieren (holprig „Einbringen der Überwachungssoftware, auch Trojaner genannt“) müssen Sicherheitslücken der Systeme (und zwar aller Systeme) aktiv durch Software-Angriffe ausgenützt werden. Der Staat, der ja zum Schutz seiner BürgerInnen verpflichtet ist, darf sie in diesem Fall nicht schützen, obwohl diese Sicherheitslücken dann von allen ausgenutzt werden können, die davon Wissen haben (und dies haben nicht nur staatliche Stellen).

Ich muss also ein Fenster in meinem Haus offenlassen, wissend, dass da einige mit nicht guten Absichten hineinwollen. Zudem kann nicht sichergestellt werden, dass die mitlesende Software nur die „Messenger“ Dienste mitliest, sie müsste zum Beispiel auch Bildbanken beziehungsweise Telefonlisten scannen. Wer soll hier vor Missbrauch schützen? Die Natur digitaler Informationen – ihre leichte Veränderlichkeit – macht es zudem schwer, ein durch einen derartigen Eingriff gewonnenes Wissen als faktischen Beweis anzusehen.

Die Tatsache, dass es gelungen ist, die Überwachungssoftware in das System einzuspielen, kann ja bereits als Nachweis gesehen werden, dass dieses System als Quelle von Beweismaterial nicht mehr glaubwürdig ist. Diese Informationen könnten zudem durch Dritte gefälscht worden sein. Wie vertrauenswürdig ist dies?

Alte Bekannte

Und wer liefert diese Software: Kandidaten sind „alte Bekannte“, etwa die Firmen des libertären und bekennenden Feindes der Demokratie, Peter Thiel, für den ja auch unser junger Altbundeskanzler tätig ist, oder andere Spyware Firmen mit ihren Fällen etwa in Spanien oder Griechenland, wo sie Politikerinnen und Journalistinnen via Smart Phones ausspionierten.       

Als „Meister“ des gesamten Prozesses fungiert das Innenministerium, das ja – um es freundlich zu formulieren – nicht gerade vertrauenswürdig agiert: siehe die Vorgänge um den Tod von Pilnacek, oder auch illegale Zugriffe auf Polizeidatenbanken et cetera. Dieser Organisation vertrauen wir nun als Gesellschaft unseren praktischen Datenschutz an.

Und selbst wenn all dies nicht zuträfe, wenn meine Befürchtungen im konkreten politischen Kontext Österreichs nicht wahr würden, bleibt ein grundlegenderes Problem: Erzeuge ein gefährliches Werkzeug, es findet sich dann jemand, der dessen Nutzung durchsetzen wird. Wie schnell ein demokratisches System kippen kann, Bürgerrechte und die demokratische Ordnung ins Wanken kommen, sieht man aktuell in den USA, unserer „Vorzeigedemokratie“.

Wenn man all dies zusammenfasst, scheint die Faktenlage klar, und man fragt sich, wie man trotzdem anders entscheiden kann, insbesondere, wenn man zuvor anders argumentiert – wie SPÖ und NEOS. Offensichtlich war oder bin ich dumm und naiv und damit selbst schuld. Aber dafür schäme ich mich nicht.


Titelbild: HELMUT FOHRINGER / APA / picturedesk.com

Autor

  • Hannes Werthner

    Hannes Werthner war Informatikprofessor und Dekan an der Fakultät für Informatik an der TU Wien und ist Gründer des Digitalen Humanismus. Er beobachtet aufmerksam, wie Informatik und Informationstechnologie die Welt und uns verändern.

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